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Der nächste Schritt: In den Supermärkten von Amazon Fresh gibt es keine Kassen mehr. Das Konto des Kunden wird beim Verlassen direkt belastet.

© STP Productions/Arte

Wie super ist der Supermarkt?: Ruinöser Verdrängungswettbewerb

Eine Arte-Doku zeichnet nach, wie der digitale Versandhandel dem traditionellen Vertrieb von Lebensmitteln den Garaus macht.

Über Jahrzehnte hinweg wurden großflächige Selbstbedienungs-Warenhäuser an den Stadträndern zu Institutionen des massenhaften Konsums. Bequemlichkeit und niedrige Preise sorgten für volle Einkaufswagen. Doch seit dem Aufkommen des Online-Handels shoppen Kunden lieber per Mausklick. Das ist bequemer. Und die Auswahl ist größer. Vor allem Kleidung und Unterhaltungselektronik, ein Warensektor mit den höchsten Gewinnspannen, werden hauptsächlich über den digitalen Versandhandel geordert.

Die dramatischen Folgen für den Einzelhandel zeigt Rémi Delescluse in seiner 90-minütigen Dokumentation. Der französische TV-Journalist blickt hinter die Kulissen großer französischer Supermarktketten. Multis wie Carefour versuchen Defizite, die durch die Plattformökonomie entstanden sind, mit dem einzigen Produkt zu kompensieren, das es online noch nicht so stark gibt: Lebensmittel.

Die Gewinnspannen in diesem Segment sind allerdings niedrig. Um dennoch Profite zu erwirtschaften, geben große Konzerne den Schwarzen Peter an schwächere Handelspartner weiter. Der Film verdeutlicht, wie Lizenznehmer und Zulieferer von den multinationalen Handelsketten unter Druck gesetzt werden.

[ „Auslaufmodell Supermarkt?“, Arte, Dienstag, 20 Uhr 15]

Die versteckte Kamera beobachtet einen Lieferanten, der morgens um sieben Uhr seine Produkte herankarrt. Damit nicht genug, muss er die angelieferten Waren auch gleich noch ins Regal einsortierten. Und zwar unentgeltlich – damit Supermärkte Personal einsparen können.

Und wenn der Zulieferer sich weigert? Dann kann er seine Firma dichtmachen. Vor der Kamera schildert Jérôme Coulombel, der 27 Jahre als Justiziar für Carefour arbeitete, wie große Supermarktketten ihre Macht ausnutzen, um wirtschaftlich abhängige Zulieferer systematisch in den Ruin zu treiben.

Verkappte Schutzgelderpressungen

Im Rahmen einer parlamentarischen Untersuchungskommission der französischen Nationalversammlung kam 2019 zur Sprache, dass Handelsriesen Lieferanten und Hersteller dazu verdonnern, Milliardenbeträge für sinnfreie Fortbildungsseminare auf ein Schweizer Konto zu entrichten. Diese verkappte Schutzgelderpressung zwang sogar einen Giganten wie Nestlé in die Knie, dessen Produkte kurzfristig europaweit aus den Regalen eines Anbieters verschwanden.

Ausgelöst wurde dieser Verdrängungswettbewerb durch den Onlineriesen Amazon, der den Absatz lukrativer Waren an sich riss. Mit dem Kauf der Supermarktkette Whole Foods rollt die Plattform seit 2017 ebenso den Lebensmittelsektor auf. Der Film zeigt, welcher Aufwand betrieben wird, um auch im Versand von Nahrungsmitteln ausschließlich zufriedene Kunden zu haben. Der bestellte Kaffee schmeckt nicht wie erwartet? Kein Problem. Zack, Retoure. Ein GPS-Tracker visualisiert unterdessen, wie das zurückgeschickte Päckchen von Frankreich aus 1700 Kilometer quer durch Europa bis ins slowakische Sered gefahren wird. Wo der Kaffee schließlich vernichtet wird.

Wie schon auf dem Buchmarkt, wo Amazon sechs Jahre lang rote Zahlen schrieb, wird sich der Online-Vertrieb von Lebensmitteln ebenso als gnadenloses Verlustgeschäft erweisen – vorerst. Ein Blick nach China lässt erahnen, wie Internet-Giganten die Produktion und den Vertrieb von Lebensmitteln in naher Zukunft umkrempeln werden.

Traditionelle Landwirtschaft ist für solche Unternehmen zu aufwendig und kostspielig. Bilder, die aus der Netflix-Serie „Black Mirror“ stammen könnten, zeigen, wie das chinesische Internetunternehmen JD.com Salat in weitgehend automatisierten Hydrokulturen anbaut. Zusammen mit dem Fleisch von Schweinen, deren Zucht von künstlicher Intelligenz überwacht wird, können Kunden diese Turbo- Nahrungsmittel per Mausklick ordern. Sie werden binnen kürzester Zeit geliefert. Mit selbstfahrenden Elektroautos.

In einer Epoche, in der das Umweltbewusstsein wächst, machen traditionelle, großflächige Selbstbedienungs-Warenhäuser die Ausmaße eines enthemmten Konsums sichtbar. Der Kunde möchte es lieber klein und überschaubar. Deshalb ist der gute alte Supermarkt, so der Tenor des informativen Films, zum Auslaufmodell geworden. Guten Appetit.

Manfred Riepe

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