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Moralische Selbstanklage: Die Schilderungen der Veteranen muten zuweilen wie Beichten an.

© Arte

Provokante Einseitigkeit: Arte-Doku blickt auf Israel als Besatzungsmacht

Knüppeln, schießen, terrorisieren? Eine Arte-Dokumentation zieht eine einseitige Bilanz über 54 Jahre israelische Besatzung.

Im Jahr 1978 war Dani Vilenski Soldat der Armee Israels. Damals erhielt er den Befehl, den Besitzer eines Hauses von seinem Grund und Boden in den besetzten Gebieten zu verjagen. Daraufhin steigt der alte Mann, ein Palästinenser mit faltigem Gesicht, auf seinen Esel und reitet langsam davon: „Bis heute, obwohl 40 Jahre vergangen sind, hat sich das Bild in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich sehe noch immer den Esel den Hang hinaufklettern und langsam verschwinden.“

Mit dieser traurigen, ja traumatischen Geschichte beginnt der zweiteilige Dokumentarfilm „Israel als Besatzungsmacht – Soldaten erzählen“. Zu Wort kommen mehr als dreißig mit Namen genannte Veteranen der israelischen Befreiungsarmee IDF. Seit dem Sechstagekrieg von 1967, der mit der Besetzung unter anderem des Gazastreifens endete, versahen sie ihren Dienst an Kontrollpunkten und bekämpften palästinensische Terroristen.

Die selbstkritischen Schilderungen dieser Veteranen muten zuweilen an wie Beichten. Diese Soldaten müssen sich etwas von der Seele reden. Einige von ihnen berichten davon, wie sie willkürliche Straßensperren erstellten, mit scharfer Munition auf Kinder schossen und auf alte Frauen einknüppelten.

[„Israel als Besatzungsmacht – Soldaten erzählen“, in der Arte-Mediathek]

Der Film dokumentiert eine, wie es scheint, alltägliche Routine des Folterns. Etwa wenn verdächtige Palästinenser stundenlang in der brütenden Sonne sitzen müssen. Beklemmende Archivfilme, die nächtliche Hausdurchsuchungen bei palästinensischen Familien dokumentieren, illustrieren diese Schilderungen.

Eingeordnet und kommentiert werden diese militärischen Übergriffe vom Regisseur selbst. Avi Mograbi ist ein israelischer Dokumentarfilmer, der regelmäßig auf namhaften internationalen Festivals präsent ist. Bezug nehmend auf ein fiktives „Handbuch zur militärischen Besatzung“, seziert Mograbi in sarkastischem Tonfall die machiavellistischen Unterdrückungsmechanismen der israelischen Streitkräfte.

Einige journalistische Defizite

Diese Diskurse, abgehalten in beschwörerischer französischer Akademikersprache, sind gewöhnungsbedürftig. Ins Auge fallen aber vor allem journalistische Defizite. So blendet Mograbi die Hintergründe des Nahostkonflikts weitgehend aus. Nicht erwähnt wird, dass durch die Ankündigung des ägyptischen Staatschefs Gamal Abdel Nasser, „alle Juden ins Meer zu treiben“, israelische Juden 22 Jahre nach der Shoa erneut vor einer existenziellen Bedrohung standen.

Nach dem siegreichen Präventivschlag im Jahr 1967 entstand daher aus der Not heraus eine komplexe Situation, welche die Geopolitik bis heute beeinflusst. Tag für Tag.

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Auf diese verwickelten Zusammenhänge geht der Film nur vage ein. Er beschränkt sich auf die – teilweise durchaus berechtigte – Kritik am israelischen Militär, in dem sich ein verkrusteter Unterdrückungsmechanismus verselbstständigt zu haben scheint. Mit Palästinensern spricht der Filmemacher interessanterweise gar nicht. 

Ich glaube jede Berichterstattung muss Fehler beider Seiten benennen. Die Lager sind so gespalten, dass es zu keiner Aussöhnung kommt, wenn immer nur auf die Fehler einer Partei verwiesen wird.

schreibt NutzerIn Jelissei

Diese Einseitigkeit der Betrachtung, die auf eine moralische Selbstanklage der zu Wort kommenden Soldaten zugespitzt wird, hat auch einen politischen Hintergrund. Avi Mograbi ist Gründungsmitglied der 2004 ins Leben gerufenen NGO „Breaking the silence“ (das Schweigen brechen).

Diese Veteranenorganisation dokumentiert Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten. Aufgrund ihrer Nähe zur antisemitischen BDS-Bewegung haben aber selbst regierungskritische Israelis mit „Breaking the silence“ erhebliche Probleme.
Sehenswert ist der Film von Mograbi aber trotz seiner provokanten Einseitigkeit. Er verdeutlicht indirekt, wie unversöhnlich die Positionen und wie tief die Gräben geworden sind. Der Aussöhnung zwischen den Völkern dient „Israel als Besatzungsmacht - Soldaten erzählen“ wohl kaum.

Manfred Riepe

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