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Matthew Rhys ist der neue Perry Mason.

© HBO/Sky

Perry Mason kehrt zurück: Schnüffler wird Anwalt

Die HBO-Serie "Perry Mason" bei Sky ist mehr als ein Remake der berühmten Fernsehserie. Sie wird im besseren Sinne zum Prequel.

Das Fernsehen verfestigt Bilder von Dingen, die in der Realität womöglich ganz anders aussehen. Verbrechen zum Beispiel. Bevor es durch Polizisten aufgeklärt werden durfte, die dafür fleißig das Gesetz brachen und seit Schimmis Zeiten sogar Scheiße sagen, sah das Rollenprofil am Bildschirm jahrzehntelang so aus: gute Ermittler jagen böse Verbrecher, treffen vor Gericht allerdings auf Perry Mason, der stets einen Überraschungstäter aus dem Saal zaubert und seiner gerechten Strafe zuführt. Soweit die Fernsehlegende.

Denn nicht nur in der Realität waren die Bilder der Dinge oft komplizierter. Selbst das literarische Vorbild vom brillanten Strafverteidiger, der seine Mandanten seit 1957 verlässlich raushaute, sah wohl anders aus als von Raymond Burr 291 schwarzweiße Folgen lang verkörpert. Anders auch als zuvor Warren William und danach Monte Markham. Schon in Erle Stan Gardners Romanen nämlich deutete sich an, dass Perry Mason vor seiner Zeit als Anwalt etwas mehr wie Matthew Rhys war.

Bekannt geworden durch die Agentenserie „The Americans“, spielt der Waliser seinen Filmjuristen ab Freitag auf Sky nämlich nicht als eloquenten Streiter für Recht und Gesetz; im HBO-Remake ist Perry Mason ein materiell wie menschlich verwahrloster Privatdetektiv, der die Wirtschaftskrise kurz vorm New Deal mit Schnüffeljobs im Umfeld von Hollywoods Jet Set überwinden will. Das Hemd fleckig, die Jacke speckig, der Sex dreckig, versucht er lieber anrüchige Fotos fetter Filmstars zu verkaufen als Informationen richtiger Kriminalfälle.

Bis ihm sein Auftraggeber, der Rechtsanwalt E.B. Jonathan (John Lithgow), für einen Fall engagiert, der selbst dem abgebrühten Perry Mason an die Nieren geht. Das Kind einer scheinbar unbescholtenen Familie wurde entführt, trotz Übergabe von 100 000 Dollar Lösegeld jedoch getötet. Anfangs nur mäßig begeistert vom Auftrag, gerät der Ermittler dabei zusehends ins Gestrüpp aus Korruption, Brutalität und Chaos, das die USA der Al-Capone-Ära überwuchert hatte.

Versuchung widerstanden: Kein "Babylon L.A."

Hier nun könnte das Drehbuch vom Comedy-Experten Ron Fitzgerald und Rolin James, der bereits an der Zwischenkriegsserie „Boardwalk Empire“ mitgearbeitet hat, zu einer Art „Babylon L.A.“ werden – einem Kostümball also, der seinen Kriminalfall allenfalls als dramaturgisches Feigenblatt nutzt, um dieses flamboyante Zeitalter bildgewaltig nachzustellen. Genau das aber vermeidet Regisseur Tim van Patten zumindest in den ersten drei Folgen virtuos. Sein Kalifornien am Vorabend der nationalsozialistischen Machtergreifung ist alles andere als glamourös. Im Gegenteil.

Obwohl die evangelikale Predigerin Alice (Tatiana Maslany) ebenso für üppige Inszenierungen sorgt wie schillernden Stars und Sternchen einer Metropole im Aufwärtssog des jungen Tonfilms, ist ihr Farbton eher bleihaltiges Graubraun mit Blutflecken und Dreck am Stecken – kulminierend in einer Titelfigur, die vom späteren Anwalt noch weiter entfernt ist als vom Schützengraben des Ersten Weltkriegs, in den Perry Masons Erinnerungen regelmäßig abschweifen.

Als Loser mit Alkoholproblem, der seine Klamotten im Leichenschauhaus ersteht und das Essen beim billigen Diner, der abgemagerte Rinder hinterm Haus hat und ein entfremdetes Kind in San Franzisco, scheint der Stuhl des Verteidigers im Gerichtsprozess unerreichbar zu sein. Wenigstens zu Beginn der acht Teile. Doch je länger er sich an der Seite des farbigen Cops Drake (Chris Chalk) in den Fall verbeißt, desto mehr kommt eine Moral zum Vorschein, die ihn am Ende der Serie tatsächlich zum Anwalt des eigenen Falles macht und damit jenem Perry Mason vorgreift, den man aus dem Fernsehen der fünfziger bis achtziger Jahre kennt.

Wenn ihm sein Team am Ende vorhält, keiner gestehe eine Tat im Zeugenstand, wird die HBO-Version somit im besseren Sinne zum Prequel, das sein Sujet nicht ausreizt, sondern erhellt. Vom Rückblick anno 2020 aus betrachtet, wird schließlich auch der investigative Furor von Raymond Burrs Perry Mason, der den Gerichtssaal Episode für Episode zum Polizeirevier machte, ein bisschen plausibler. Und bei allem Entertainment deutet der Achtteiler an, wie die USA befeuert von Profitsucht, Boulevardpresse, Polizeiwillkür und Gottesfurcht 90 Jahre später in die Fänge des narzisstischen Machos Donald Trump geraten konnte. Jan Freitag

Jan Freitag

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