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Moin! Jan Fedder (2. v.r.) ist in "Arnes Nachlass" vor allem dazu da, das viele Lokalkolorit mit einer typischen Figur anzureichern, als Betreiber einer Hamburger Abwrackwerft.

© NDR/Hannes Hubach

Verfilmter Siegfried-Lenz-Roman im Ersten: Oh Hamburg, meine Perle

Das Erste hat den Siegfried-Lenz-Roman "Arnes Nachlass" mit Jan Fedder in der Hauptrolle verfilmt. Zu sehen ist Hamburger Hafenromantik, ein bisschen was fürs Herz - aber keine schlüssige Moral.

Der Mann, der hier zu Beginn auf die Silhouette des Hamburger Hafens und das Meer blickt, muss Tragisches erlebt haben. Die Abenddämmerung hat eingesetzt, und er schaut düster-melancholisch drein. Dann sagt er: „Ich weiß, für uns ist die Geschichte noch lange nicht zu Ende.“ Der Mann, das ist Jan Fedder, der Harald, den Betreiber einer Hamburger Abwrackwerft, spielt. Und die Geschichte, von der er spricht, ist vor allem die des jungen Arne, der seine Familie durch einen Suizid verliert und danach erfolglos versucht, in der Familie von Harald ein neues Zuhause zu finden.

Die Vorlage dafür hat der Schriftsteller Siegfried Lenz mit seinem 1999 veröffentlichten Roman „Arnes Nachlass“ geliefert. Dieser zählt nicht gerade zu den herausragenden Romanen im Werk des neben Grass und Walser bedeutendsten deutschen Schriftstellers der Nachkriegszeit. Lenz vermag es, in „Arnes Nachlass“ zwar ansatzweise „die Möglichkeit einer Bruderschaft“ im Schmerz“ aufzuzeigen, wie er das einmal in einem Essay formuliert hat, und eine genauso tragische wie moralische Geschichte zu erzählen. Aber schon bei Erscheinen von „Arnes Nachlass“ irritierte das Altmodische daran, zumal das Ganze vor allem eine Erzählung über die Jugend ist. Von der Sprache bis zum hermetischen Familiensetting wirkte Lenz’ Roman aus der Zeit gefallen, mehr fünfziger Jahre als unruhige, unübersichtliche neunziger Jahre.

Man fragt sich deshalb, was den NDR bewegt haben mag, nach „Der Mann im Strom“, „Das Feuerschiff“ und „Die Auflehnung“ auch diesen Lenz-Roman verfilmen zu lassen. Ob es primär der Hamburger Hafen war, den man hier wieder einmal in seiner ganzen Pracht, aber eben auch von seiner kaputten und dennoch pittoresken Rückseite zeigen wollte?

Das hat Regisseur Thorsten Schmidt ausgiebig getan. So viel Hafenromantik war schon lange nicht mehr im deutschen Fernsehen, inklusiver schön dräuender Aufnahmen vom Nachthimmel über Hamburg. Was in einem merkwürdigen Kontrast zum schweren Schicksal von Arne steht. Den schließt man, so wie er von Max Hegewald rehäugig gespielt wird, sofort ins Herz. Arne leidet unter einer posttraumatischen Amnesie – vor allem leidet er unter dem Verlust seiner Familie. Da versteht es sich, dass es ihm schwerfällt, sich in der neuen Umgebung zu akklimatisieren, zwischen Harald, seiner Frau Elsa (Suzanne von Borsody) und deren drei halbwüchsigen Kindern Hans, Lars und Wiebke einen Platz zu finden.

Es ist die Geschichte eines Scheiterns, die dieser Film getreu der Vorlage erzählt: die eines traumatisierten, hübschen und dazu noch begabten, sich selbst die finnische Sprache beibringenden Jungen, der es allen recht zu machen versucht und dabei bis zum bitteren Ende einen Rückschlag nach dem anderen erleidet. Das lässt man sich zunächst gefallen. Arnes drei neue Geschwister wirken einigermaßen authentisch, selbst frische Popmusik von den Killers bis Catpower ist zu hören. Aber wie repräsentativ ist es, wenn mehrere Jugendliche sich als „Strafarbeit“ brav an der Restaurierung eines Schiffes beteiligen? Ist das nicht der ewig unerfüllte Traum eines jeden „Jugendheim“-Leiters?

Das zerrt an den Nerven. Mehr aber noch zerrt daran das Nichtspiel des Stammschauspielers aller Lenz-Verfilmungen, Jan Fedder. Der ist hier vor allem dazu da, das viele Lokalkolorit mit einer typischen Figur anzureichern. Für ihn hat man auch die Erzählperspektive von Lenz (Icherzähler ist der Arne zugetane Jugendliche Hans, zwei Jahre nach Arnes Tod) aufgegeben. Wenn Fedder mit melancholischem Blick und einer Flasche Bier in der Hand neben seiner ebenfalls nunmehr als Statistin mitwirkenden Kollegin Susanne von Borsody sitzt, weiß man, welches Hamburger Stündchen geschlagen hat.

Am Ende bleibt der Eindruck einer irritierend kongenialen Verfilmung von Lenz’ Roman: viel Jugend, in der sich kaum ein Jugendlicher von heute wiederfinden dürfte, ein bisschen was fürs Herz, Hamburger Hafen, keine schlüssige Moral. Der letzte Satz ist der schönste des Films, ein Lenz-Satz, den Jan Fedder wieder mit Blick in Hafen und Nachthimmel sagt: „Arne hat unser Leben verändert. Jeden Einzelnen von uns. Seine Habseligkeiten haben wir aufbewahrt. Wiebke sagt immer: Es ist nur der kleine Teil seines Nachlasses. Den größeren tragen wir alle in uns“. Nur hat man davon 90 Minuten lang leider nicht so viel bemerkt.

Arnes Nachlass, ARD,

Mittwoch, 20 Uhr 15

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