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Konservativ-populistische Antwort auf die BBC. Der linksliberale „Guardian“ sagt dem Sender GB News bereits den Tod binnen eines Jahres voraus. Die konservative „Mail“ spottet, die Programme würden „wohl mit einer Mobiltelefon-Kamera gefilmt“.

© dpa

Neuer Briten-Sender GB News: Seelenverwandte auf Kanal 236

Wie der Nachrichtensender GB News den angeblich vernachlässigten Brexit-Wählern eine Stimme verleiht.

Wer seit einer Woche in Großbritannien den Fernsehkanal 236 einschaltet, sieht wenig und hört weniger. Auf dem Bildschirm erscheint, tief in Schatten getaucht, eine Schrankwand mit modernem Büromobiliar, dazu ein ausgesprochen künstlich aussehender Blumenstrauß. Im Vordergrund sitzt mindestens ein Mensch und spricht in die Kamera, wobei Bild und Ton nur selten ganz übereinstimmen. Zu verstehen, was die Damen und Herren zu sagen haben, gelingt erst nach Verdreifachung des gewohnten Volumens.

Willkommen beim Nachrichtensender GB News, mit dem rechte Investoren der als viel zu links empfundenen BBC sowie dem neuerdings zum US-Konzern Comcast gehörenden Sky News Konkurrenz machen wollen.

Mehr als 60 Millionen Pfund (70 Mio. Euro) haben Hedgefonds-Milliardäre und Investmentbanker in ihr neues Steckenpferd gesteckt. Weder die führenden Geldgeber noch Chairman Andrew Neil geben ihren steuerlichen Wohnsitz auf der Insel an, aber daran sind die Briten gewöhnt: Viele erfolgreiche Geschäftsleute lassen sich in Steuerparadiesen nieder. Gern teilen sie von dort aus den Medien – am liebsten jenen, die ihnen selbst gehören – mit, was alles schief läuft im Vereinigten Königreich.

Apropos United Kingdom (UK) – verspätet scheint man bei GB News bemerkt zu haben, dass die Abkürzung GB für Großbritannien die Nordiren ausschließt. Die Zuschauer sehen sich jedenfalls in großen Buchstaben mit dem Logo GB News UK konfrontiert.

Damit soll wohl der bei jeder Gelegenheit mitgeteilte Patriotismus all jener Brexit-Wähler verstärkt werden, an die sich der neue Sender explizit wendet. Ohnehin sind Namenseinblendungen und das berühmte Laufband am unteren Bildschirmrand in riesiger Schrift zu sehen, wohl ein Hinweis auf die nachlassende Sehkraft vieler älterer Medienkonsumenten.

„Wir sind stolz darauf, Briten zu sein“, teilte Neil bei Sendebeginn vor Wochenfrist den Zuschauern mit: GB News werde „nicht als Echokammer der Metropolen-Elite dienen, welche die Medien so sehr dominiert“. Die Geschäftsräume und das Studio des neuen Senders sind in London-Paddington angesiedelt. Zu den ersten Gästen zählten Brexit-Veteran Nigel Farage und Alt-Unternehmer Alan Sugar, Paradebeispiele der immergleichen Medien-Elite.

373 Beschwerden bei der Aufsichtsbehörde

Dass GB News von insgesamt 140 neuen Arbeitsplätzen lediglich ein gutes Dutzend für Techniker, hingegen 120 für Journalisten vorgesehen hatte, schien sich in der ersten Sendewoche zu rächen: Da fehlten Technik- und Computerfachleute an allen Ecken und Enden.

Dafür durfte Society-Kolumnist Dan Wootton seine gänzlich unwissenschaftliche Lockdown-Abneigung ausleben, was GB News 373 Beschwerden bei der Aufsichtsbehörde Ofcom einbrachte.

Deren Existenz und die Verpflichtung der TV-Sender auf Ausgewogenheit galt bisher als Garantie dafür, dass vollkommen einseitige Darstellungen von Politik und Gesellschaft auf der Insel wenig Chancen haben.

Die Reaktionen auf den britischen Fox- News-Verschnitt fielen sehr unterschiedlich aus. Der linksliberale „Guardian“ sagte GB News den Tod binnen eines Jahres voraus. Die konservative „Mail“ spottete, die Programme würden „wohl mit einer Mobiltelefon-Kamera gefilmt“. Hingegen dokumentierte der rechte „Telegraph“ die Freude über den neuen Seelenverwandten mit vier Sternen.

Begeistert scheint man auch in der Downing Street zu sein, wo Brexit-Premier Boris Johnsons engste Berater einen Feldzug gegen die BBC geführt hatten, ehe die Corona-Pandemie die hastige Rückkehr von Ministern zu dem weltberühmten Sender erzwangen, den die Briten für ihre bei weitem vertrauenswürdigste Nachrichtenquelle halten.

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Für GB News standen schon in den ersten Sendetagen Finanzminister Rishi Sunak, Innenminister Priti Patel und andere Tory-Prominenz zu exklusiven Interviews zur Verfügung. Die Einschaltquoten waren entsprechend: Zum Auftakt habe man „deutlich mehr Zuschauer“ gehabt als die Konkurrenz, freute sich Chairman Neil.

Dass die BBC im vergangenen Jahr den 72-jährigen Fernseh-Veteran hat ziehen lassen, könnte sich noch als Fehler herausstellen, verleiht der glänzend vernetzte Glasgower GB News doch einen Glanz, den viele der Ko-Moderatoren vermissen lassen. Die technischen Kinderkrankheiten dürften dabei auf Dauer wohl kaum ins Gewicht fallen.

Beim Start von Sky News und dem BBC-Newskanal habe es sie auch gegeben, erinnern sich Veteranen. Entscheidend für den – gewiss ohnehin nicht finanziellen – Erfolg des neuen Senders dürfte sein, wie groß nun der Appetit der Briten auf ideologisch dezidiert eingefärbte Nachrichten wirklich ist.

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