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Netzwerke: Sozialradar

Nie mehr alleine ausgehen: Neue Apps wie „Find my Friends“ oder „Banjo“ suchen die Umgebung nach Freunden ab.

Es soll Leute geben, die nicht allein auf Partys gehen, weil sie fürchten, der Gastgeber – der mutmaßlich einzige Bekannte – werde zu beschäftigt sein, um sich mit ihnen zu unterhalten. Bevor sie allein zwischen Türrahmen und Buffet hin- und herschleichen und so tun, als suchten sie Krümel im Weinglas oder neue Mails auf dem Smartphone, bleiben sie lieber gleich zu Hause. Zumindest in den USA soll so ein Verhalten seltener geworden sein, seitdem es Apps wie „Find my Friends“ oder „Banjo“ gibt. Wer damit ausgerüstet ist, traut sich auf jede Party, denn die Apps scannen die Umgebung und zeigen an, wenn Bekannte aus der digitalen Welt in der Nähe sind. Das können Leute von der Facebook-Freundesliste sein, denen man im echten Leben noch nie begegnet ist, oder Twitter-User, von denen man bisher nur die Tweets kannte.

„Find my Friends“ und Co. machen Zusammenkünfte zu Veranstaltungen mit Netz und doppeltem Boden. Unterhaltungen können sich auf Menschen beschränken, die Freunde oder Interessen teilen. Denn auch Vorlieben werden auf dem Radar angezeigt. „Banjo“ speist Informationen aus Twitter, Facebook und dem Ortungsdienst Foursquare – die App verwendet dabei alle Informationen, die auf dem jeweiligen Kanal öffentlich gepostet wurden. Mehr als eine Million Smartphone-Besitzer nutzen diese „Freundschaftsalarmtechnologie“.

Das Smartphone ist zum Sozialradar geworden. Die Zahl der Apps für iPhone und Android-Handy wächst, mit denen man die nächste Umgebung sondieren kann: Homosexuelle finden sich mit Apps wie „Adam4Adam“ oder „Grindr“, Gelangweilte einen Gesprächspartner mit „Scan2Chat“ und Liebesbedürftige den nächstbesten Single mit „Girls around me“.

Man könnte sagen, solche Apps seien nur die Übertragung der Radarfunktion auf die soziale Ebene. Interaktive Karten à la Google Maps haben viele längst in den Alltag eingebunden. Sie zeigen uns den nahe gelegenen Italiener, Friseur oder Eisladen – inklusive verlinkter Kundenbewertungen. Kulturpessimisten sagen: Diejenigen Nutzer, die Sicherheit der Spontaneität vorziehen – also die, für die Sozialradars erfunden wurden –, haben künftig keinen Grund mehr, mutig zu sein. Wie bei der personalisierten Google-Suche werden sie sich demnächst in einer „Filter Bubble“ bewegen, in einer vom Smartphone vorsortierten, altbekannten Realität.

Dieses Szenario passt zu der zeitgemäßen These vom Verlust der Fähigkeit zur analogen Kommunikation, mit der die US-Soziologin Sherry Turkle populär geworden ist. In ihrem Buch „Verloren unter 100 Freunden“ (Alone Together) kritisiert sie das technikverseuchte Miteinander der Smartphone-Ära. Sie wettert gegen Kinder, für die eine halbe Stunde ohne Handy einem Entzug gleichkommt, und gegen Erwachsene, die selbst während einer Trauerfeier simsen und mailen, weil sie das eindimensionale Hier und Jetzt nicht mehr aushalten.

Der neue Mensch, sagt Turkle, bevorzuge eine Kommunikation, bei der er jederzeit die völlige Kontrolle über den Ablauf habe. Mails, Fotos und SMS statt eines echten Gesprächs mit seiner Direktheit in der Gestik, seinen Überraschungen und Längen. Eine Unterhaltung besteht nur noch aus unzusammenhängenden Info-Häppchen, die ständig und ohne Impulskontrolle herausgeschleudert werden. Die, die Sherry Turkle da meint, gehören nicht nur der Generation der Digital Natives an, im Gegenteil, sie behauptet, Kinder würden nur ihre Smartphone-hörigen Eltern nachahmen. Eltern, die nicht von ihrem Handy aufblicken, während die Tochter erzählt, was heute in der Schule passiert ist.

Aber man kann die Nutzung von Sozialradars auch genau umgekehrt deuten, als einen Gegentrend zur Kommunikation um ihrer selbst willen. Als Aufruf, sich mal wieder unter Leute zu begeben – schließlich geht es darum, Interaktion mit echten Menschen anzubahnen, von Angesicht zu Angesicht. Alexander Krex

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