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Erst kam das Video, dann kam die Oma. Der WDR-Beitrag wurde gleichermaßen zum Aufreger- und zum Nachrichtenthema.

© imago images/Future Image

Nachrichten und ihr Publikum: „Emotionen gehen schnell“

In Zeiten des „Umweltsau“-Videos: Gespräch mit Medienforscher Oliver Quiring über den Wert und Unwert von Nachrichten.

Herr Quiring, was läuft schief, wenn ein „Umweltsau“-Video tagelang die öffentliche Debatte bestimmt?
Mein erster Gedanke war, dass in der betreffenden Woche wohl nichts Wichtiges passiert sei. Das stimmt aber nicht. Es ist eher so, dass wir sehr empfindlich geworden sind und uns darin noch gegenseitig bestätigen. Die Bereitschaft, sich über alles und jeden zu empören, scheint stark zu wachsen. Sie lässt sich im Netz auch einfacher organisieren als früher. Früher hat man sich auch unnötig aufgeregt, aber das verpuffte mangels Feedback.

Noch eine These: Die Interessantheit einer Nachricht schlägt die Relevanz einer anderen um Längen. Womit auch das Gefälle im Interesse festgestellt ist.
Im besten Fall ist interessant, was relevant ist, also bedeutsam für das eigene Leben oder das Zusammenleben in der Gesellschaft. Fällt beides auseinander, ist das für mich ein Zeichen, dass keine ernsthaften Probleme vorliegen. Oder wir sie (noch) nicht sehen. Oder noch mal anders formuliert: Es erscheint mir als Luxus, die Zeit zu haben, mich für etwas interessieren zu können, was mich nicht direkt betrifft.

Haben die Zuschauer überhaupt spezifische Erwartungen an Nachrichten?
Die sind eher diffus und von Zuschauer zu Zuschauer und je nach Nutzungssituation recht verschieden. In der U-Bahn reicht beispielsweise die „Tagesschau in 100 Sekunden“ mit ihren sehr knappen Meldungen. Auf dem Sofa darf es dann gerne mehr und genauer sein. Aber sehr präzise sind die Erwartungen meistens nicht. Es ist bekannt, dass es Mediennutzern nicht leicht fällt, die Qualität von Nachrichten einzuschätzen. Es ist eher das unbestimmte Gefühl, dass gerade etwas nicht passt. Aber wie es stattdessen genau aussehen sollte, ist schwer zu formulieren. Fragt man danach, ist Nutzern schon die Wahrhaftigkeit, Verständlichkeit, Relevanz etc. von Nachrichten wichtig. Aber woran man das genau erkennen kann, ist ihnen oft nicht klar.

Prof. Oliver Quiring ist Leiter des Lehr- und Forschungsbereichs für Kommunikationswissenschaft am Institut für Publizistik der Universität Mainz.
Prof. Oliver Quiring ist Leiter des Lehr- und Forschungsbereichs für Kommunikationswissenschaft am Institut für Publizistik der Universität Mainz.

© Stefan F. Sämmer

Müssen die Nachrichtenmacher, insbesondere die des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, heute mit mehr Skepsis, ja Ablehnung rechnen, wenn es um die Glaubwürdigkeit von „Tagesschau“ oder „heute“ geht?
Erstaunlicherweise betrifft das Glaubwürdigkeitsproblem dieser häufig gescholtenen Sendungen im Schnitt der Gesamtbevölkerung noch am wenigsten. Und selbst die, die sie heftig kritisieren, nutzen sie. Um dem Problem näher zu kommen, muss man zwischen überlegter Skepsis und zynischer Ablehnung unterscheiden. Skepsis im Sinne von „Ich glaube nicht jeden Satz, den die senden, aber so im Großen und Ganzen ist das in Ordnung und wir brauchen sie“, schlug den Medien schon immer entgegen.

Und es ist durchaus wünschenswert, wenn Bürger sich für mündig erklären, sich entsprechend verhalten und durch ihre Kritik zu einer Verbesserung der Berichterstattung beitragen. Diese gesunde Skepsis hat aber abgenommen. Wir sehen eine stärkere Polarisierung, also einen kleinen, aber zunehmenden Teil der Bevölkerung, von dem recht unüberlegte und intensive Ablehnung ausgeht. Und einen anderen, deutlich größeren und ebenso wachsenden Teil, der ebenso unüberlegt Fan dieser Medien ist. Trotz aller Auseinandersetzung zum Thema hat das kritische Nachdenken über Medien eher abgenommen.

Sehen Sie die Tendenz, dass eigentliche Nebensächlichkeiten wichtiger genommen werden – weil sie eben emotionalisieren? Und zwar wichtiger genommen von Journalisten wie vom Publikum?
Ja. Emotionalisierbare Themen, wie beispielsweise Unfälle, Katastrophen oder Skandale wecken leicht unsere Aufmerksamkeit und verbreiten sich in den sozialen Medien schneller. Sie werden auch intensiver vom Publikum diskutiert als andere, eher spröde Themen. In Zeiten knapper Ressourcen machen sich das auch Redaktionen zunutze: viel Aufmerksamkeit bei wenig Aufwand. Recherche und Fakten sind teuer. Emotionen gehen schnell und sind leichter zu triggern. Und deshalb landet auch der WDR-Kinderchor prominent in der Berichterstattung, während man schon genau suchen muss, um Fundiertes zur Zins- und Geldpolitik der EZB zu finden.

Oft ist die Rede auch von der gesunkenen Aufmerksamkeitsspanne der Nutzer. Wenn das stimmt, sind die Nachrichtensendungen dann nicht heillos überladen?
Ob die Aufmerksamkeitsspanne tatsächlich generell gesunken ist, ist umstritten. Unabhängig davon sind Nachrichtensendungen, so wie Zeitungen auch, aus individueller Sicht immer heillos überladen. Kein Mensch sieht jeden Beitrag intensiv und voll aufmerksam. Mit sehr wenigen Ausnahmen liest auch niemand die Tageszeitung komplett durch. Das ist aber auch nicht Sinn des Mediums. Es geht eher darum, möglichst vielen ein Angebot zu machen, aus dem man auswählen kann.

"Staatsmedien" - gibt es nicht

Minister X sagte zum Thema Y… Was eine klassische Nachricht ist – aber auch nach bloßer Verlautbarung klingt. Steigt da der Aversionspegel?
Glaube ich nicht. Gerade, wenn es nicht nur Minister X, sondern im selben Beitrag auch noch Minister Y und Z sind, die zitiert werden, kann das durchaus interessant und vielfältig werden. Es sind weniger die gut recherchierten und faktenbasierten Nachrichten, die Aversion erzeugen, als beiläufig eingeflochtene journalistische Meinungen, die denen einzelner Nutzer widersprechen. An dieser Stelle liegt eines der Kernprobleme: die Bereitschaft, dem eigenen Standpunkt widersprechende Ansichten zu akzeptieren, sinkt. Es ist aber nicht nur ein Problem des Publikums: Im Journalismus wird die saubere Trennung von Nachricht und Kommentar häufig nicht durchgehalten.

Braucht es deswegen einen Nachrichtenjournalismus, der transparenter, dialogbereiter, bürgernäher arbeitet, damit der Vorwurf der „Staatsmedien“ ins Leere läuft?
Mit dem Vorwurf der „Staatsmedien“ kann ich nichts anfangen. Trotz sicherlich vorhandener Vernetzung von einzelnen journalistischen und politischen Akteuren wäre es falsch anzunehmen, das politische System als Ganzes könnte den Journalismus dominieren und nach Gutdünken lenken. Das ist in einer Demokratie nicht organisierbar. Und es scheitert sehr wahrscheinlich auch an den Journalisten selbst. Mir ist selten eine Berufsgruppe untergekommen, die renitenter nach eigenen Vorstellungen agiert. Am ehesten akzeptiere ich noch den Vorwurf, dass sich Journalisten sehr stark an anderen Journalisten orientieren und sich so etwas wie journalistische Eigendynamiken entwickeln. Insofern: Transparenz, Dialogbereitschaft und Bürgernähe schaden sicher nicht.

Das Interview führte Joachim Huber.

Prof. Oliver Quiring ist Leiter des Lehr- und Forschungsbereichs für Kommunikationswissenschaft am Institut für Publizistik der Universität Mainz.

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