zum Hauptinhalt
Neues Gerichts-TV. Nicht einfach nur „Skandal“ brüllen – Ingo Zamperoni befragt die Schöffen Ingrid Steffens und Uwe Blohm.

© NDR/doc.station

Gerichts-TV mit Ingo Zamperoni: Menschen sind fehlbar

"Das soll Recht sein?": Ingo Zamperoni diskutiert Justizfälle, die Schlagzeilen gemacht haben.

Gerichte, sagt Ingo Zamperoni zum Auftakt der ersten Ausgabe von „Das soll Recht sein?“, sollen für Gerechtigkeit sorgen, „aber manche Urteile machen uns fassungslos“. Im Rahmen der ARD-Themenwoche „Gerechtigkeit“ stellt der „Tagesthemen“-Moderator an drei Abenden hintereinander im NDR Fernsehen Urteile vor, bei denen „zwischen der Rechtsprechung und unserem Gerechtigkeitsgefühl Welten liegen“.

Die Fälle sind spielfilmtauglich: Warum darf ein Mensch, der zu Unrecht freigesprochen worden ist, nicht nochmals vor Gericht gestellt werden? Kann eine Frau, die ihren tyrannischen Mann umbringt, auf mildernde Umstände hoffen? Zum Auftakt geht es um die Anschuldigung eines damals 15-jährigen Mädchens, das 2001 einen Mann der mehrfachen Vergewaltigung bezichtigt hat. An dessen Schicksal hat offenbar auch die „Panorama“-Redaktion (ebenfalls vom NDR) regen Anteil genommen, wie diverse Ausschnitte belegen. Ralf Witte hat stets seine Unschuld beteuert, aber obwohl ein Gutachter die Glaubwürdigkeit der anscheinend psychisch labilen jungen Frau bezweifelte, wurde er zu über zwölf Jahren Haft verurteilt.

Die Idee, alte Fälle zu beleuchten, die für Schlagzeilen gesorgt haben, ist natürlich nicht neu. Das NDR-Format geht jedoch einen anderen Weg. „Das soll Recht sein?“ ist ein Hybridformat, die Rekapitulation des Falls ist nur die eine Seite des Konzepts. Mit den guten, alten Gerichts-TV-Shows am Nachmittag der 1980er und 90er Jahre hat das nichts zu tun. Die Sendung soll zeigen, wie Einschätzungen vor Gericht entstehen, welche Faktoren eine Rolle spielten, welche Fehler passieren und welche Wendungen entstehen könnten, sagte Christoph Bungartz vom NDR der dpa.

„Es sollte keine Unterhaltungsshow sein und wir wollten auch nicht einfach nur „Skandal“ brüllen, sonst hätten wir auch Fälle erfinden, nachspielen und eine Gerichtsshow daraus machen können.“ Herzstück der drei Ausgaben ist eine von Zamperoni moderierte Diskussion mit vier Schöffen, die sich gemeinsam einen Film über den Fall anschauen und den Prozess kommentieren („Menschen sind fehlbar“).

Dekorativ zu Boden fallende Blutstropfen

Die Männer und Frauen, die mit den behandelten Fällen nichts zu tun hatten und unvoreingenommen urteilen können, sind zwar juristische Laien, haben durch die ihre langjährige Tätigkeit aber Einblick in die Verfahrensweise. Anfangs sind ihre Äußerungen noch hörbar um Ausgewogenheit bemüht, aber mit zunehmender Dauer beziehen sie hier immer konkreter Stellung, was allerdings auch an Wittes tragischem Schicksal liegt.

Er wurde im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens freigesprochen, ist nach der traumatisierenden Erfahrung eines Fehlurteils und fünf Jahren Gefängnis aber nicht mehr arbeitsfähig und somit mit Anfang fünfzig Frührentner.

Der Bericht über den Fall enthält zwar einige nachgespielte Szenen, die jedoch moderat inszeniert sind. Die einzige plakative Einstellung zeigt dekorativ zu Boden fallende Blutstropfen, die für die Selbstverletzungen der jungen Frau stehen. Die Diskussionsrunde ist deutlich dynamischer: Weil mit mehreren Kameras gefilmt wurde, wechselt immer wieder die Perspektive, gern auch mal mitten im Satz, was etwas effekthascherisch wirkt. Besonders blödsinnig sind die Einstellungen, die die Schöffen beim Betrachten des Films zeigen; erst recht, wenn ihre Köpfe den Blick auf den Monitor verdecken.

Es bleiben in der ersten Ausgabe dieses neuen Gerichts-TV-Formats auch einige wichtige Fragen offen. Entscheidenden Anteil an der Urteilsfindung hatte ein Gutachten, das der jungen Frau große Glaubwürdigkeit bescheinigte. Es gab noch ein Gegengutachten, aber der Autor ist vor Gericht nie aufgetreten: weil die Familie sich ihn nicht länger leisten konnte, wie es heißt.

Im Bericht wird der Mann zwar zum Verfahren befragt, nicht jedoch, warum er – wie es die Sendung nahelegt – nichts mehr unternommen hat, um Witte vor der Verurteilung zu bewahren. Seltsam auch, dass die „Gegenseite“ nicht zu Wort kommt. Die Anwältin der jungen Frau wird aus dem „Panorama“-Archivmaterial zitiert. Gleiches gilt für die Staatsanwaltschaft. Die hat sogar eine Akte unterschlagen, die die Glaubwürdigkeit des vermeintlichen Opfers erheblich erschüttert hätte.

„Das soll Recht sein?“, Montag, NDR, 22 Uhr, Dienstag und Mittwoch zwei weitere Folgen

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false