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Alwara Höfels

© ARD Degeto/Polyphon Pictures Gmb

TV-Krimi aus Venedig: Magie, Magie, Magie!

Trotz Promibesetzung und Venedigpracht tragen die TV-Gondeln im neuen ARD-Krimi keine Power.

Letzte Szene, die Räuberpistole wird zur Seite gelegt. Die Überforderungsmine der jungen Witwe hellt sich auf. Wir sind im Museum. Ihr Gesicht durchflutet eine Art Gedanke. Sie sagt zu ihrem Sohn: „Dein Vater wollte, dass alle diesen Botticelli sehen können.“ Sohnemann fragt: „Warum nicht seine Kopie?“. Mutter spricht: „Er war selbst Künstler. Er wusste, was ein Original  von einer noch so guten Kopie unterscheidet. Es ist nicht das Bild allein und es sind auch nicht die Augen all dieser Menschen. Aber wenn beides zusammenkommt, dann passiert etwas, was einzigartig ist. Eine Verbindung durch Raum und Zeit. Magie.“

Hmm? Während der Zuschauer noch mit der Erfassung der dunklen Worte beschäftigt ist, brechen Anna (Alwara Höfels, „Frau Müller muss weg!“) und ihr autistischer Sohn (Filip Wyzinski) in Jubel aus. „Magie, Magie, Magie.“ Der Sohn brüllt das Wort mehrere Male durch den Ausstellungssaal. Magie – die Museumsbesucher rätseln. Die TV- Zuschauer auch.

Magie ist ihnen den ganzen langen Film über selten begegnet. Stattdessen gab es unerbittlich längliches Krimitheater und  zu wenig von der herrlichen Faszination, die sich auf dem 55,4 mal 43 cm großen  „Profilbildnis einer jungen Frau“ ausbreitet, das der Renaissancemaler Sandro Botticelli zwischen 1475 und 1480 gemalt haben soll und das wohl Simonetta Vespucci zeigt. („Der Tod kommt aus Venedig“, Samstag, ARD, 20 Uhr 15)

Der Name klingt nach Wind und Entdeckung, Das Bild zeigt weibliche Entschlossenheit. Den Aufbruch in die Moderne, von der die Schöne noch nicht weiß, welchen Zumutungen sie ausgesetzt werden wird. Unter anderem einer wie dieser: in einer internationalen TV-Koproduktion mit bösen Jungs und Mädels Objekt eines Versteckspiels werden.

Den Film wie diesen hier kümmert Kunst nur, wenn sie Anlass für Verfolgungsjagden in Archiven gestattet. Wir sind dabei: Krimi frisst Kunst und erzeugt Völlegefühl.

Was das Drehbuch (Stefan Wild) und die Regie (Johannes Grieser) den Schauspielern abfordern, ist wenig.  Die Macher lassen die Heldin Anna (Höfels) wie die meisten anderen Schauspieler allein. Höfels muss sich mit knappsten mimischem Proviant von einer Verdächtigten- in eine Art Ersatz-Polizistinnen-Rolle hineinzwingen, nachdem ihr Mann Lukas Albrecht (Roman Binder), ein genialer Restaurator, unter rätselhaften Umständen in einem venezianischen Kanal ertrunken ist. Und er verdächtigt wird, am Verschwinden des Botticelligemäldes beteiligt zu sein.

Die Augen Höfels werden immer aufgerissener, je mehr die Frau über ihren Mann erfährt. Andere innere Veränderung darf Höfels nicht darstellen. In Schwarz-Weiß nachgereichte Szenen aus der Zeit, als Anna und ihr ermordeter Mann ein junges Paar waren, helfen nicht in die Tiefe der Figuren.

Eier ohne Eigelb

Wir sehen Höfels im weitem schwarzen Mantel  und werden lernen, dass sich darunter das besagte Botticelli-Bild verstecken lässt. Im Bermuda-Dreieck von frustrierter Polizei (Leonardo Nigro), einer hysterischen Museumsdirektorin (Julia Stemberger), einem mafiösen koreanischen Millonärsraffzahn (Hyun Wanner), leichtsinnigen Kunstpleitiers  und einem geläuterten Retter wahrer Kunst (Christopher Schärf „Braunschlag“), erlöschen Magie und der Zauber der Beschäftigung mit alter Malerei.

Immerhin. Wir lernen: Die Hühner, denen Anna in der verwahrlosten Wohnung ihres toten Mannes begegnet, legen Eier ohne Eigelb – für die Produktion mittelalterlicher Farben unerlässlich. Sonst triumphiert reinste Phantasie.

Wie sonst fast alles. Die herrliche Simonetta ist nicht, wie der Film  suggeriert, obdachlos oder von Fälschung bedroht und vagabundiert nicht , unter Miminnen-Paletots versteckt, durch Südeuropa. Das begehrte „Profilbildnis einer jungen Frau“ hängt seit Jahr und Tag in der Berliner Gemäldegalerie.

Mit Venedig hat es nichts zu tun. Ein Museum Gambrini am Lido ist als Stätte  großer Kunst reine Erfindung. Reale Museumsdrehs fanden ausschließlich in Wien statt.

Man könnte angesichts dieses pseudo-Wiener und venizianischen Versteckspiels vergessen, was für inspirierte Filme es zum Thema gegeben hat. Vor allem solche, die von der Realität inspiriert sind.

2014 beschäftige sich Arne Birkenstock in dem Dokumentarfilm „Beltracchi – Die Kunst der Fälschung“ mit einem der frechsten Figuren der Szene: mit dem 1951 in Höxter als  Wolfgang Fischer geborenen Betrüger. Mit ruhiger Hand zauberte er aus einer erfundenen Sammlung angebliche Werke berühmter Maler hervor und blamierte einen seriösen Kunstkritiker.

Dominik Grafs Thriller „Am Abend aller Tage“ mit Ernst Jacobi setzt sich mit dem Paradoxon auseinander, unbesitzbare Kunst besitzen zu wollen oder zu müssen. Der TV-Film erinnert an den Fall des 2014 verstorbenen Cornelius Gurlitt, der verhuscht und autistisch 1400 Gemälde aus der Hinterlassenschaft seines Nazivaters in einer Schwabinger Villa hütete.

Die fabelhafteste Drehbuchvorlage aus der Wirklichkeit bleibt die Geschichte von Lothar Malskat.  Der  in Königsberg studierende Maler wurde 1937 am Schleswiger Dom engagiert, um frühgotische Malereien zu restaurieren. Aber als Malskat auftragsgemäß Übermalungen entfernte, war keine Frühgotik zu sehen. Da griff  er selbst zum Pinsel und schuf eigene Produkte.

Auch der Umgang mit Fälschung braucht eine Wahrheit

Leider mit einem Truthahn, der zu Frühgotik-zeiten hierzulande unbekannt war. Kolumbus hatte seine Fahrt noch nicht unternommen. Die Nazis retteten den Einfallspinsel mit der Behauptung, die germanischen Wikinger hätten den schmackhaften Vogel schon vor dem spanischen Entdecker mitgebracht.

Nach dem Krieg machte sich der findige Lothar in Lübeck bei der Restaurierung der Marienkirche zu schaffen. Die kahlen Wände des Gotteshauses hatten plötzlich echte falsche Malskats. Wo vorher nichts gewesen war, war jetzt etwas, das Geld brachte. Die Sonderbriefmarken mit Malskats Phantasien (nun ohne Truthahn) brachten 180 000 D-Mark ein. Malskat zeigte sich selbst bei der Lübecker Staatsanwaltschaft an, und die Justiz hatte ein Problem: Wo nichts war, kann Verdienst bringendes Hinzugefügtes  eigentlich kein Schaden sein.

Das Gericht aber sah die Bilder „mit einem sittlichen Makel“ behaftet, der Kirchenvorstand darin „ein Ärgernis, das gottesdienstliches Handeln belastet.“ Malskat kam hinter Gittern, sein Ärgernis wurde abgewaschen. Und er wurde berühmt. Seine Malereien kamen ins Polizeimuseum. Seine Bilder sind heute Sammlerobjekte. Das ZDF sendete 1966 unter der Regie von Günter Meincke einen erfolgreichen Film über die Realsatire  mit Hanns Lothar in der Hauptrolle.

So sehen überzeugende Fälscherfilme aus:  Auch der Umgang mit Fälschung braucht eine Wahrheit. Scusi, Simonetta.

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