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Krimi: Keine Gnade

Eine Frau verschwindet: In Matti Geschonnecks neuem, starken Film spielen die Stadt Amsterdam und der "Kommissar-Beck"-Darsteller Peter Haber die Hauptrollen.

Es sind zwei Geschichten, die dieser Film erzählt: Da ist einmal eine Frau, Simone, noch gar nicht alt, die von der Alzheimer-Krankheit betroffen ist und allmählich aus der Lebensrealität hinausgleitet. Einmal verschwindet sie sogar tatsächlich, von einem Marktplatz, einfach so, sie weiß ja nicht, in welche Richtung sie gehen soll. Und dann ist da ein Mordfall, ein Junge wird tot im Gebüsch gefunden, manches weist auf einen Ritualmord hin. Wer wollte den Teenager aus dem Weg haben? Die Perspektive, in der aus den beiden Geschichten eine einzige wird, ist die des Kommissars Bruno van Leeuwen. Es ist seine Frau, die ihr Bewusstsein verliert, es ist sein Mordfall, den er aufzuklären hat. Und es ist die Aufgabe des Drehbuchautors Markus Busch (nach Motiven des Romans „Und vergib uns unsere Schuld“ von Claus Cornelius Fischer) und des Regisseurs Matti Geschonneck, diese Verschränkung zu leisten. Keine leichte Aufgabe. Aber sie ist geglückt.

Einen starken Beitrag dazu leistet Peter Haber als Bruno van Leeuwen, beim Publikum bekannt und beliebt als schwedischer „Kommissar Beck“. In seiner Langsamkeit, die eine rasche Auffassung und eine rührige Intuition kaschiert, mit seinem friedlichen Gesicht, das sich plötzlich zur Aggression zusammenziehen kann, gibt dieser Ermittler in Amsterdam eine ebenso glaubwürdige Figur ab wie in Stockholm. Seine Autorität ist sanft, aber unanfechtbar. Wenn er sein Ohr lange genug in die kriminelle Szene, ihre Geräusche und ihr Gerede, hineingehängt hat, erkennt er die Zusammenhänge. Dann gibt es keine Gnade für die Bösen.

Nun ist dieser Kommissar noch mit einer kranken Frau – Maja Maranow spielt Simone als eine anmutig, ratlos in sich Gekehrte – geschlagen, der er nach wie vor in Liebe verbunden ist. Deren Nähe er, ganz wie sie die seine, braucht. Nur an wenigen Stellen lässt sich das häusliche Unglück mit van Leuuwens Berufstätigkeit praktisch verbinden. So etwa, wenn Bruno eine junge Kollegin, die Italienisch kann, bittet, ihr einen Brief an seine Frau zu übersetzen. Das ist eine recht kühne Wendung in dem sonst eher melancholisch grundierten Handlungsstrang rund um die Ehe mit der entrückten Partnerin. Bruno entdeckt eine Episode aus Simones Vergangenheit, von der er bislang nichts wusste. Er zieht die Unglückliche geradeso zur Rechenschaft, als könnte sie ihm auf Augenhöhe begegnen. Das ist eine überzeugende Schlüsselszene für eine wichtige Aussage, die der Film macht: Krankheit, Demenz, Abschied, all das muss am Grundton der Gefühle, die der Zurückbleibende für die „Verschwindende“ hegt, nichts ändern.

Der Fall, den van Leeuwen löst, ist sehr ungewöhnlich. Und wäre van Leeuwen nicht in einer sonderbaren, der Grenzerfahrung aufgeschlossenen Verfassung, hätte er die Lösung möglicherweise verfehlt. So aber ahnt er bald, was los war mit dem Jungen im Gebüsch, während sein Gegenspieler, der oft in Papua-Neuguinea weilende Josef Pieters, gespielt von einem glänzenden Tobias Moretti, sich seiner Überlegenheit allzu sicher ist. In jenen Szenen, die im Duell zwischen Polizist und Verdächtigem Stärken und Schwächen der Kontrahenten herausarbeiten, lässt die Regie den Schauspielern viel Zeit für Blicke, umwölkte Stirnen, abstürzendes Lächeln, für beiderseitiges Lesen in den Mienen des je anderen. Fernsehfilmkunst vom Feinsten.

Es gibt noch einen Mitspieler in diesem Film: die Stadt Amsterdam. Man sieht ihre Türme, Grachten, Brücken und Häuserfronten und möchte sofort einmal hin. Das Erfolgsgeheimnis von „Commissario Brunetti“, eine schöne, alte Stadt mitspielen zu lassen, wird hier wieder aufgenommen, keine schlechte Idee.

„Eine Frau verschwindet“,

ZDF, 20 Uhr 15

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