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Ein halbes Jahr lang begleiteten die Dokumentarfilmer „Bild“ mit ihren Kameras – und filmten dabei besonders häufig, wie Deutschlands Politiker über das Videoangebot von „Bild Live“ den Zugang „zur breiten Masse der Bevölkerung“ suchen. Foto: C.Michaelis/Amazon Prime

© Christoph Michaelis/Amazon Prime

Amazon-Doku über „Bild“: „Jetzt können wir uns Kuba zuwenden“

Zu nah dran? Warum die Amazon-Reportage „Bild.Macht.Deutschland“ dennoch aufschlussreich ist.

Den Titel der Amazon-Dokumentation „Bild.Macht.Deutschland“ hätte die Marketing-Abteilung der Boulevardzeitung auch nicht besser hinbekommen. Natürlich wird der Name an erster Stelle genannt, schließlich ist es „Europas größte Tageszeitung“ . Die Doppeldeutigkeit des Wortes Macht spiegelt einerseits die publizistische Bedeutung des Blattes wider und bringt andererseits zum Ausdruck, in welchem Maße „Bild“ Meinungen macht. Und versteht es sich nicht von selbst, dass „Bild“ und Deutschland in einem Atemzug genannt werden?

Auf den ersten Blick mag es so scheinen, dass die von Jochen Köstler produzierte siebenteilige Amazon-Dokumentation jenem Gefühl von Omnipräsenz und Omnipotenz auf den Leim gegangen ist, das die „Bild“-Macher selbst umtreibt. Ein halbes Jahr lang hat das Team die Themenkonferenzen von „Bild“ mit Kameras begleitet, hat diverse leitende Journalisten vom Chefredakteur Julian Reichelt abwärts interviewt und ist mit Reportern der Zeitung zu den Corona-Hotspots bis nach Bergamo in Italien gereist.

[„Bild.Macht.Deutschland“, Amazon Prime, sieben Teile, ab Freitag]

Genau wie bei den Amazon-Dokumentation aus den Umkleidekabinen von Manchester City und Borussia Dortmund war Amazon offenbar auch diesmal wieder so dicht dran an den Akteuren, dass nicht nur die Corona bedingten Abstandsregeln keine Rolle spielten. Auch die gebotene journalistische Distanz wurde scheinbar missachtet. Doch genauer betrachtet besteht gerade in der unkommentierten Montage diverser Szenen die Stärke dieser besonderen Dokumentation. Denn so dicht dran war nach Günter Wallraffs „Der Mann, der bei Bild Hans Esser war“ wohl niemand mehr. Dass die Dokumentation im März einsetzt – also just beim ersten Corona-Lockdwon – ist dabei besonders erhellend. In solchen Großlagen sei „Bild“ immer besonders gut, heißt es am Berliner Hauptsitz des Boulevardmediums.

Mit dem Fernglas im Springer-Hochhaus

Dort gibt Julian Reichelt den Ton an. Der Chefredakteur scheint ständig unter Strom zu stehen. Vom Springer-Hochhaus hat er nicht nur seine 500 Reporter im Blick, von hier aus kann er auch mit dem Fernglas verfolgen, wenn zum Beispiel im Humboldt-Forum Rauch aufsteigt. Dann schickt er sogleich einen Journalisten mit dem Fahrrad zum Nachschauen los. Apropos Rauch. In gefühlt jeder zweiten Einstellung sieht man Reichelt mit einer Zigarette im Mund. Und wenn er mal nicht rauchen kann, reißt er eine Packung Gummibären auf.

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Wenn Julian Reichelt in Fahrt kommt, präsentiert er China via „Bild“ auch gerne mal die Corona-Rechnung. Schließlich habe das Land in den vergangenen 60 Jahren nichts anderes erfunden als Viren. Blattmacher Florian von Heintze erklärt, dass „Bild“ nun eben auch Boulevard sei, ein Medium des klaren Wortes, das im Journalismus sonst zu wenig ausgesprochen werde, möglicherweise aus Angst, in eine bestimmte Ecke gestellt zu werden. „Was oft genug mit uns passiert.“

China ist jedenfalls not amused, der Botschafter protestiert. Alles gut, meint Chefredakteur Reichelt. „Wir haben einen erzieherischen Effekt erreicht, jetzt können wir uns Kuba zuwenden“, freut er sich in der Themenkonferenz. Die Dokumentation nimmt die Zuschauer mit zu mehreren solcher „Bild“-Momente. So kann man beispielsweise die Kampagne gegen den Virologen Drosten („Warum trauen alle diesem Wuschelkopf?“) aus der Innensicht nachverfolgen. Dass dies selbst Springer-Chef Mathias Döpfner und Verlegerin Friede Springer zu weit ging, erfährt man allerdings nicht.

Dafür aber, wie die Politik die Nähe zu „Bild“ sucht. Ständig sieht man schwarze Limousinen vor die Springer-Zentrale fahren, wie sonst nur bei Krisensitzungen im Kanzleramt. Entsprechend äußern sich die Politiker über „Bild“. Für Außenminister Heiko Maas ist die Zeitung ein „richtig gutes Instrument für die Politik“, weil sie einen Zugang „zur breiten Masse der Bevölkerung“ vermittle. Für Innenminister Horst Seehofer orientiert sich „Bild“ „sehr an der Wahrheit“, das sei für die Bevölkerung am ehesten hilfreich“.

Mehr als „Bild, BamS und Glotze“

Kritisiert wird höchstens zwischen den Zeilen. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner meint: „Jeder Politiker hat ein ambivalentes Verhältnis zur ,Bild‘-Zeitung. Sie greift Stimmungen auf und macht Stimmungen.“ SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagt, dass es zwar mehr gebe als „Bild, BamS und Glotze“, dass man aber dennoch im Dialog bleiben und miteinander auskommen müsse. „Das klappt mal mehr, mal weniger.“

Die wichtigste Botschaft, die „Bild“ mit der Doku unters Streaming-Volk bringen darf, betrifft die geänderte Ausrichtung der Marke. Titelseiten von „Bild“ sind nur noch vereinzelt zu sehen, im Fokus steht die Videoplattform „Bild Live“. Kein Politikerbesuch ohne anschließendes TV-Interview plus „Breaking News“.

Dass kein anderes Medium in Deutschland so polarisiert wie „Bild“, kommt durchaus zur Sprache. Dadurch wird das Medium schließlich erst interessant für eine solche Dokumentation. Was fehlt ist jedoch eine Art Beipackzettel, unter anderem mit dem Verweis, wofür „Bild“ alles eine Rüge vom Presserat bekommen oder an welchen Stellen der „Bildblog“ der Zeitung eine Falschmeldung nachgewiesen hat. Aufschlussreich ist die Dokumentation dennoch, frei nach dem Motto: „Bild Dir Deine Meinung!“

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