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Gerne auf dem Tempelhofer Feld. Pfarrer Alexander Höner

© rbb/Oliver Ziebe

Pfarrer Alexander Höner und das „Wort zum Sonntag“: „Ich bringe Gott ins Spiel“

Pfarrer Alexander Höner ist neuer Sprecher beim „Wort zum Sonntag“: Ein Gespräch über Optik, woke Predigten und Jesus-Freaks.

Pfarrer Alexander Höner ist in Guatemala geboren. Ging in Hamburg zur Schule, studierte dort, außerdem in Philadelphia/USA und auf den Fidschi-Inseln Theologie und Religionswissenschaften. Berufliche Stationen: Hamburg St. Pauli, Berliner Dom, Berlin Friedrichshagen. Heute ist er Leiter der Arbeits- und Forschungsstelle Theologie der Stadt im Kirchenkreis Tempelhof-Schöneberg. Er untersucht das Zusammenspiel von urbanen Lebensstilen und religiösem Glauben. Am 4. Advent predigt er im Abendgottesdienst im Berliner Dom. Und am 8. Januar spricht er sein „Wort zum Sonntag“ im ARD-Fernsehen.

Lieber Herr Höner, vom 8. Januar an ergreifen Sie in der ARD das „Wort zum Sonntag“. Sind Sie gecastet worden oder auf den verantwortlichen RBB zugegangen?

Unsere Rundfunkbeauftragte und frühere „Wort zum Sonntag“-Sprecherin Barbara Manterfeld-Wormit ist auf mich zugekommen und hat mich gefragt, ob sie mich für das Casting zum „Wort zum Sonntag“ vorschlagen könnte. Denn zwei evangelische Sprecher:innen würden demnächst aufhören. Ich stimmte zu, habe bei dem dreitägigen Auswahlprozess mitgemacht und bin nun einer der neuen Sprecher:innen.

Was motiviert Sie?
Dass man im TV auch anders über die religiöse Dimension des Lebens sprechen kann als Otto Waalkes in seiner berühmten Parodie „Das Wort zum Montag“. Der Gedanke, dass alle und alles miteinander zusammenhängen und dass es eine liebende Kraft gibt, die Gläubige !Gott! nennen – der Gedanke ist schön. Dieser Gedanke und das, was ich mit ihm erlebe, motivieren mich. Und ich rede darüber.

Fernsehen ist Optik. Was verändern Sie an Ihrer?
Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde: Auf das Äußere kommt es nicht an. Ich mache mir darüber Gedanken. Soll ich T-Shirts mit inhaltlichen Motiven tragen, wie zum Beispiel „LOVE“, „FAITH“ oder „RESPECT“ in großen Lettern oder die Zeichnung eines vermummten jungen Mannes, der einen Blumenstrauß wirft? Mal sehen. Ich will ich sein, anders kann ich nicht sein.

Das „Wort zum Sonntag“ ist auch Arbeit. Wie kommt der Beitrag zustande?
Am Montag gibt es eine redaktionelle Runde. Da wird gemeinsam besprochen, welche Themen gerade obenauf liegen. Erste Vorschläge werden gemacht, Ideen diskutiert. Danach habe ich einen Zettel und einen Bleistift in meiner Manteltasche und darauf notiere ich mir Dinge, die mir im Alltag auffallen. Ich schreibe einen ersten Text, verschicke ihn an die Redaktionsleitung und an verschiedene andere Leute und bekomme ihre Reaktionen. Die arbeite ich dann weiter ein. Es ist wie beim Tischlern: Immer wieder geht man zurück an sein Werkstück, bis man zufrieden ist. Das bedeutet nicht, dass alle Widerstände verschwunden sind. Der Text kann an einigen Stellen auch kantig, aufrüttelnd bleiben. Er muss berühren und Lust zum Zuhören machen – auch wenn die/der Zuschauer:in anderer Meinung ist.

In der Kirche sprechen Sie zu den Gottesdienstbesuchern, beim „Wort zum Sonntag“ sprechen Sie zu einem imaginierten Publikum. Haben Sie eine bestimmte Vorstellung von den Hörerinnen und Hörern, von den Seherinnen und Sehern?
Im Gottesdienst sehe ich die Menschen. Ob sie traurig aussehen, ob sie lächeln. Wie sie auf bestimmte Dinge, die ich sage, reagieren, gelangweilt oder mit großen Augen. Ich kenne viele von ihnen und ihre Lebensgeschichten. Ich habe einmal komplett etwas anderes gepredigt, als ich vorbereitet hatte, weil überraschend eine Familie da saß, von der ich wusste, dass sie gerade um einen lieben Menschen trauert, der viel zu früh gestorben war.

Wer ist am Samstagabend noch lange wach, wer schaut sich die „Tagesthemen“ an und lässt sich danach noch auf dieses in der Medienlandschaft ungewöhnliche Format ein: Der 5-Minuten-Christlich-Religiöse-Blick auf das Leben? Ich glaube, unter den durchschnittlich 1,4 Millionen Zuschauer:innen finden sie alle: vom Punk bis zur Polizistin, vom Azubi bis zur Anwältin. Und alle mit einer gewissen Neugier: Ist heute für mich etwas dabei? Gedanken, Geschichten, mit denen es sich besser durch das je eigene Leben gehen lässt, die den eigenen Blick weiten und die sagen: Du bist nicht allein.

Soll das „Wort zum Sonntag“ eine woke Predigt sein, also ein Appell ohne Appellcharakter?
Bei der Kombination Predigt und Appell werde ich skeptisch – auch mit dem Zusatz „ohne Appellcharakter“. Ich würde es anders formulieren: Eine Predigt muss woke sein, muss wach machen. Das, was ich sage, macht andere wach für einen neuen Blick auf das Leben. Auf das ganz persönliche eigene Leben mit seinen Traurigkeiten und Freuden, aber auch auf die größeren Verhältnisse in der Welt. Und ich bringe dabei Gott ins Spiel. Wenn die Leute das Wort zum Sonntag hören, sollen sie im besten Fall denken: Mensch, das war ja ein interessanter Gedanke, so habe ich es bisher noch nicht gesehen – darüber will ich nachdenken, dem will ich nachfühlen, das will ich im eigenen Leben verändern.

Welche Themen müssen sein, welche dürfen es nicht sein?
Das, was die Menschen bewegt und beschäftigt, was Relevanz hat – genau das aus der Perspektive eines christlich glaubenden Menschen zu bringen, das muss sein. Themen, die nicht berühren, dürfen nicht sein.

Wenn Sie im ARD-Fernsehen zu uns sprechen, wer spricht da zu uns? Der Pfarrer, der Seelsorger, der Jesus-Freak, der…
Dann spreche ich: der Pfarrer, der Seelsorger, der Jesus-Freak, der Liebende, der Schlagzeuger, der Sammler von Flugzeug-Sicherheitsanweisungen, der Vater, der mit der lauten Lache, der Chaot, der Gescheiterte, der Gottes- und Hundeliebhaber, der Sinnsuchende, der Traurige, der Enthusiast, der Geschichtenerzähler, der Glaubende. Und nicht zuletzt: der ganz normale Mensch, der versucht, mit seinen Schönheiten und Schwächen halbwegs gut durchs Leben zu kommen und ja, vielleicht altmodisch: ein gottgefälliges Leben zu leben.

Sie leben und arbeiten in Berlin, eine Stadt, die mehr atheistisch als christlich-gläubig geprägt ist. Haben Sie mit Berlin als Erfahrungshorizont anderes zu sagen als Kolleginnen und Kollegen beispielsweise aus Baden-Württemberg?
In Berlin muss ich mich viel häufiger als religiöser Mensch rechtfertigen. Du glaubst wirklich an Gott? Wenn ich dann aber in verständlicher Sprache über meinen christlichen Glauben spreche und mein Gegenüber merkt: Hey, der ist gar nicht so abgedreht, der stellt sich selber auch kritische Fragen, und es ist schön, ihm zuzuhören, wenn er davon erzählt, was ihm wichtig ist und an welchen Überzeugungen und Werten er sein Leben orientiert - dann ist große Neugierde da. Durch diese kritischen Gespräche hat sich natürlich auch meine Glaubenssprache verändert und mein Glaube selbst. Er ist bodenständiger geworden. Berlin ist nicht die atheistischste Stadt der Welt, sie ist die Stadt mit der größten Skepsis vor schnell gesagten Plattitüden. Ehrliches Brennen für eine Sache und Realitätssinn werden in ihr belohnt.

Bald werden weniger als 50 Prozent der Deutschen Mitglieder in einer christlichen Glaubensgemeinschaft sein. Das "Wort zum Sonntag" wird auch diese Entwicklung überleben?
Das „Wort zum Sonntag“ ist nach der „Tagesschau“ die zweitälteste Sendung des deutschen Fernsehens. Es zeigt, dass das Format auch schon andere kirchenkritische Zeiten überstanden hat. In den letzten beiden Jahren hat es eine steigende Einschaltquote gegeben. Am 1. Advent schauten zum Beispiel 2,2 Millionen Zuschauer:innen die Sendung. Es gibt ein Interesse an religiöser Lebensdeutung unabhängig von der Entwicklung der Mitgliederzahlen. Ich bin davon überzeugt, dass die christliche Religion mit der Botschaft, dass Gott Mensch geworden ist, dass ich selber mehr bin als mein Können oder Nichtkönnen, weiterhin viele Menschen berühren wird. Sie ist ein mehrheitsfähiger Kompass dafür, ein sinnvolles und liebevolles Leben zu leben.

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