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Szenen in Kästen: Soulin (gelb), Mareike (orange), Romina (pink) und Alex (grün) meistern in Folge 8 eine wackelige Challenge.

© ProSieben/Richard Hübner;

Halbzeit bei GNTM: Wenn Soulin Syrien ins Spiel bringt

Die Modelshow ist zum Schlammcatchen ohne Schlamm geworden. Mittendrin die Kandidatin aus dem Bürgerkriegsland. Sie sollte gewinnen. Ein Zwischenruf.

Mit 16 dürfen Jugendliche sich eigenmächtig einige Eseleien erlauben, für die davor die Einverständniserklärung ihrer Eltern nötig war. Haarefärben beispielsweise. Das passt natürlich gut zu GNTM, Heidi Klums Modelshow, die inzwischen auch 16 ist und ebenfalls zunehmend eselig wird.

Um Modeln und Mode geht nun wirklich nur noch in Spurenelementen, es wird den Kandidatinnen auch nichts mehr beigebracht, sondern eher entrüstet reagiert, wenn einige von ihnen die gestellten Aufgaben, sorry: Challenges, nicht bewältigen. Die Mädchen sollten mal üben, bevor sie sich bewerben, damit sie auch etwas können, wenn sie ausgewählt werden, mokierte sich Heidi Klum in einer Folge. Naja, war das Sendekonzept nicht mal anders?

Stattdessen geht es um Akrobatik, Provokationen und „Personality“, was schlimmer ist als eine Auswahl nach Aussehen und Wandelbarkeit. Eigentlich müsste man ausschalten! Macht man aber nicht, sondern lässt nebenbei den Twitterhashtag #GNTM durchrauschen. Da wird gelästert oder gefeiert, wenn die zickige Linda zickt, die süße Ana wieder süß, die dynamische Dasha dynamisch, die launische Liliana launisch oder die schöne Romina schön ist.

Es ist eine einzige Soap, in der vor allem Kandidatin Soulin für kurze "Äh, die echte Welt gibt es ja auch noch"-Irritationen sorgt. Denn in der Seifenhaftigkeit der Sendung flackert immer wieder mal ihre Biographie als syrischer Bürgerkriegsflüchtling auf - und schafft einen atemberaubenden Kontrast. Zwar gab es auch schon in den Sendungen Schicksale, aber die blieben Einzelfälle. Soulin bringt ein aktuelles realpolitisches Drama mit Millionen Toten, Verletzten, Vertriebenen in die quietschebunte Rüsch-und-Plüsch-Welt. Und wie Syrien in der Globalpolitik wird Soulins Syriengeschichte in der Sendung runtergebuttert.

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Wenn sie inzwischen ihre Herkunft erwähnt, wird sowohl im Model-Loft mit den Augen gerollt als auch im Internet losgehämt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das auch damit zu tun hat, dass sie immer wieder heraussticht und darum zu den Top-Favoritinnen gehört.

Besonders arg, als in einer Folge ein Interview mit der Yellow Press anstand. Die Pressevertreter projizierten ein Foto von Soulin als etwa vierjährigem Mädchen groß an die Wand. Aus der Zeit, als die Welt noch heil für sie war. Das für sich könnte man schon grausam finden. Es trieb der Kandidatin dann auch erwartungsgemäß die Tränen in die Augen. Wen überrascht denn das?

Soulin erzählte von ihrer Flucht nach Deutschland – aber davon übernahmen die Pressevertreter nichts, sie schrieben stattdessen über den Zoff von Soulin und der zickigen Linda. Was Soulin empörte.

Der Zickenkrieg ist natürlich interessanter als Syrien

Nach allen Regeln irgendwelcher Werteskalen oder so ähnlich völlig zurecht. Hier eine Menschheitstragödie, ein Krieg mit ungezählten Toten, mit Folteropfern, einem grausamen Diktator, ein Europa, das an seinen eigenen Prinzipien scheiterte und die freiheitsliebende syrische Bevölkerung verriet, da ein bedeutungsloses „Du bist doof, nein du“. Und das Bedeutungslose gewinnt.

Die Hashtag-Twitterer quittierten das gehässig: „Arme Soulin……ohhhhhhhhhhhhhh“. Oder: „Soulin, keiner will deine Story lesen. Wir wissen, du kommst aus Syrien.“ Oder so: „Da haben wir den Beweis: Soulin will wegen ihrer Story und dem Mitleid gewinnen.“ Oder sarkastisch: „Ich wollte auch noch einmal die Lebensgeschichte von Soulin hören. 10x reicht nun wirklich nicht. Sehr dramatisch.“

Die versendete Herzlosigkeit ist trotz allem bemerkenswert

Ist schon klar, dass solche Formate und ihre Twitter-Fanclubs eben so sind – und dennoch: Die Seelen- und Herzlosigkeit, die sich da zeigt, ist bemerkenswert. Und sei es nur, weil sie als Anschauungsmaterial dafür taugt, wie politische Kälte durchsickert. No mercy, kein Mitleid. Soulin steht mit den Erfahrungen, die sie da macht, sicher nicht allein: Die Flüchtlinge, ungeliebt ohnehin, sollen sich einfügen und anpassen und etwas leisten, aber zackig. Aber bitte nicht zu gut werden. Dann wird ihnen ihre sicher auch biographiebedingte Strebsamkeit um die Ohren gehauen. Auch im Model-Loft gehen die Meinungen schwer auseinander, ob Soulins Ehrgeiz nun gut oder lästig ist.

Was eben noch Makel war, wird inzwischen als Privileg ausgelegt und auf dessen Nicht-Einpreisung bestanden. Nach der achten Staffelfolge am Donnerstag hieß es bei Twitter: "Soulin hat's heute echt geschafft, nicht über Syrien zu reden" und "Shit guys we didn't hear anything about Syria this week??".

So sieht es aus: Soulin hat eine „Story“, wie sie niemand sonst hat in dem Kandidatinnenfeld, und womöglich kann sie sogar ein bisschen davon profitieren. In der GNTM-Logik wäre das unfair. Weil die anderen ja nichts dafür können, dass sie im Frieden aufwachsen mussten. So verquer kann es werden, wenn es (keine) Fotos zu verteilen gibt. Schöner wäre es, Soulin gewinnt. Einfach als Entschädigung für alles, was sie erlebt hat. So könnte GNTM geradezu noch ein Fitzelchen deutscher Ehre in der Syrienpolitik retten.

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