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Günther Jauch

© Tsp

Günther Jauch und Gröning-Prozess: Die Banalität des Bösen

Der Talk am Sonntagabend: Günther Jauch setzt mit dem Fall Gröning das richtige Thema, das er verfehlt. Es waren auch die falschen Gäste.

In Lüneburg ist zur Zeit der 93-jährige Oskar Gröning angeklagt. Der frühere SS-Mann wird der Beihilfe zum Mord in 300 000 Fällen  beschuldigt. Gröning hatte eine Banklehre absolviert und sich mit noch nicht einmal 20 Jahren freiwillig zur SS gemeldet. Die setzte ihn seiner Vorbildung gemäß ein. Er verwaltete im Konzentrationslager Auschwitz die den Gefangenen abgenommenen Gelder, akkurat, wie man sich das von einem deutschen Bankangestellten vorstellt. Nur einmal hat er 30 Dollar abgezweigt, weil er auf dem Schwarzmarkt eine Pistole organisieren musste, für den Einsatz an der Rampe, da, wo selektiert wurde, denn bis zur Waffenkammer der SS war es einen Kilometer weit, und wenn man sich den Weg sparen kann…

Oskar Gröning ist kein Holocaustleugner, ganz im Gegenteil. Er steht zu dem, was er gemacht hat, und er erzählt vor dem Lüneburger Gericht so, ja, wie nennt man das, frisch von der Leber, wie das Leben so war, als Bewacher im KZ. Wenn Günther Jauch also die Frage stellt „Was bringt der Auschwitz-Prozess von Lüneburg?“, dann ist das genau die richtige Frage, denn man überlegt ja schon, ob das angemessen ist, mit einem 93-Jährigen vor Gericht. Die juristische Basis dafür hat das Münchner Landgericht im Demjanjuk-Prozess 2011 gelegt. Es urteilte damals, dass jeder, der in einem Lager der Nazis arbeitete, dessen einziger Zweck die Ermordung von Menschen war,  sich automatisch der Beihilfe zum Morde schuldig machte, auch wenn ihm selbst ein Mord nicht nachzuweisen war.

Jauch tut genau das nicht, was der Journalist tun müsste

Das alles kann der Zuschauer wissen, wird er aber in der Regel nicht. Jauch tut aber nun genau das nicht, was der Journalist – der er ja ist – jetzt tun müsste: Er leitet nicht in das Thema hinein, er erklärt nicht, was Sache ist. Sondern er lässt das Feld seinen Gästen mit ihren ganz individuellen Themensetzungen. Da ist die KZ-Überlebende Eva Mozes Kor, die Oskar Gröning getroffen hat, und ihm vorschlägt, er solle in die Schulen gehen, und sagen, dass der Judenmord wirklich stattgefunden hat, und der dadurch, als ehemaliger SS-Mann, die Holocaustleugner wirklich Lüge strafen könnte.   Da ist die "Spiegel"-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen, die erst nach dem Tod ihres Vaters erfahren hat, dass der selbst als politischer Häftling in Auschwitz war. Da ist der Historiker Michael Wolffsohn, ein Intellektueller, ein Historiker, der bei seinem Vis-à-vis, Justizminister Heiko Maas, sofort merkt, dass der nicht weiß, wer er ist, und der den das auch spüren lässt und ihm gleich reinreibt, dass die Erkenntnisse einer Historikerkommission seines Hauses nicht etwa sein Verdienst, sondern das einer Amtsvorgängerin sind.  Und Maas reagiert dann auch eher unbeholfen.

Was bringt der Prozess, war die Eingangsfrage. Bei Jauch wurde sie nicht beantwortet. Es waren eben die falschen Gäste für das Thema, oder die Wegweisungen fehlten. Oskar Gröning zeigt uns, das ist die Antwort, die Banalität des Bösen, wie Hannah Arendt im Untertitel ihres Buches „Eichmann in Jerusalem“ es formulierte. Das Grauen ist gleich nebenan, es ist in uns, wenn wir nicht aufpassen. Und der Widerstand dagegen fängt auch bei jedem von uns. Ob wir Mitläufer oder Gegenläufer sind, es liegt an uns. Aber vielleicht war dafür dann auch die Sendezeit zu kurz oder die Vielfalt der Fragestellungen zu groß.

Günther Jauch, Der Fall Gröning, ARD, 21.45 Uhr, Sonntagabend

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