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Schlimmer als die Erreger sind am Ende die Wirte, also der Mensch. Auf der Insel Sløborn herrscht das Gesetz des Pandemie-Dschungels, inklusive bewaffneter Gestalten in gelben Schutzanzügen.

© ZDF, Syrreal Entertainment/Christian Alvart

Fortsetzung der TV-Serie „Sløborn“: Existenzkampf im Wolfsrudel

Der Überlebenskampf in der ZDF-Neo-Serie „Sløborn“ geht weiter. Die zweite Staffel erzählt vom Jungsein unter Extrembedingungen.

Okayokay, ist ja gut, wir haben’s verstanden: Der Mensch ist des Menschen Wolf, einander allesamt feindseliger als wohlgesonnen, die destruktivste aller Arten – das schrieben schon Menschenkenner von Titus Plautus bis Thomas Hobbes, das zeigen verstörende Horrormärchen von „Walking Dead“ bis „Saw“, das machte auch die Neo-Serie „Sløborn“ deutlich, in der ein tödliches Virus fast alles von jener Pandemie vorwegnahm, die Monate nach der letzten Klappe den Erdball umrundete.

Viren und Vakzine, Aufstand und Chaos, Streit und Verschwörungsglaube: als der Action-Regisseur Christian Alvart die Zivilisation Mitte 2020 nach eigenem Drehbuch auf einer fiktiven Nordseeinsel kollabieren ließ, schien sich am Bildschirm also bloß die radikalisierte Fassung der epidemischen Wirklichkeit abzuspielen. Zwischenfazit nach acht Folgen: Schlimmer als alle Erreger sind am Ende die Wirte, also wir, Homo Sapiens, furchtbare Spezies. Immerhin: sie hat sich selbst überlebt. Zumindest jene Überlebenden der ersten Staffel, die anfangs der zweiten einsam und entzweit übers evakuierte Eiland stromern.

[„Sløborn“, zweite Staffel, ZDF Neo, Dienstag und Mittwoch ab 20 Uhr 15. Bereits jetzt in der ZDF-Mediathek]

Auf der einen Seite Evelin (Emily Kusche). Ohne Eltern, aber mit Babybauch versucht der Teenager seine drei kleinen Brüder durchzubringen und erhält Hilfe vom verhaltensauffälligen Schriftsteller Nikolai (Alexander Scheer). Auf der anderen Seite Freja (Karla Nina Diedrich), die sich mit ihrer Gruppe straffälliger Kids auf einem Bauernhof verschanzt und Sozialarbeit im asozialen Umfeld probt.

Denn rings um die Oasen herrscht das Gesetz des Dschungels in Gestalt gelber Schutzanzug-Geister, viriler Drogendealer, plündernder Piraten und einer Ödnis, der von Nahrung über Strom und Sprit bis Barmherzigkeit bald alles fehlt, was das Leben leichter machen könnte. Konjunktiv.

Eskalationsspirale sozialer Verwahrlosung

Im Indikativ nämlich erlebt Sløborn die Eskalationsspirale sozialer Verwahrlosung aller Katastrophenfilme. Auch hier ringt das Gute zwar verbissen um Restbestände einer moralisch grundierten Infrastruktur. Das Böse allerdings hat nichts Besseres zu tun, als sie gehässig lachend zu planieren. „Wir feiern einfach durch, bis die ganze Scheiße vorbei ist“, sagt Frejas abtrünniger Schützling Ella (Lea von Acken) beim bekifften Sex mit dem ganzkörpertätowierten Jan (Mads Hjulmand) und versucht von Folge zu Folge zügelloser, die landwirtschaftliche Notgemeinschaft zu unterwandern.

Wer am Ende des fünfstündigen Kulturkampfes gewinnt, bleibt dabei offen genug für weitere Fortsetzungen dieses hochgelobten Achtungserfolges deutscher Untergangsunterhaltung. Ihre Quintessenz aber bleibt dystopietypisch: wenn die Sonne der Zivilisation untergeht, werden nicht nur die Schatten der Zwerge größer, sondern auch ihre Kerbhölzer. Showrunner Alvart, der dem „Tatort“ die halbnackte Hollywood-Kanone Nick Tschiller bescherte, weidet sich folglich mit beeindruckender Bildgewalt seiner eigenen Kameraführung im Sumpf des humanistischen Niedergangs.

Die Musik untermalt die schlechte Laune auf der Insel

Hunde ziehen da hungrig durch Fuhrparks liegengebliebener Autos. Die eindrückliche Musik von Max Filges und Christoph Schauer lässt keine Zweifel an der schlechten Laune auf Sløborn. Als hätte das Virus meteorologische Folgen, liegt permanent trübes Dämmerlicht überm Drehort Norderney, den Szenenbildner Sylvester Koziolek nur minimal umgestalten musste, weil Ferieninseln der Nachsaison ohnehin zur menschenleeren Tristesse neigen. Umso seltsamer ist, warum ständig gleißendes Sonnenlicht in Häuser dringt, die ihre Bewohner trotz Energiemangel auch tagsüber mit Handys oder Kerzenlicht beleuchten. Aber gut: Effekthascherei ist diesem Genre genauso zu eigen wie die Schwarzweißmalerei menschlicher Eigenschaften.

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Entscheidender bleibt daher, mit wie viel Empathie für Jugendliche Christian Alvart seine Coming-of-Age-Erzählung fortschreibt. Den schwererziehbaren Devid (Aaron Hilmer) und Lobo (Zoran Pingel) dabei zuzusehen, wie sie am Abgrund Verantwortungsgefühl lernen, ist ähnlich glaubhaft wie Solveighs (Asia Luna Momand) und Hatices (Safinaz Sattar) Weg zur dunklen Seite der Adoleszenz.

Wenn einer dieser höchst diversen Teenager außer Kontrolle stirbt, trifft es zwar wie immer in der Filmgeschichte den dicken Nerd. Authentischer jedoch wurden deutsche Desaster-Fiktionen selten zuvor besetzt. Und Alexander Scheers drogensüchtiger Poet mit Schreibblockade ist allein schon viele der 300 Minuten Existenzkampf im Wolfsrudel Mensch wert. Staffel drei? Unvermeidbar!

Jan Freitag

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