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„Völlig verrückt! Genau so muss Olympia sein!“ ARD-Experte Felix Neureuther, 37, kann sich für sportliche Erfolge in China begeistern, nimmt aber auch gegenüber dem IOC kein Blatt vor den Mund.

© ARD/BR/Lisa Hinder

Abseits der olympischen Pisten: Felix Neureuther lässt sich auch als TV-Experte nicht den Mund verbieten

Begeisterungsfähig und kritisch zugleich: ARD-Experte Felix Neureuther kommentiert nach positiven Corona-Test aus dem Hotel.

Am sehr frühen Dienstagmorgen um drei Uhr deutscher Zeit brannte das Olympia-Feuer bei Felix Neureuther lichterloh. Der Österreicher Matthias Mayer war beim Super-G der Männer nach einem Beinahe-Fehlstart doch noch zu Gold gestürzt.

Und Neureuther, bis 2019 selbst aktiver Skirennfahrer und dreimaliger Olympionike (wenn auch ohne Metall-Krönung), war in der Analyse so sehr on fire – „Völlig verrückt! Super Nummer! Genau so muss Olympia sein!“ –, dass ARD-Moderatorin Jessy Wellmer ihr Gegenüber im Studio in Mainz „auf der Begeisterungsskala von eins bis zehn“ auf einer 13 verortete. Dabei hatte sich die Begeisterung für das Weltfest des Wintersports in Peking bei vielen Fans bis dato ziemlich in Grenzen gehalten. Auch bei Felix Neureuther.

Nachdem er vor Dienstbeginn am Sonntagmorgen positiv auf Corona getestet wurde, begab sich Neureuther in sein Hotel. Den Riesenslalom analysierte er per Videoschalte. "Mir geht's super, also alles gut", sagte er zu ARD-Moderatorin Jessy Wellmer.

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Am Montag vor dem Olympia-Start präsentierte die ARD-Reportage „Spiel mit dem Feuer – Wer braucht noch dieses Olympia?“ all die hässlichen Wahrheiten, die von der Farbenpracht der Eröffnungsfeier und dem Enthusiasmus für sportliche Höchstleistungen kaum zu übertünchen sind.

In Internierungslagern misshandelte Uiguren, Beton-Gigantomanie in den Bergen von Zhangjiakou und Yanqing und ein Internationales Olympisches Komitee (IOC), das unbeirrt an der Großartigkeit seiner Vergabepolitik festhält – der Film von Nick Golüke und Robert Grantner war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Auch weil da nicht ein Interviewprofi dem IOC-Direktor Christophe Dubi die richtigen Fragen stellte, sondern Felix Neureuther.

Um die nötige Aufmerksamkeit zu bekommen, hätte die ARD keine bessere Wahl treffen können als ihren weltbekannten Skistar in der Rolle des Presenters. Und nicht zuletzt ist dieser Felix Neureuther, 1984 in Garmisch-Partenkirchen in eine Skifahrer-Dynastie geboren, um scharfe Worte speziell gegen das IOC noch nie verlegen gewesen.

Das ist er auch an jenem Abend im Januar nicht, als er sich in eine Veranstaltung des Bayerischen Journalisten-Verbands hineinzoomt und seinem Ärger über die Farce in „Kina“ freien Lauf lässt: „Dem IOC geht es nicht mehr um den Sport, sondern nur noch um den Kommerz.“

„Du kannst nicht mit Schaufel und Bagger daherkommen und einen Skiort aus dem Boden stampfen.“ „CO2-neutrale Spiele? Entschuldigung, wenn ich das Wort in den Mund nehme: Das ist Bullshit.“ „Rektalabstriche bei den Snowboardern? Unfassbar! So was kann man keinem Menschen zumuten. Das hat nichts mit dem Wintersport zu tun, den wir so lieben.“

"Ich bin so ein kleiner Kritiker-Mensch"

Neureuthers engagierte Rede mündete schließlich in einem Appell: Er wünsche sich, dass alle Sportlerinnen und Sportler in Peking sich zusammentun und „gemeinsam an einem Strang ziehen“, damit sich am System Olympia etwas verändert. „Es bringt nichts, wenn nur ein Athlet den Mund aufmacht.“

Den Einwand, dass politische Botschaften wie etwa das Herniederknien vom IOC bestraft würden, lässt er nicht gelten: „Es muss wurscht sein. Dann sollen sie mal tausend Sportler bestrafen. Dann steht auf einmal keiner mehr da mit einer olympischen Medaille. Dann ist das das Ende der Olympischen Spiele.“

Ob er den Mut dafür auch als aktiver Sportler aufgebracht hätte? Felix Neureuther ist sich dessen sicher: „Ich bin ja, nennen wir es mal so, ein kleiner Kritik-Mensch, der sich ungern den Mund verbieten lässt.“ Schon in Sotschi, 2014, habe er „Dinge angeprangert“, die ihm missfielen.

Dem „Spiegel“ sagte er damals im Interview, was sich im Prinzip eins zu eins auf heute übertragen lässt: Beim Publikum entstehe mehr und mehr das Gefühl, Olympia würde nur noch dort stattfinden, „wo am meisten bezahlt wird“, das sei „definitiv der falsche Weg“. Seine Kritik sei nicht ohne Folgen geblieben, sagt Neureuther heute: „Es ist dann schon Druck ausgeübt worden, auch von offizieller Stelle, dass ich solche Dinge unterlassen sollte. Wie gesagt, ich lasse mir von niemandem den Mund verbieten.“

Als „Botschafter für Sport, Spaß, Fairness und Natur“ will sich Felix Neureuther ausweislich seiner eigenen Web-Präsenz verstanden wissen. Seinem Dienstherrn Bayerischer Rundfunk gefällt das sehr. BR-Sportchef Christoph Netzel, nach den Vorzügen Neureuthers gefragt, kommt aus dem Loben nicht heraus: Ein „Geschenk für jeden Sender“ sei er. Nicht nur fachlich „extrem gut“, sondern auch „unterhaltsam, g'scheit, bodenständig, bayerisch“.

Guter Draht zu den Athletinnen und Athleten

Dazu habe er einen guten Draht zu Athletinnen und Athleten. Dass er sich nach der aktiven Sportlerlaufbahn „für uns entschieden“ hat, stimmt Netzel, in Personalunion ARD-Teamchef Olympia 2022, „sehr froh“. Es gebe eine langjährige Verbindung zum Bayerischen Rundfunk. „Da ist was gewachsen.“

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Bei Olympia in Nagano schlüpfte Felix Neureuthers Vater, die Alpen-Legende Christian Neureuther, in die TV-Expertenrolle. Seine Mutter, „Gold-Rosi“ Mittermaier, ertüchtigte in den 70ern in der BR-Sendung „Tele-Ski“ die Leiber der Fernsehnation. So was prägt. Rosis Filius, inzwischen 37, setzt die Fitness-Tradition fort: Im Lockdown entstanden mit ihm die BR-Webserien „Olympia im Kinderzimmer“ und „Beweg dich schlau“ für distanzlernende Kids.

Auch das Unterhaltungsgen scheinen die berühmten Eltern, die zu ihren Hochzeiten Lieblinge des Showfernsehens („Dalli Dalli“) wurden, an Felix Neureuther vererbt zu haben. Er war bei „Schlag den Star“ und „Klein gegen Groß“. Berufliche Ambitionen hegt er auch als Kinderbuchautor und Unternehmer, als Umweltaktivist und Testimonial für Zahnpasta und Waschpulver.

Auch wenn er bei all seinem Tun „Werte“ und „Engagement“ an erste Stelle stellt, ist es aber auch so: Von den lukrativen Potenzialen der Fernsehvermarktung und des Sponsorings im Wintersport, die er in ihrer Gigantomanie so vehement anprangert, profitiert Felix Neureuther natürlich ebenso, wenn nicht noch mehr wie seinerzeit die Werbefiguren Mittermaier-Neureuther.

Das ist ihm sehr wohl bewusst. Und so findet sich in der erwähnten ARD-Reportage auch diese selbstkritische Einschätzung, die im Widerspruch steht zu seinem Rufen nach einem „back to the roots“ bei Olympischen Spielen: „Ich bin auch Teil dieser ganzen Industrie“, sagt er. Will heißen: Ohne die spektakulären Bilder für Millionen Wintersportfans gäbe es kein Werbeinteresse und keine Einnahmen. Events wie das jetzt in Peking sichern auch Felix Neureuther sein Salär. Früher als Sportler, jetzt als TV-Experte. Die Auflösung dieses Dilemmas bleibt er schuldig.

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