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Sprechen Thomas Pynchons "Die Ende der Parabel" in der Hörspielfassung von Klaus Buhlert ein: Manuel Harder, Max von Pufendorf, Golo Euler (von li.)

© SWR/Nirto Karsten Fischer

„Die Enden der Parabel“ als Hörspiel: Erst die Explosion, dann der Knall

Die Welt, ihre Verrücktheit, die Paranoia, jetzt ist Zeit dafür: Klaus Buhlert und seine Hörspieladaption von Thomas Pynchons „Die Enden der Parabel“.

Schade, auch Klaus Buhlert hat es nicht geschafft, Thomas Pynchon zu sehen. Pynchon ist ein Phänomen. Seit 1953 meidet der US-Schriftsteller die Öffentlichkeit. Man weiß, dass es ihn gibt, aber niemand weiß, wie er derzeit aussieht, ausgenommen vielleicht seine Ehefrau und sein Verleger. Pynchons Kurzauftritt in der Fernsehserie „Die Simpsons“ ist legendär, allerdings mit Einkaufstüte über dem Kopf.

Eines hat Buhlert, Deutschlands ehrgeizigster Hörspielmacher, aber doch vollbracht und uns damit gerade in diesen  rasenden Tagen des Stillstands, in der Zeit von Homeoffice und Social Distancing, ein Stück Weltkultur beschert: Pynchons Romanklassiker „Die Enden der Parabel“ als 14-stündiges Hörspiel, das am Freitag und Samstag an zwei Abenden ab 20 Uhr im Kulturradio SWR 2 gesendet wird. Mal keine Streamingserie, sondern etwas Größeres, für die Ohren.

Die Geschichte der Hauptfigur Tyrone Slothrop, ein US-GI und Mädchenjäger, der gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in London stationiert ist. Durch eine Art pawlowsche Konditionierung bekommt Slothrop Erektionen, wenn Einschläge deutscher V2-Raketen in London bevorstehen.

Ein Großteil des Romans ist der Suche nach dem Ursprung dieses seltsamen Zusammenhangs gewidmet, zwischen London, Peenemünde, dem zerbombten Berlin, dem Harz und Los Angeles. Gegen Ende „verschwindet“ die Figur Slothrop aus der Handlung, indem sie sich auflöst und von den anderen Figuren nicht mehr gesehen werden kann.

Die Enden der Parabel. Regisseur Klaus Buhlert.

© SWR/Antje Berghäuser

Doch was heißt hier schon Hauptfigur? 99 Rollen waren in Buhlerts Hörspieladaption von 37 Schauspielern zu besetzen. Destilliert aus 1200 Buchseiten, fast 400 meistens bizarr agierenden Figuren wie dem Statistiker Roger Mexico, seiner Geliebten Jessica Swanlake oder Dr. Kevin Spectro, nahezu undurchschaubaren Erzählebenen, wechselnden Erzählerstimmen und einer enzyklopädischen Themenvielfalt, analog der geometrischen Form der Parabel, der Flugbahn der deutschen V–Waffen.

Die Lektüre von Pynchons „ Die Enden der Parabel“ ist mindestens so eine Herausforderung wie die von „Ulysses“, „Der Mann ohne Eigenschaften“, den „Schlafwandlern“ oder „Moby Dick“ – alles literarische Werke, die Klaus Buhlert bereits erfolgreich und preisgekrönt in Mammut-Hörspiele geformt hat, alle im Bemühen, einen eigenen Ton, eine assoziative Komposition zu finden für das, was vielen doch als unlesbar erscheint.

Jetzt ist Zeit dafür. Die braucht es bei der Koproduktion von SWR und Deutschlandfunk (die CD-Edition erscheint ab 24. April im Hörbuch Hamburg; bis 26. April auch online in der Audiothek des Deutschlandfunk) – Zeit, Figuren und Stimmen wie der von Bibiana Beglau als holländische Agentin Katje Borgesius zuzuordnen.

Polyphonien, Echos, Stimmverzerrer, Lateinbrocken, Modern Jazz, Synthesizerklänge – mitten drin denkt man, die Gruppe Kraftwerk steht im Studio – mit allen Mitteln setzt Buhlert dem Opus Magnum Pynchons zu, das, man hört es heute noch, in seiner Zeit skandalträchtig war.

Da wird in einer Szene über Physik schwadroniert, in der nächsten eine Séance abgehalten, dann „das Licht des letzten Tages weggevögelt“, bevor eine Rakete empor steigt.

Darf da überhaupt ran gegangen werden? SWR-Hörspielchefdramaturg Manfred Hess ist es gelungen, Pynchon zum ersten Mal weltweit zu einer Bearbeitung seines Hauptwerkes für Kino, TV oder Radio zu bewegen. „Pynchon war klar, dass es bei solch einer Produktion Kürzungen und Streichungen geben musste“, sagt Buhlert, der „Die Enden der Parabel“ in den 70ern nach ein paar Kapiteln aus der Hand legte, ehe er es 45 Jahre später nochmals mit dem Pop-Art-Roman versuchte.

Sie sind vorhanden, die „displaced persons“ von damals

Dieser hat nichts von seiner Relevanz verloren. „Pynchon“, so Buhlert, „beschreibt alles: die Welt, die Zeit, ihre Verrücktheit, ihren Wahnsinn und die unvermeidliche Paranoia.“ Rohheit und Grausamkeit, wie Pynchon sie im Roman skizziert, hätten sich geografisch verlagert, aber sie seien vorhanden, die „displaced persons“ von damals, die Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten heute.

Der Schriftsteller „fand es wichtig, politisch brisante Szenen auch in der akustischen Fassung seines Romans zu belassen.“ Die von Kritikern als „obszön“ bezeichneten Textstellen sollten möglichst ohne Streichungen berücksichtigt werden. Auch Liedtexte sowie Gedichte im Roman sollten auf keinen Fall vertont werden. „Zitate ja, Songs nein!“ Anfangs habe Buhlert das bedauert und irgendwann begriffen, dass Pynchon sich wieder selbst treu geblieben ist.

Der Autor und Regisseur auch. Zweieinhalb Jahre war Buhlert mit dem Projekt beschäftigt, etwa 520 Produktionstage hat er im Studio mit dem Manuskript verbracht. Es sprachen ein: Bibiana Beglau, Golo Euler, Felix Goeser, Corinna Harfouch, Jens Harzer, Manfred Zapatka, Franz Pätzold als Erzähler oder Thomas Thieme.

Das Ergebnis, es ist so, wie es Bibiana Beglau sagt: Klaus Buhlert durchdringt komplexe Literatur in seiner ganz eigenen Art. Er liest, so komme es ihr vor, Literatur musikalisch.

Man kann dazu das Buch in die Hand nehmen, an Sätzen wie diesen hängen bleiben, übersetzt von Elfriede Jelinek: „Die Vorstellung einer Rakete, die man erst kommen hört, nachdem sie explodiert ist. Die Umkehrung! Ein Stückchen Zeit, fein säuberlich heraus geschnitten...ein paar Meter Film, die rückwärts ablaufen(...) ein Geist am Himmel.“

Dann wieder MP3, nichts schließt sich aus. Klaus Buhlerts Version der „Enden der Parabel“ ist die akustische Version eines Roadmovies, das durch die (damalige) Viermächtezone, Europa und durch die Welt hetzt und berichtet. Was will man weniger in diesen Zeiten, in denen man fast zum Stillstand gebracht wird?

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