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Schrankwand, RFT-Farbfernseher, Montag. Die Eingangssequenz vom „Schwarzen Kanal“ wirkte wie eine Endlosschleife im Fernsehen der DDR.

© dpa

Ein „Kanalarbeiter“ mit Ideologie: Karl-Eduard von Schnitzler, unbeirrbarer und unbeirrter Dogmatiker

Am 30. Oktober 1989 schloss Karl-Eduard von Schnitzler den „Schwarzen Kanal“ im DDR-Fernsehen. Das waren 1519 Ausgaben Propaganda pur.

Es hieß im DDR-Fernsehen bestimmt nicht „Zuschauer-Flow“, aber genau so war die Platzierung gemeint. Erst wurde der in Ost und in West sehr beliebte „Montagsfilm“ des Deutschen Fernsehfunks gezeigt, gleich darauf folgte „Der Schwarze Kanal“. Wobei der gewollte Zuschauerfluss oft zum Rinnsal wurde, die Quote schnurrte auf fünf Prozent runter, maximal 15 Prozent waren drin. Aber zu einem politischen Witz reichte es immer. Ein „Schnitz“ war jener Teil einer Sekunde, den ein Zuschauer brauchte, um nach dem Erscheinen von Moderator Karl-Eduard von Schnitzler auf dem Bildschirm um- oder auszuschalten.

Schnitzler und sein Programm hatten am 21. März 1960 Premiere. Schon die Eingangssätze waren glasklare Propaganda: „Der Schwarze Kanal, den wir meinen, führt Unflat und Abwässer. Aber statt auf Rieselfelder zu fließen, ergießt er sich täglich in Hunderttausende westdeutscher und West-Berliner Haushalte. Er ist der Kanal, auf welchem das westdeutsche Fernsehen sein Programm ausstrahlt – der Schwarze Kanal.“

Schnitzler verstand sich als Kanalarbeiter, ganz im Sinne des Leitsatzes von Hans Magnus Enzensberger: „Die Berührungsangst vor der Scheiße ist ein Luxus, den sich der Kanalarbeiter nicht leisten kann.“ Was die ARD, in West-Berlin der SFB und das ZDF nach Osten strahlten, wurde durch die „Kläranlage“ des am 28. April 1918 in Dahlem geborenen Berliners getrieben. Die 20 bis 30 Minuten zielten zu Anfang auf die ideologische Beeinflussung der Bundesdeutschen, ehe sie – im Zuge der Abgrenzungspolitik der DDR – auf die eigene Bevölkerung fokussiert wurden. Westen und Westfernsehen mussten im Sinne der SED-Ideologie bekämpft werden, um die eigene, überlegene Weltsicht subkutan zum Leuchten zu bringen. Wo die Sonne aufgeht und wo unter? Eben.

Ausschnitte aus dem Westfernsehen

Das Konzept der wöchentlichen Sendung war simpel: Aus Sendungen von ARD und ZDF wurden Ausschnitte genommen, aus dem Zusammenhang gerissen, Bösartiges wurde schneller gesucht als gefunden, ideologisch ummantelt, dem Parteigänger anheimgegeben, dem Klassenfeind zurückgeschickt. Also auch zu Gerhard Löwenthal, der mit seinem „ZDF-Magazin“ und im Gegen-Miteinander mit Schnitzler den Kalten Krieg als deutsch-deutsches Fernseh-Karo betrieb.

Dem „Schwarzen Kanal“ mit Schnitzler an der Spitze war alles ernst, todernst. Sollte jemals etwas als Satire gemeint gewesen sein, dann kam es als Zynismus, als Spott im Hohn-Format rüber.

Schon den Aufstand am 17. Juni 1953 hatte Schnitzler so kommentiert: „... wurde von bezahlten Provokateuren, vom gekauften Abschaum der Westberliner Unterwelt ein Anschlag auf die Freiheit, ein Anschlag auf die Existenz, auf die Arbeitsplätze, auf die Familien unserer Werktätigen versucht“. Im August 1962 verunglimpfte er den 18-jährigen Peter Fechter, der bei einem unbewaffneten Fluchtversuch vor laufender Kamera am Checkpoint Charlie verblutete, als „angeschossenen Kriminellen“.

Dem Chefkommentator des DDR-Fernsehens musste keiner vorsagen, was der Autor des „Schwarzen Kanals“ aufschrieb, auf dass es der Moderator in die Kamera sprach. Karl-Eduard von Schnitzler war ein unbeirrbarer und unbeirrter Dogmatiker. Seine auf ihre Weise langweilige Agitation drehte er nur dann runter, wenn ihm vom Politbüro bedeutet worden war, dass er Franz Josef Strauß mal nicht als „Kommunistenfresser“ attackieren sollte; der CSU-Vorsitzende fädelte den für die DDR überlebensnotwendigen Milliardenkredit ein.

Schnitzler besudelt die Nation

Schnitzler war der umstrittenste Journalist im Osten Deutschlands, trotzdem wird er in seiner ideologischen Trutzburg davon überrascht worden sein, dass er in der Bevölkerung zu den meistgehassten Systemvertretern gehörte – was sich noch vor dem Fall der Mauer, bei der Demonstration in Leipzig am 23. Oktober 1989, offen zeigte: „Schnitzler weg von Bild und Ton, der besudelt die Nation!“ Selbst das „Neue Deutschland“ schmähte ihn jetzt als „Nessie-ähnliches Fossil“.

Der Gemeinte nahm es zur Kenntnis, nicht aber zum Anlass, seine bisherige Leistung zu überdenken. In seiner wohl kürzesten Sendung am 30. Oktober 1989, dem Finale des „Schwarzen Kanals“, nahm Schnitzler, der mit tiefer Verachtung auf all die Wendehälse herabblickte, sich das Schlusswort. „Der Revanchismus bleibt uns erhalten. Der Klassenkampf geht weiter.“ Und als Resümee: „Einige mögen jubeln, wenn ich diese Fernseharbeit nun auf andere Weise fortsetze. Nicht, dass ich etwas zu bereuen hätte. Ich werde meine Arbeit als Kommunist und Journalist für die einzige Alternative zum unmenschlichen Kapitalismus fortsetzen. Auf Wiederschauen.“

Es gab kein Wiedersehen. Karl-Eduard von Schnitzler starb 2001. Seinen „Schwarzen Kanal“ hatte der Kanalarbeiter 1519 Mal gefüllt.

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