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Zeitungsmann und Publizist Theo Sommer sitzt in seinem Büro (Archivbild aus 2015)

© dpa/Daniel Reimann

Nachruf auf Theo Sommer: Ein großer Zeitungsmacher mit Witz und Esprit

Er war eine herausragende Gestalt im öffentlichen Leben: Als Publizist und Herausgeber gab Theo Sommer der „Zeit“ ihr unverwechselbares Profil.

Er war einer der bedeutendsten Journalisten seiner Generation; beschränkt man sich auf den Print-Journalismus, vielleicht der bedeutendste. Fast zwanzig Jahre war Theo Sommer Chefredakteur der „Zeit“, fast zehn Jahre in der Folge ihr Herausgeber. Dann weiter dabei unter dem etwas exotischen Titel eines Editor-at-Large - aber für die Instanz, die er in der Welt der deutschen politischen Publizistik darstellte, bildete diese beeindruckende Karriere nur den Rahmen.

Denn Sommer war ein großer Zeitungsmann und Publizist, eine herausragende Gestalt im öffentlichen Leben der jungen und noch der mittleren Bundesrepublik.

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Es ist wohl mehr als eine anekdotische Fußnote zu seiner Biographie, dass Sommer als Heranwachsender noch in die letzten Zuckungen des Dritten Reiches geriet – als 14-jähriger Adolf-Hitler-Schüler, Werwolf-Aspirant und überhaupt als ein Prototyp der verführten jugendlichen Fanatiker, in denen sich der deutsche Irrweg schaurig exemplifizierte. Er überlebte und gehörte zu denen, die die Chancen des neuen Anfangs mit Leidenschaft nutzten.

Der Sohn eines im Zweiten Weltkrieg in Afrika schwer verwundeten Offiziers absolvierte sein Studium in den Vereinigten Staaten und in Tübingen. Die Lokalredaktion der Rems-Zeitung in Schwäbisch-Gmünd war seine erste journalistische Adresse, dann öffnete sich für ihn der Weg in den überregionalen Journalismus - zur Hamburger „Zeit“, der er über fünfzig Jahre treu blieb.

Theo Sommer, ehemaliger Chefredakteur und Herausgeber der „Zeit“ (Archivfoto vom 16.06.2003)

© Klaus Franke/DPA/DPAWEB

Unter den Fittichen von Marion Gräfin Dönhoff, der wichtigsten Gestalt der Anfänge der „Zeit“, gehörte Sommer zu den jungen Leuten, die das Blatt in die Spitzengruppe der sich damals gerade entfaltenden deutschen Presselandschaft führten. Er war die herausragende Stimme von Talenten, die damals dem Blatt ein unverwechselbares Profil gaben - der Bonner Korrespondent Rolf Zundel, der Feuilletonchef Rudolf Walter Leonhard und die Reporterin Nina Grunenberg.

So wurde die „Zeit“ das liberale Flaggschiff der sich den Adenauerjahren entwindenden Republik. Da war es folgerichtig, dass Sommer Chefredakteur wurde, als sich die Gräfin 1973 auf die Rolle der Herausgeberin zurückzog.

Sommer verstand sich vor allem als Außenpolitiker

Dank seiner Mühen wurde die „Zeit“ zu einem Forum im außenpolitisch eher dürftig bestückten deutschen Blätterwald. Mit Lust und einem Sack voller Kenntnisse, den seine unbezwingbare Neugierde füllte, surfte er unermüdlich durch die Tiefen und Untiefen der Weltpolitik.

Und er reiste: Man hatte in der Redaktion den Eindruck, eigentlich komme Sommer immer von einer Konferenz zurück. Dabei blieb er im Grunde genommen ein „Mid-Atlantic-Man“, wie ihn der „Guardian“ einmal nannte.

Aber auch die Ost-und Deutschlandpolitik, damals ein großes Thema der deutschen Politik, hatte an dem Journalisten einen unermüdlichen Beobachter. „Denken an Deutschland“ hieß ein Mitte der sechziger Jahre von ihm herausgegebener Sammelband, und es war auch ihm zu verdanken, dass in der „Zeit“ immer über Deutschlandpolitik nachgedacht, über Deutschland debattiert wurde, wenn auch gelegentlich mit fragwürdigen Konsequenzen.

Er lebte das Leben in vollen Zügen

Theo Sommer war auch immer ein großer Zeitungsmacher. Konferenzen mit ihm waren nie langweilig, sondern voller Witz und Esprit. Aber auch in dieser Rolle war es der Autor, der mit seiner Liberalität und seinem Temperament beeindruckte.

Keiner legte wie er die großen Tangenten an das politische Geschehen, raffte den Stoff so brillant zu eingängigen Thesen - und der Connaisseur konnte in ihnen auch noch einen Hauch von Bildungsbürgerlichkeit auskosten, der im Leitartikel Cäsar, Napoleon oder Bismarck ihren Auftritt verschaffte. Sommers Chefredakteurs-Jahresbilanzen hatten ein Liebhaberpublikum, weil sie eine altmodische Form mit neuem Leben erfüllten.

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Gewiss konnte man sich gelegentlich auch amüsieren, wenn er das große Metaphernrad zu schwungvoll drehte. Aber was machte das: Wo andere mühsam nach Worten suchten, hatte er die Fülle. Und: Sommer war kein Kind von Traurigkeit. Er lebte das Leben in vollen Zügen, sportlich, abenteuerlustig, bis in seine letzten Jahre hinein.

Ein Leben ohne Flecken? Doch, da gab es in seinen späten Jahren ein Verfahren wegen nicht versteuerter Honorare, aber das war doch eher Schlamperei als Vorsatz.

Bis ins hohe Alter hinein bewahrte er sich seine bewundernswerte Präsenz, auch als Autor - der alte Sommer-Sound, den Generationen von Lesern in seinen Bann gezogen hatte, hielt sich frisch und zupackend, den Jahren zum Trotz. Bis zuletzt blieb er auch der unermüdliche Arbeiter, der er immer gewesen war. Das letzte große Buch, ein neuer Perspektivenwechsel des 90-Jährigen, handelte von China.

Die Autobiografie ist, Gott sei Dank, eben fertiggestellt, sie liegt beim Verlag. Da verkürzte ein Sturz ein Leben, das noch etliche Jahre hätte dauern können. An den Folgen des Sturzes ist Theo Sommer am 22. August 2022 gestorben.

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