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Dieter Wedel, Autor, Regisseur und Produzent, ist mit 82 Jahren gestorben.

© imago images/Müller-Stauffenberg

Regisseur Dieter Wedel ist tot: Ein Fernsehmagier im Schatten von MeToo

„Der große Bellheim“, „Der Schattenmann“ – der Autor, Regisseur und Produzent Dieter Wedel hat TV-Ereignisse geschaffen. Dann kam MeToo. Ein Nachruf.

Es ist schon eine bittere Ironie, dass diese Nachricht vom Landgericht München I kommt: Dieter Wedel ist tot. Dort war ein Strafverfahren gegen ihn wegen MeToo, wenn nicht Vergewaltigung anhängig. Seit mehr als einem Jahr wurde geprüft, ob es zu einer Anklage kommt.

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Wie ein immerwährender Schatten haben sich die Vorwürfe über das Werk von Dieter Wedel gelegt. Darf man von Tragik sprechen oder muss das harte Urteil gesprochen werden, dass Wedel sehr zu Recht eingeholt hat, was Wedel nach den Aussagen mehrerer Schauspielerinnen angerichtet haben soll, bis hin zur Vergewaltigung? Der gebürtige Frankfurter, nach immer wieder schwankenden Angaben wohl am 12. November 1939 am Main geboren, wurde in einer Zeit zum Großmeister der Fernseherzählung, als der Typus des Alleinherrschers am Set noch gang und gäbe war.

Wedel vereinigte drei Talente in sich: Regisseur, Autor und Produzent. Anders konnten für ihn prägende Mehrteiler nicht entstehen. Nicht wenige erlebten und erlitten, was die Schauspielerin Corinna Harfouch 2018 erzählt hat: „Viele haben gewusst, dass Wedel Schauspielerinnen schlecht behandelt und demütigt. Das war ein von allen gestütztes System.“ Wer immer über Wedel urteilt, muss das wissen.

Die Sender, gierig nach einem „Wedel“, und andere haben weggeschaut, sind nicht eingeschritten. Es ist schon auch Ausweis für die Heuchelei in der Branche, als nach dem Bekanntwerden der MeToo-Agenda die Augenbrauen in die Höhe gezogen und die Hände in Unschuld gewaschen wurden. Mit dem Wedel-Skandal begann in Deutschland die Aufarbeitung des strukturellen und sexuellen Machtmissbrauchs in der Kultur- und Medienwelt.

Magier des Fernsehens

Die Vorwürfe sexueller Belästigung haben Wedel erst nach seinem 75. Geburtstag erreicht. Bis dahin hatte er als gefeierter Magier des Fernsehens gewirkt. Dieter Wedel hatte das, was er konnte, wie andere in seiner Generation, beim Theater gelernt. Der Student der Theaterwissenschaft an der FU Berlin inszenierte, neben seiner Promotion zum Dr. phil., an der Studentenbühne, im Amerika-Haus und am Hebbel-Theater.

Da eignete er sich an, was er später im Fernsehspiel perfektionieren sollte: anspruchsvolle Themen für ein breites Publikum attraktiv zu machen.

Erst bei Radio Bremen als Autor und Hörspielregisseur, dann beim NDR produzierte für das Fernsehen glaubwürdige Alltagsgeschichten über normale Bürger, aber mit einer Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit fürs Reale, die das heutige Reality-TV nur lügen strafen kann.

Trias von Autor, Regisseur, Produzent

Was dann kam, das war die Wedelisierung des Erzählfernsehens. Immer in der Trias von Autor, Regisseur und Produzent und stets in der Spur, die erzählerische Qualität mit der Popularität zu versöhnen, schuf er quotenträchtige Mehrteiler. Ob die Semmeling-Geschichten von 1976, „Der große Bellheim“ (1993) und „Der Schattenmann“ (1996), die Wedel-Filme waren Fernsehereignisse.

Groß gedacht, groß gemacht, allein die „Bellheim“-Produktion kostete damals unerhörte 18 Millionen D-Mark, Wedel zog alle Register und überzog alle Etats. Sein Ego war grandios, der Ruf des „Enfant terrible unter den Regisseuren“ war mehr als verdient, Wedel wütete, wenn er arbeitete, sein Perfektionismus und sein cholerisches Talent kannten kaum eine Grenze.

Trotzdem, es gibt keine Berichte über Absagen von Schauspielerinnen und Schauspielern, wenn er sich wegen eines Engagements im neuen Wedel-Film meldete. Mario Adorf, Will Quadflieg, Hans Korte, Ulrich Tukur, Stefan Kurt, Veronica Ferres waren schon Größen im Gewerbe, wenn sie mit Wedel drehten, wurden sie noch größer.

„Der große Bellheim“

Aus der beeindruckenden Filmografie seien nur zwei Werke herausgehoben, eben „Der große Bellheim“ und „Der Schattenmann“. Ersterer erzählt vom Comeback eines Kaufhauschefs, der sich mit drei pensionierten Freunden um die Rettung eines gefährdeten Konsumtempels bemüht. Auch ein Best-Ager-Film, zugleich ein minutiöses Kammerspiel über die Mühen oder den Spaß des Alterns. Zu den Eigenheiten von Wedel gehörte, dass er ständig nach neuen Stoffen suchte – und sie auch fand.

„Der Schattenmann" hatte einen deutlich anderen Härtegrad als der „Bellheim“, die Story zwischen Unterwelt und Chefetagen zeigte sich erschreckend real. Überhaupt, ob Menschen aus eigenem Zutun gut oder böse sind und agieren, hat Wedel auch in seinem Mehrteiler „Der König von St. Pauli“, 1998 seine erste Produktion für seinen Privatsender, thematisiert.

Regisseur Dieter Wedel anlässlich eines Pressetermins zur SAT.1-Serie „Der König von St. Pauli“.

© imago/Michael Westermann

Aber egal, ob sein Haussender ZDF oder die private Konkurrenz, immer hat dieser Dieter Wedel dem Fernsehen eingetrichtert, dass es mehr Streiter für den gesellschaftlichen Wert geistreicher Unterhaltung im Medium geben muss.

Turbulentes Privatleben

Wie das Werk, so das Privatleben: Dieter Wedel galt lange als Mann, der das Leben in vollen Zügen auskostete, als „polyamorer Lebensfreund“, wie die „Süddeutsche Zeitung“ einmal schrieb. In der Tat hatte er viele Jahre lang in einer Dreiecksbeziehung gelebt, die aber schließlich doch in einer Ehe mit einer der beiden Frauen mündete. Sechs Kinder hatte Wedel, davon einen Sohn mit der Schauspielerin Hannelore Elsner.

August 2008: Regisseur Dieter Wedel kommt mit seiner damaligen Lebensgefährtin Uschi Wolters (r.) und Freundin Dominique Voland zur Premiere der Nibelungenfestspiele.

© Uli Deck/dpa

Dieter Wedel konnte nur Groß. Also hat er, nachdem er 2003 die Intendanz der Nibelungen-Festspiele in Worms übernommen hatte, sofort diesen deutschesten aller deutschen Stoffe auf die Bühne gebracht, als grandioses Spektakel und düstere Ursprungslegende. Natürlich waren Spitzenstars engagiert, die Ränge vollbesetzt – der Impresario Wedel hat das Bühnengeschehen am Wormser Dom auf die überregionale Festspiel-Agenda gewuchtet.

Kurve nach unten

Beim Fernsehen zeigte die Quotenerfolgskurve nach unten. Vom Mehrteiler zum Zweiteiler „Gier“ in Ableitung des Millionenbetrügers Jürgen Harksen, hier gespielt von Ulrich Tukur. Mit demselben Schauspieler realisierte er auch 2007 die ZDF-Komödie „Mein alter Freund Fritz“, und es wird nicht zuletzt Wedels Verdienst gewesen sein, dass Veronica Ferres als Tukur-Partnerin glänzen konnte.

Wedel musste dann erkennen, dass die Fernsehverantwortlichen vorsichtiger und skeptischer wurden, ob ein neuer Wedel überproportionale Aufmerksamkeit und Ratings verbuchen könne. Wer aber Wedel zwischen seinen Wohnorten Mallorca und Hamburg sprechen konnte, der traf auf einen weiter sprühenden Feuerkopf. Hier ein Drehbuch, dort ein Roman, hier die Festspiele, dort das Fernsehen.

Wedel wollte und konnte immer nur Wedel. Es ist keine fragwürdige Prophezeiung, dass das Streaming-Fernsehen, wo augenscheinlich Milch und Honig für Autoren, Regisseure und Produzenten fließen, einen Dieter Wedel nicht übersehen hätte.

Dann kam MeToo, der Absturz, die Verbannung.

Reaktion der Anwälte

Seine Anwälte schreiben jetzt: „Das durch den Tod unseres Mandanten beendete Verfahren erweist sich als bedrückendes Beispiel, wie durch einseitige Skandalisierung und moralisierende Verfolgungsmentalität Grundlagen des rechtsstaatlichen Strafverfahrens unter Druck geraten und in Frage gestellt werden können.“

Das ist bitter formuliert, es ignoriert die Opfer, die sich zu Wort gemeldet haben. Festzustellen gilt: Am 13. Juli 2022 hat das deutsche Fernsehen mit Dieter Wedel einen seiner Großen, sehr Großen verloren. Er wurde 82 Jahre alt.

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