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Wirft mit seiner Dschihadisten-Reportage politisch unangenehme Fragen auf: ProSieben- Reporter Thilo Mischke.

© Pro7/Teryoshin

Dschihadisten-Reportage von Thilo Mischke: Die Oma und der Terror-Enkel

Eine ProSieben-Reportage porträtiert Lucas G., einen deutschen IS-Terroristen, der im syrischen Gefängnis keine Reue zeigt.

„Gibt es eigentlich schon die Playstation 5?“ Mit dieser aufreizend banalen Frage gibt der 26-Jährige sich menschlich, allzu menschlich. Er will nach Deutschland zurück, erklärt er im Interview. Er möchte „Sport studieren“. Ist Lucas G. wirklich einer dieser Fanatiker, die für berüchtigte IS-Foltervideos Menschen den Kopf abhackten?

Dieser Frage geht Thilo Mischke nach. Der Reporter – mit boulevardesken Sex-Themen bekannt geworden – beeindruckte zuletzt mit einer Investigativ-Reportage über die rechtsradikale Szene. Nun begibt er sich erneut auf eine aufwendige Spurensuche.
Im Zentrum seiner zweistündigen Reportage steht Gabi, die heute 66-jährige Großmutter des früheren Angehörigen der IS-Terrormiliz. Zweimal begleitet Mischke diese Frau aus Dortmund- Scharnhorst nach Syrien. Im ersten Anlauf arrangiert das Reporterteam ein Treffen mit Julia, einer jungen Konvertitin aus Bayern. Gemeinsam mit Lucas ging sie 2014 nach Syrien, wo sie zwei Kinder von ihm zur Welt brachte.

[„Das Erbe des Dschihad – Was tun mit deutschen IS-Terroristen“, ProSieben, Montag, 20 Uhr 15]

Im Zentrum des Films steht Lucas G., der die ersten zehn Jahre bei seiner Großmutter aufwuchs. Er hatte eine Dauerkarte für Borussia Dortmund und war ein guter Handballer. Archivfilme zeigen, wie er für die inzwischen verbotene salafistische „Lies“-Bewegung Koran-Verteilaktionen in der Fußgängerzone mit organisierte.

Während der zweiten Reise nach Syrien fiebert die Großmutter dem bangen Moment entgegen, in dem sie ihren radikalisierten Enkel endlich wiedersehen darf. Die Reportage zitiert Voicemails, die sie mit Lucas just zu der Zeit austauschte, als der IS im Zenit seiner grausamen Machtentfaltung stand. „Was machst du?“, fragt die Oma. „Wir essen Haribo und trinken Cola“, erklärt Lucas.

War Lucas G. an den IS-Verbrechen aktiv beteiligt?

Auf der Suche nach Spuren, die er in Syrien hinterließ, dringt der Film immer weiter vor ins Herz der Finsternis. Gewohnte Bilder einer endlosen Trümmerwüste bekommen dabei ein ganz andere Bedeutung. Mit schuld an diesen Zerstörungen sind nämlich über tausend junge Deutsche, die sich dem IS anschlossen. Während der Recherchen findet Mischke heraus, dass Lucas für die Hisba-Polizei tätig war. Wer sich nicht an die Scharia hielt, dem hackten diese Religionswächter die Hand ab.

Ob auch ihr Enkel derartige Gräueltaten verübt habe? „Ich weigere mich zu glauben, dass er aktiv beteiligt war“, erklärt die Oma. Wie prekär der Nachweis solcher IS-Verbrechen ist, macht der Film auf beklemmende Weise spürbar. Denn selbst Zeugen, die Lucas auf Fotos wiedererkennen, halten sich merklich zurück. Sie leben in Angst vor Schläferzellen des IS, der längst noch nicht besiegt ist.

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Das Interview mit Lucas ist eine Konfrontation mit der Banalität des Bösen. Er würde sich „als unschuldig bezeichnen“. Weil „die Absicht, die mich nach Syrien brachte, keine falsche Absicht war“. Und, nun ja, etwas „Abenteuerlust“ war auch dabei. Als blanken Hohn empfindet Düzen Tekkal diese Schönfärberei. Die im Film zu Wort kommende Menschenrechtsaktivistin setzt sich für Jesiden ein, die vom IS verfolgt wurden.

Was also soll mit deutschen IS-Terroristen wie Lucas G. geschehen? Außenminister Heiko Maas (SPD) antwortet auf diese Frage bürokratisch verklausuliert. Menschen wie Lucas G., so deutet der Film an, sind das Symptom einer Politik ohne klare Kante gegen den politischen Islam. Die teils voyeuristische Reportage hat, gewiss, eine reißerische Tonart. Doch dabei wirft sie unangenehme Fragen auf, die man in anderen Reportagen in dieser Zuspitzung selten findet.

Manfred Riepe

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