zum Hauptinhalt
Besonders gefordert ist diesmal Kommissarin Winkler (Cornelia Gröschel), die sich um die verstörte Talia (Hannah Schiller) kümmert.

© Daniela Incoronato/MDR

Dresden-„Tatort: Parasomnia“: Das Kind und die Kommissarin

Schaurig-schön: Der herausragende „Tatort“ aus Dresden ist ein Seelen-Porträt mit ausgeprägtem Gruselfaktor.

Ganz zu Beginn des neuen "Tatort" stehen zwei Kamera-Einstellungen, die sich ganz zum Schluss wiederholen sollen und somit narrativ wie visuell einen Kreis schließen: Das erste Bild ist ein Vogelnest, das aus der vertikalen Aufsicht gezeigt wird. In diesem Vogelnest, hoch oben auf einem Baum, liegt ein einziges Ei. 

Das zweite Bild zeigt ein abgelegenes Haus im Grünen, alt und verfallen, es hat seine besten Jahre längst hinter sich. Für Sekunden nur, wenn dieses Haus, das der Schauplatz nahezu der gesamten Erzählung sein wird, erstmals zu sehen ist, ließe sich das ikonische Haus aus Alfred Hitchcocks stilbildendem Klassiker „Psycho“ assoziieren.

Vor diesem Haus, auf dessen weitläufigen Gelände jener Baum mit dem Nest steht, kommen der alleinerziehende Ben (Wanja Mues) und seine 14-jährige Tochter Talia (Hannah Schiller) mit dem Auto an. Hier werden sie einziehen. 

Ben ist freischaffender Zeichner von Kinderbüchern, seine junge Frau ist vor einigen Jahren bei einem Verkehrsunfall tragisch ums Leben gekommen. Diese Lücke, die Bens Frau und Talias Mutter hinterlassen hat, klafft schmerzlich weit, ist nicht verheilt. Beide, Ben wie Talia, leiden unter diesem Verlust, der ihr Leben zeichnet.

[„Tatort: Parasomnia“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15]

In diesem großen Haus mit seinen langen dunklen Gängen macht Talia noch am Ankunftstag eine grausige Entdeckung: ein toter Mann liegt in einem der Zimmer, er kam durch äußere Gewalt ums Leben. Bald sind die Dresdner Kommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) am Tatort. Talia ist völlig verstört. Sie spricht von Farbtöpfen, die in dem Raum standen, einer roten Fläche, läuft doch aus einem der Farbtöpfe rote Farbe aus. Talia leidet unter Parasomnie, sie schlafwandelt nicht nur und schreckt nachts abrupt hoch, sie hat sich durch den Verlust ihrer Mutter auch einen Schutz aufgebaut, verdrängt alles Traumatische, ersetzt es durch ihre eigene Fiktion. Talia lebt in ihrer eigenen Welt. Diese Welt beginnt, in sich zusammenzubrechen. Draußen läuft der Mörder dieses Mannes frei herum.

„Parasomnia“ lautet denn auch der Titel des vierten gemeinsamen Falls des seit 2019 in Dresden ermittelnden Teams unter der Ägide des stets etwas schusselig wirkenden Kommissariats-Leiters Schnabel (Martin Brambach). Inszeniert hat diesen außergewöhnlichen „Tatort“, der gleich mehrere Genres vom Psycho-Drama bis zum Horror-Thriller gekonnt in sich vereint und überaus souverän daherkommt, Regisseur Sebastian Marka, der bereits über ein halbes Dutzend „Tatorte“ verantwortet, nach dem absolut wasserfesten Drehbuch von Erol Yesilkaya.

Untote in der Gartenlandschaft

Erzählt werden mehrere Stränge parallel, die im Laufe der Zeit miteinander verflochten werden. Da sind die Ermittlungen in der Nachbarschaft, etwa beim sinisteren Thomas Blau (Jonas Fürstenau) oder dem denkbar spießig wirkenden Ehepaar Steinmann (Anne-Katrin Gummich und Rainer Reiners), das nichts Besseres zu tun hat, als hinter den Vorhängen zu stehen und die Nachbarn zu observieren. Irgendwo hier, so vermuten Gorniak und Winkler, könnte sich der Täter befinden.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können ]

Parallel wird Talias Geschichte erzählt, des Mädchens, das nachts hochschreckt und Untote sieht, wie sie durch ihr Zimmer gehen, wie sie durch die weite Gartenlandschaft schleichen. Untote Frauen. Offenbar wollen sie etwas von Talia, schlagen nach ihr, immer mehr Verletzungen im Gesicht trägt sie mit sich. Um dahinterzukommen, wen Talia da zu sehen glaubt, wohnt Kommissarin Winkler immer wieder bei Ben und Talia, ist sie doch die Ermittlerin, der das Mädchen vertraut. Leonie Winkler hat große Ähnlichkeit mit Talis toter Mutter, für deren Tod sich die Tochter schuldig fühlt.

Sehenswertes Glanzstück aus Dresden

„Parasomnia“ verbindet all diese Genre-Elemente: Meisterlich geht hier alles ineinander über, das Schauerstück mit den Untoten ebenso wie das feinfühlige Seelen-Porträt eines Mädchens, das anders ist als andere. 

Das Ensemble – allen voran die bravouröse junge Hannah Schiller, die in ihrer Physiognomie frappierend an die „Fridays for Future“-Initiatorin Greta Thunberg erinnert – ist durchweg überzeugend, gerade auch Cornelia Gröschel als diesmal besonders geforderte und belastete Kommissarin Winkler ragt hier in ihrer bewegenden Darstellung einer verletzten Frau heraus.

„Parasomnia“ ist ein weiteres sehenswertes Glanzstück aus Dresden, weit mehr als „nur“ ein „Tatort“. Ganz zum Schluss ist wieder das Haus zu sehen, das nun weniger bedrohlich wirkt. Friedlich fast. Nachdem im Laufe des Films das Küken aus dem Nest gefallen und von Talia begraben wurde, liegt nun ein neues Ei dort oben im Baumwipfel. Bereit für ein neues Leben. Wie auch Talia.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false