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„Der Krieg und ich“. Romek (Adam Halajczyk) spricht mit dem Ältestenrat im Warschauer Ghetto. Die Kika-Serie mit acht Folgen startet am Samstag um 20 Uhr.

© SWR/LOOKSfilm/Andreas Wünschirs

Die Zeit von 1933 bis 1945 aus der Sicht von Kindern: Der Krieg und ich

Ein KiKa-Projekt zeigt die Zeit des Nationalsozialismus aus der Perspektive von Kindern. Das ist in dieser Zeit vor allem eins: total wichtig.

Quentin fand’s „total krass“, wie damals alles in Flammen stand, obwohl die Opfer unschuldig waren. Raphael hat es „voll aufgeregt“, dass sogar die Feuerwehr in der Reichspogromnacht nur danebenstand. Und Leo will es einfach nicht in den Kopf, warum Juden überhaupt so behandelt wurden, weil „das sind ja auch nur Menschen“.

Wenn Fünftklässler wie diese aus Karlsruhe schildern, was sie von Ursache und Wirkung des Nationalsozialismus halten, ist das von entwaffnender Naivität. Einerseits. Andererseits zeigt die Reaktion des jungen Testpublikums einer bemerkenswerten Serie, dass Erwachsene noch so abgebrüht sein mögen – das Unerklärliche singulärer Menschheitsverbrechen bleibt auch für sie, genau: unerklärlich.

Umso wichtiger ist es, was der KiKa gemeinsam mit dem SWR für Achtjährige (und natürlich auch für ältere Kinder) produziert hat: Ein Dokudrama, dass das Unerklärliche ab Samstag („Der Krieg und ich“, insgesamt acht Folgen Kika, 20 Uhr) an vier Wochenenden lang nicht erklären, aber sichtbar, spürbar, greifbar machen will – aus Sicht der jüngsten Opfer dieses unfassbarsten aller Zivilisationsbrüche.

„Der Krieg und ich“ heißt das trimediale Gemeinschaftsprojekt entsprechend subjektiv. Ich, das ist in diesem Fall zum Auftakt der kleine Anton. Gegen den Willen seines kriegsversehrten Vaters (Florian Lukas) will er in die Hitlerjugend, weil da einfach coolere Jungs rumhängen als seine Freundin Greta – bis diese als Jüdin Opfer seiner Kameraden wird.

Ich, das ist die französische Pfarrerstochter Sandrine, deren – real existierendes – Dorf Le Chambon-Sur-Lignon Tausenden von Juden Unterschlupf gewährt, was den Teenager zwischen Mitgefühl, Todesangst, pubertärer Renitenz hin und her reißt.

„Die meisten sind einverstanden, wie Juden behandelt werden“

Ich, das sind zudem ein schottischer Junge, dessen Heimat bombardiert wird, ein russisches Waisenmädchen auf der Flucht, das jüngste Aufgebot vom deutschen Volkssturm, die Kinderchorsängerin Eva in Auschwitz. Ich – das ist demnach ein facettenreiches Mosaik Jugendlicher, die dem braunen Terror auf verschiedenste Art ausgeliefert sind und in ähnlich unterschiedlicher Form damit umgehen.

Dabei ist es das große Verdienst der acht halbstündigen Teile, weder den Widerstand zu heroisieren noch das Mitlaufen zu verteufeln. Dem Team aus sieben Ländern geht es unter Matthias Zirzows Regie ersichtlich um etwas anderes als jenes Historytainment Guido Knopp’scher Prägung, mit dem die Kollektivschuld aus der Zeit vor 74 Jahren (und danach) fiktional allzu oft bis zur Unkenntlichkeit individueller Verantwortung weichgezeichnet wurde.

Vorwiegend frei vom Sound moralischer Überheblichkeit schafft es die Serie buchstäblich spielend, das damalige Grauen erlebbar zu machen und somit einen Begriff von Haltung zu erzeugen, der zusehends wieder vonnöten ist: Folge deinem Herzen, ohne das Gehirn auszuschalten.

Es geht also ums Denken und Fühlen einer Nachwuchsgeneration, der drei Elterngenerationen einst beides – Denken und Fühlen – auszutreiben versucht haben. Und um das in angemessener Klarheit für fragile Kinderseelen erträglich zu machen, findet die Serie eine sehr kluge Bild- und Tonsprache. „Die meisten sind einverstanden, wie Juden behandelt werden“, sagt die behutsame Erzählerin aus dem Off. „Und die, die es nicht sind, haben Angst.“

Da beides nicht nur durch Spielszenen und Archivaufnahmen, sondern eine Miniaturwelt liebevoll gebastelter Plastikfiguren illustriert wird, bewahrt das Karlsruher Testpublikum zwischen Abscheu und Ratlosigkeit fühlbar Interesse am sperrigen Thema.

Ein Effekt, der sich auch beim Fernsehpublikum einstellen dürfte. Zumal der wissenschaftlich fundierte, pädagogisch begleitete, vielfach preisgekrönte Achtteiler in Kika-Formaten von „Checker Tobi“ bis „Wissen macht Ah!“ weiterverarbeitet wird. Verglichen mit früheren Versuchen kindgerechter Historisierung ist das die wichtigste Fortentwicklung.

Während Ilse Hoffmanns Jugendbuchverfilmung „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ ihre Kernzielgruppe 1978 ähnlich mit Schuldfragen alleinließ wie parallel dazu die US-Serie „Holocaust“, ist „Der Krieg und ich“ Teil eines ebenso lehrreichen wie unterhaltsamen Gesamtpaketes. In einer Zeit, da völkischer Nationalismus erneut den öffentlichen Diskurs dominiert, ist das nicht nur total krass, sondern vor allem: total wichtig.

Jan Freitag

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