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Heikel? Nicht heikel? Der SFB-„Tatort: Die Krokodilwächter“ von 1996 mit Winfried Glatzeder (zweiter von rechts) und Robinson Reichel wurde einmal und dann nie wieder gezeigt.

© imago stock&people

Zwischen Lizenzen und Tabus: Die Winnetou-Frage

„Unterbietet das Niveau der Reihe ohne Mühe.“ Warum manche Film-Produktionen bei ARD und ZDF im Giftschrank bleiben – und andere nicht.

Diskriminierung, Rassismus, #MeToo, Political Correctness – der Zuschauer ist ein empfindsames Wesen, auch und gerade, was diese Themen betrifft. Sonst wäre folgende Meldung vielleicht untergegangen: Die ARD und ihre Sendeanstalten strahlen nach einem Bericht der „Bild“-Zeitung keine Winnetou-Filme mehr aus. Es würden keine Filme seit dem Auslaufen der Lizenzverträge mehr gezeigt, wird die ARD zitiert.

Der Bayerische Rundfunk (BR) erklärte demnach, dass er weiterhin „Filmklassiker“ zeige. „Im Einzelfall wird bei allen Filmen stets geprüft, ob der jeweilige Film in unser Programm passt“, sagte eine Sprecherin. Das ZDF hingegen besitze „Ausstrahlungsrechte für diverse Karl-May-Filme, die in den nächsten Jahren zur Sendung kommen“, so ein Sprecher.

Derzeit gibt es eine Kontroverse um vom Ravensburger Verlag zurückgezogene Winnetou-Titel. Der Verlag hatte nach Protesten vor allem in den Sozialen Medien zwei Kinderbücher sowie ein Sticker-Buch und ein Puzzle aus dem Verkehr gezogen. Die Artikel sollten zum Film „Der junge Häuptling Winnetou“ vertrieben werden, der in den Kinos läuft.

Filme, altes und neues Konfliktpotenzial. Gute Gelegenheit, zu fragen: Gab oder gibt es Formate, die bei ARD und ZDF unter Verschluss gehalten werden, aus welchen Gründen auch immer? Durchaus. Immerhin fünf der weit über 1000 „Tatort“-Folgen aus 50 Jahren wird man so schnell nicht wieder im Fernsehen oder in Mediatheken sehen. Sie landeten im inoffiziellen „Giftschrank“ der Sender.

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Darunter „Krokodilwächter“ aus 1996 mit den damaligen Berliner Ermittlern Roiter und Zorowski (Winfried Glatzeder und Robinson Reichel). Diese kommen bei ihren Ermittlungen einem Handel mit osteuropäischen Frauen auf die Spur, die in Deutschland prostituiert werden.

Die Handlung des Films ist für einen 20-Uhr-15-„Tatort“ so heikel und brutal, dass sich nach der Ausstrahlung die Politik zu Wort meldete. Der seinerzeit amtierende Medienbeauftragte der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Hans-Otto Wilhelm, beschrieb den Tatort als „brutal, sexistisch und menschenverachtend“ mit „unerträglich wirkenden Gewaltszenen“, die besonders dann „verwerflich“ seien, wenn Frauen „Sex und Gewalt in demütigender Weise über sich ergehen lassen müssen“. Auch die Kritiken waren vernichtend. „TV Spielfilm“ urteilte: „Unterbietet das Niveau der Reihe ohne Mühe.“ Daraufhin wanderte die Episode „Krokodilwächter“ in den Giftschrank.

Der Dachverband der Berliner Alevitengemeinde erstellte sogar Strafanzeige wegen Volksverhetzung

Auch eine „Tatort“-Folge mit Maria Furtwängler hat es erwischt. Die Produktion „Wem Ehre gebührt“ aus 2007 wird nicht mehr im Fernsehen und in den Mediatheken wiederholt. Die Handlung: Nach dem vermeintlichen Selbstmord einer Türkin ermittelt Charlotte Lindholm (Furtwängler) vom LKA in Hannover in einer türkischen Familie. Lindholm vermutet einen Ehrenmord, später stößt sie auf ein inzestuöses Verhältnis in der Familie.

Über den von Angelina Maccarone inszenierten Krimi, beschwerte sich nach der Ausstrahlung vor allem die alevitische Gemeinde. Der Dachverband der Berliner Alevitengemeinde erstellte sogar Strafanzeige wegen Volksverhetzung, welche nach einer Entschuldigung des Senders jedoch zurückgezogen wurde. Manche TV-Filme blieben temporär gesperrt. Eigentlich wollte die ARD 1970 das Fernsehspiel „Bambule“ zeigen. Das scheiterte an der pikanten Personalie der Drehbuchautorin: Ulrike Meinhof. Die RAF-Terroristin, die an der Befreiung von Andreas Baader beteiligt war, skizzierte in „Bambule“ kritisch die Zustände in einem Fürsorgeheim für Mädchen und rief zum Klassenkampf auf. Erst 18 Jahre nach Meinhofs Selbstmord wurde „Bambule“ 1994 in den dritten Programmen der ARD erstmals ausgestrahlt.

Auch umstritten: der Dokumentarfilm „Zeit des Schweigens und der Dunkelheit“, 1982 von der Filmemacherin Nina Gladitz für den WDR gedreht. Thema der Doku ist das Schicksal der Sinti und Roma, die Leni Riefenstahl für ihren Film „Tiefland“ aus dem Lager Maxglan bei Salzburg für die Komparserie am Drehort einsetzte – von denen viele danach in Auschwitz ermordet wurden. Einige Überlebende kamen im Film zu Wort.

Riefenstahl wollte vom Schicksal der Komparsen nichts gewusst haben und klagte zwei Jahre später gegen den Gladitz-Film. In mehreren Punkten wurde die Klage abgewiesen, aber nicht in allen. Riefenstahl erreichte ein Aufführungsverbot. Die Konsequenz: „Zeit des Schweigens und der Dunkelheit“ wird vom WDR seither nicht gezeigt.

Das ZDF hat bislang keine Probleme mit den „Winnetou“-Filmen, der Sender zeigt sich, wie es aus Mainz heißt, von der Debatte unbeeindruckt. Das ZDF besitzt „Ausstrahlungsrechte für diverse Karl-MayFilme, die in den nächsten Jahren zur Sendung kommen“. „Winnetou und das Halbblut Apanatschi" werde beispielsweise am 3. Oktober um 11 Uhr 30 ausgestrahlt. Die weibliche Hauptrolle wurde von Uschi Glas gespielt, die ohne weitere Beschwerden zum Halbblut umgeschminkt und umgesytlt wurde.

Wie der öffentlich-rechtliche Sender ansonsten mit heiklem Material umgeht, konnte das ZDF dem Tagesspiegel nicht mitteilen. Vielleicht steht dieses Verhalten für eine generelle Haltung. Nachdem beispielsweise 2013 die SS-Mitgliedschaft von Horst Tappert alias „Derrick“ bekannt wurde, verzichtete der Sender auf jede weitere Wiederholung. Was das ZDF aber nicht hinderte, „Derrick“-Lizenzen an den Heimatkanal oder Amazon Prime weiterzuverkaufen.

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