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Verrat am Patienten. Dr. Sigurd (Corinna Harfouch, rechts) klärt Marie Glaser (Felicitas Woll) über die Nebenwirkungen der Medikamente ihrer Tochter auf.

© ZDF/ARTE/Dusan Martincek

TV-Film über Missbrauch ostdeutscher Patienten: Die Ware Bürger

Der TV-Film „Kranke Geschäfte“ zeigt, wie westdeutsche Pharmafirmen ostdeutsche Patienten als Versuchskaninchen nutzten.

Multiple Sklerose in der DDR? Eigentlich ist diese Diagnose ein Todesurteil. Doch einer jungen Patientin im Bezirkskrankenhaus von Karl-Marx-Stadt stellt man Heilung in Aussicht. Nebenwirkungen der Kur? Werden verschwiegen. Das auf Tatsachen basierende Politdrama „Kranke Geschäfte“ greift ein makaberes Kapitel deutsch-deutscher Geschichte auf: Im Tausch gegen Devisen gestattete die DDR-Führung westlichen Pharmaunternehmen Tests von neu entwickelten Medikamenten an ostdeutschen Klinikpatienten.

Eines dieser Versuchskaninchen ist Kati (Lena Urzendowsky). Wie ihre Bettnachbarin Niki (Amber Bongard) leidet der Teenager an einer Autoimmunerkrankung, die in der DDR noch nicht erforscht ist. Doch Kati und Niki haben eine Chance. Sie sind Probanden einer medizinischen Studie. Das nicht zugelassene Präparat aus dem Westen wird allerdings nur an einem der beiden Mädchen erprobt. Das Design des Doppelblindversuchs will es so: Eine der beiden jungen Frauen fungiert als Kontrollpatientin. Verabreicht wird ihr nur ein Placebo. Heilung wird zum Lotteriespiel.

Als Niki bei sich eine Besserung der Symptome bemerkt, folgt daraus im Umkehrschluss, dass Kati keine Chance mehr auf Heilung hat. Zum Trost macht Niki der Freundin ein kostbares Geschenk: Sie überlässt Kati eine der raren Konzertkarte für Depeche Mode. Die Synthiepop-Band wird am siebten März 1988 ein einziges Mal im Osten des geteilten Deutschlands auftreten. Auf Krücken macht Kati sich auf den Weg.

Mit dieser berührenden Geschichte, die den Zynismus der Menschenversuche emotional nachvollziehbar macht, haucht Urs Egger dem Medikamenten-Thriller Leben ein („Kranke Geschäfte“, Arte, Freitag, 20 Uhr 15). Der renommierte Schweizer Regisseur starb kurz nach Beendigung der Dreharbeiten.

Sein Film greift einen weniger bekannten Aspekt deutsch-deutscher Wirtschaftsbeziehungen auf: Seit etwa zehn Jahren ist bekannt, dass westdeutsche Pharmaunternehmen von 1964 bis 1990 in der DDR etwa 900 Medikamenten-Studien an über 50 000 Menschen durchführten.

Derweil Corinna Harfouch als Ärztin ihre Patienten verrät

Getestet wurden vor allem Herzmittel und Blutdrucksenker. Bonn wusste Bescheid. Eine unglaubliche Vorstellung: Kann es sein, dass westdeutsche Pharmakonzerne ihre noch nicht zugelassenen Medikamente an unbescholtenen ostdeutschen Bürgern testen? Und welche Rolle spielt dabei die DDR-Regierung, die darin verwickelt zu sein scheint? Über Todesraten gibt es kaum verlässliche Angaben. Viele der Akten von damals wurden vernichtet.

„Kranke Geschäfte“ erzählt diese beklemmende Geschichte aus der Sicht von Katis Vater Armin Glaser (Florian Stetter), einem Offizier der Staatssicherheit, der zunächst nicht ahnt, was mit seiner Tochter geschieht. Ein Stasi-Spitzel, der über die Medikamentenversuche nicht informiert ist? Ein linientreuer Parteisoldat, der gegen Kollegen ermittelt, zum schwer bewachten DDR-Gesundheitsminister vordringt und ihn zur Rede stellt?

Einige Wendungen des Drehbuchs von Johannes W. Betz („Die Spiegel-Affäre“) sind nicht glaubhaft. Das ist schade, denn das spannende Thema wird differenziert aufgefächert. Gezeigt werden dubiose Machenschaften eines westdeutschen Pharmaunternehmens, das seine nicht zugelassenen Medikamente eiskalt an ahnungslosen ostdeutschen Patienten testet. Das neue Präparat muss ein Erfolg werden – sonst droht die Übernahme durch einen Schweizer Konkurrenten.

Und während ein hoher DDR-Funktionär mit Untergebenen über die Ethik von Menschenversuchen debattiert, rechnet eine Klinikärztin das Leben ihrer Patienten gegen dringend benötigtes Equipment aus dem Westen auf.

Etwas dialoglastig wirkt das schon. Sehenswert ist der Film, der im Rahmen eines Themenschwerpunktes „30 Jahre deutsche Einheit“ ausgestrahlt wird, aber dennoch, schon auch wegen der Darsteller. Florian Stetter überzeugt als gebrochener Stasi-Schnüffler, der seinen Glauben an den Sozialismus verliert.

Jörg Schüttauf spielt als Minister einen im Luxus schwelgenden Verwalters des Mangels, derweil Corinna Harfouch als Ärztin ihre Patienten verrät. Erahnbar wird, wie das marode DDR-System gegen Devisen seine eigenen Bürger zur Ware machte.

Manfred Riepe

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