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Schier übermenschliche weibliche Kräfte. Hat Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) Oberstaatsanwalt Marquardt (Max Tidof) endlich von ihrer Verhörtaktik überzeugt?

© SWR/Benoît Linder

Neuer „Tatort“ mit Ulrike Folkerts: Die verborgene Wut der Männer

Ein krasses Kammerspiel mit aufrüttelnder Botschaft gegen Gewalt an Frauen: Die Odenthal-Folge „Das Verhör“ eröffnet die neue „Tatort“-Saison.

Hauptmann Kessler (Götz Otto) steht stramm, während er sich vor seiner Vorgesetzten rechtfertigen muss. Ein Kamerad sei erniedrigt worden, schimpft Oberstleutnant Angelika Limbach (Katrin Röver). Dass dies nur bei einem „harmlosen Aufnahmeritual“ geschehen sei, wie Kessler erklärt, lässt sie ihm nicht durchgehen. Der Hauptmann verdreht die Augen, aber er bewahrt Haltung – äußerlich.

Auch gegenüber Kommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts), die vor der Tür dank der lautstarken Auseinandersetzung einiges mitbekommt. „Die Männer in meiner Abteilung mussten sich auch erst daran gewöhnen, dass ich das Sagen habe“, sagt Odenthal verbindlich. „Am Ende zählt nur die Kompetenz“, antwortet Kessler freundlich lächelnd. Die Zigarette, die er sich gleich nach dem Anschiss durch seine Vorgesetzte anzündet, ist das einzige Indiz für eine möglicherweise verborgene Wut.

Der seit Oktober 1989 in Ludwigshafen ermittelnden SWR-Kommissarin Odenthal ist es vorbehalten, die neue „Tatort“-Saison zu eröffnen. Die spannende Folge „Das Verhör“ ist ein krasses, am Ende etwas abenteuerlich aufgelöstes Kammerspiel mit aufrüttelnder Botschaft. Das Ausmaß an Gewalt, das Frauen auch in der vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft Deutschlands erleiden, ist ohne Zweifel unerträglich. („Tatort – Das Verhör“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15)

Dass dabei blanker Hass von Männern, deren althergebrachtes Rollenverständnis mit den neuen Zeiten kollidiert, ein Faktor sein dürfte, ist naheliegend. Ein Blick auf die in sozialen Netzwerken unverhohlen geäußerten Gewaltfantasien genügt. Systematisch wurde das mit dem Begriff „Femizid“ umschriebene Phänomen der Hassverbrechen gegen Frauen bisher noch kaum untersucht. Die Kriminalstatistik wies zuletzt während der Pandemie einen Anstieg von Gewalt gegen Frauen in Partnerschaften aus.

Ein Zeuge hatte einen Pick-up beobachtet

Auch das Opfer im „Tatort“, eine erfolgreiche Investmentbankerin, war geschieden und hatte das alleinige Sorgerecht für ihren fünfjährigen Sohn beantragt. In der Beziehung mit Ex-Mann Patrick (Jonathan Müller) sei viel Wut im Spiel gewesen, sagt die Mutter des Opfers. Patrick hat ein unumstößliches Alibi. Stattdessen gerät Kessler ins Visier der Polizei. Ein Zeuge hatte einen Pick-up beobachtet, wie ihn auch der Bundeswehr-Hauptmann fährt.

Während Kessler auf dem Kommissariat befragt wird, verdichten sich die Hinweise, dass er sich zur Tatzeit am Tatort aufhielt. Zudem erweist sich sein umgängliches Auftreten immer deutlicher als reine Fassade, hinter der sich Verachtung und Kälte verbergen.

Der gruselige Effekt ist umso größer, da Götz Otto den Frauenhasser nicht als Wüterich spielt, sondern als kontrolliert agierenden Soldaten. Nicht Kessler scheint in Bedrängnis zu geraten, sondern die Kommissarinnen, mit denen er ein perfides Spiel treibt, die er provoziert. „Sie sind ganz schön jung für eine Hauptkommissarin. Was mussten Sie dafür tun?“, fragt Kessler Odenthals junge Kollegin Johanna Stern (Lisa Bitter). Und als Stern mit einem Wattestäbchen eine DNA-Probe entnimmt, beißt er ihr in den Finger. „Das war ein Reflex, tut mir leid“, behauptet er scheinbar einsichtig.

Den Bösewicht-Rollen entkommt der 54 Jahre alte Schauspieler Götz Otto dank seiner Schurken-Nebenrolle in dem Bond-Film „Der Morgen stirbt nie“ zeitlebens nicht mehr. Wie schon im jüngsten Franken-„Tatort“ von Max Färberböck („Warum“) spielt er hier eben keinen unterbelichteten Haudrauf. Nebenbei: Schon in der „Tatort“-Folge „Nahkampf“ mit Lena Odenthal (1997) gab Götz Otto einen Bundeswehr-Leutnant.

Das „Verhör“-Drehbuch von Stefan Dähnert erinnert an einen Patricia-Highsmith-Roman und Hitchcock-Klassiker. Die Tat selbst verweist darauf, dass extreme Gewalt gegen Frauen lange Tradition hat. Zugleich sorgt die teuflische Konstruktion, mittels derer die Opfer bei lebendigem Leib verbrannt werden, für eine Extraportion Spannung. Den Kommissarinnen bleiben eine Stunde und 43 Minuten Zeit, um einen weiteren Mord zu verhindern. Nach dem atmosphärisch dichten, aufwühlenden Kammerspiel, bei dem in der Regie von Esther Wenger Hass und Gewalt stets in der Luft liegen, wird es am Ende turbulent. Nicht alles erscheint da noch schlüssig, aber dass es schier übermenschlicher weiblicher Kräfte bedarf, damit die männliche Gewalt nicht die Oberhand behält, ist eine treffende, bittere Pointe.

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