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Erste große Demonstration von Fridays for Future, in der Corona Pandemie, gegen das Abholzen des Sterkrader Waldes, für eine Vergrößerung des Autobahnkreuz Oberhausen, wo bis zu 5000 Bäume gefällt werden sollen, NRW, Deutschland, Friday for Future Demo

© imago images/Jochen Tack

Fatale Schlagseite: Die Herausforderungen des pandemischem Journalismus

Die Corona-Spaziergänge sind 95 Prozent der Bevölkerung in Deutschland ein Begriff, mehr als relevantere politische Bewegungen. Das hat auch mit Medien zu tun.

Ausgewogen, neutral, fair sein, Gegenmeinungen zu Wort kommen lassen: Diese Absichten entsprechen wichtigen journalistischen Standards. Doch besonders bei hochpolitisierten Themen wie der Pandemie und der Erderwärmung führen sie leicht in fatale Schieflagen, in eine sogenannte „False Balance“, wenn nicht präzisierende Kriterien eingeführt werden.

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Fast jeder weiß von den Spaziergängen gegen die Coronamaßnahmen, aber eine deutliche Mehrheit von 82 Prozent der über 1500 von dem Meinungsforschungsinstitut Pollytix Befragten lehnt sie ab. Die mediale Aufmerksamkeit hingegen ist hoch.

Sascha Borowski, der Sprecher des Deutschen Presserats, fragt in einem Facebook-Post: „Haben so kleine Minderheiten der Bevölkerung früher auch schon so überproportional viel Platz in der Berichterstattung erhalten wie heutzutage diese Corona-‚Spaziergänger‘?“

Solle man „diese 80 Zeilen plus Bild jeden Montag nicht eher den 85 Prozent der Menschen widmen“, die mithelfen, die Pandemie in den Griff zu bekommen? „Machen wir Medien hier wirklich alles richtig?“ Solche Fragen sind wichtige Denk- und Debattenanstöße, zumal selbst Borowski offenbar bislang im Pressekodex nicht genügend Anhaltspunkte für konkretes Handeln findet.

So verstandene Ausgewogenheit mag gut gemeint sein

Es geht um mehr als um Textlängen und Berichterstattungshäufigkeiten. Wenn hundert Forschenden, die vergleichbare Befunde vorlegen, zwei gegenübergestellt werden mit abweichenden Schlussfolgerungen, erhalten diese in der Relation mehr Aufmerksamkeit als es ihrer Bedeutung entspricht: zwei gegen 100.

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So verstandene Ausgewogenheit mag gut gemeint sein, hat aber fatale Folgen: das Gefühl, die Wissenschaft sei ja unentschieden, verunsichert Bevölkerung wie Politik und verleitet zu Fehlentscheidungen auf Basis eines „Patts“, das gar nicht zutrifft.

Solche Ausgewogenheit ist mitunter auch eine Reaktion darauf, dass Journalismus (wie auch Wissenschaft) von manchen Gruppierungen pauschal verunglimpft wird, es auch deshalb nun möglichst vielen recht machen will, so aber eher das Gegenteil erreicht.

[Lesen Sie außerdem zu diesem Thema: „Mich macht diese Inkonsequenz wütend“: Ärztin, Pfleger, Krankenschwester – das sagen Betroffene zur Impfpflicht (T+)]

Wir benötigen ein Konzept für eine sachgerechte Ausgewogenheit. Dazu gehört, qualitativ zu gewichten, also Ereignisse und Positionen proportional zu den realen Kräfteverhältnissen und Belegbarkeiten darzustellen, sie einzuordnen (Sind es Außenseiterpositionen?) und zu kontextualisieren (Was lässt sich über die Struktur der Querdenken-Bewegung recherchieren? etc.).

Teil dieses Konzept muss auch sein, das Selbst- und Rollenbewusstsein zu stärken: Wer im Journalismus arbeitet, muss die Prinzipien, denen er folgt, und die Bedeutung seiner Aufgabe erklären können.

Marlis Prinzing

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