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Dichtung und Wahrheit. Die Kommissare Batic (Miroslav Nemec, li.) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) verhören Nessi (Laura Baade), die einen Mörder identifiziert hat. Foto: BR

© BR/Stephen Power

Hartz-IV-Krimi: Die einzige Zeugin

Der neue Münchner „Tatort“ in der ARD ist ein Armutsreport – und auch ein Abschied.

Sie ist die einzige, die den Mörder gesehen hat. Und sie schweigt beharrlich. Gibt den Namen nicht preis. Nessi (Laura Baade) ist 13. Nessi war an der Tankstelle, als Gerd Zach umgebracht wurde. Sie steht nur wenige Meter entfernt am Tatort, und sie sieht es. Sieht, wie Gerd Zach (Matthias Heidepriem) ermordet wird, der 55-Jährige, der als stellvertretender Personalchef der Lebensmittelfirma „Konserven-Koller“ längst entlassen ist, nachdem er zuvor andere entlassen hatte. Zach war am frühen Morgen mit seinem Wagen auf dem Weg zur Jagd, sein Jagdgewehr hatte er dabei, nun liegt es neben ihm am Tatort.

War das Selbstmord? Mitten auf einem Tankstellenplatz? Mit eigenem Jagdgewehr? Zumal: Die Tankstelle liegt unweit eines Münchner Viertels, in dem sozial Schwache leben, lauter „Hartzer“, wie es einmal heißt. Doch Gerd Zach wohnt mit seiner jüngeren, seltsam indifferenten Frau Leonie (Angela Ascher), im noblen Stadtteil Bogenhausen. Was also wollte Zach an der Tankstelle?

Schnell kommen den beiden Münchner Kriminalhauptkommissaren Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) Zweifel an der Selbstmord-Theorie. Doch die einzige Zeugin schweigt beharrlich. Aus irgendeinem Grund will Nessi Bürger nicht reden. Nessi hat es selbst nicht eben leicht. Sie lebt bei ihrer alkoholkranken Mutter, Tini Bürger (Katja Bürkle), die tagein, tagaus vor dem Fernseher hockt, überfüllte Aschenbecher und leere Flaschen vor sich auf dem Tisch. In der Schule wird Nessi, die etwas fülliger ist, gehänselt. Sie ist jetzt schon, mit 13 Jahren, eine Außenseiterin, eine, die nirgendwo dazu gehört. Und, sie weiß etwas…

In München ist „Jagdzeit“. Da geht es hinaus in die Wälder, wird feixend auf das Wild geschossen. In den Kreisen, in denen Gerd Zach verkehrte, ist das ein beliebter Zeitvertreib. In jener Welt, in der Nessi leben muss, ist das ganz anders – und auch wieder nicht. Hier wird der noch Schwächere vom sozial Schwachen getriezt und gepeinigt, und hier wird, wenn es gar zu sehr gegen gewisse ungeschriebene Gesetze geht, auch zu anderen Mitteln gegriffen.

Diese Welt ist es, die der „Tatort“ zeigt. Peter Fratzscher inszenierte den Fernsehfilm nach einem Drehbuch von Peter Probst. Es ist zugleich der letzte Münchner „Tatort“, den die langjährige Redakteurin des Bayerischen Rundfunks, Silvia Koller, mitverantwortete. Sie kreierte 1991 das nunmehr in seinem 58. Fall ermittelnde Duo Batic und Leitmayr. Im Dezember 2010 verstarb Silvia Koller, und so ist ihr dieser „Tatort“ denn auch gewidmet. Sie hat einen Gastauftritt, als kettenrauchende Chefin besagter Firma „Konserven-Koller“.

Die Welt, die „Jagdzeit“ nachzeichnet, ist eine Welt in Armut. Und dies in Vierteln einer Stadt, der man dies als letztes zuordnen würde – im reichen München. Ohne in Klischees zu verfallen oder zu überzeichnen, kontrastiert der Film die Viertel der Reichen und der Armen, stellt die Befindlichkeiten, Ängste und Nöte sowohl der einen wie der anderen Seite nebeneinander. Ganz gleich welcher sozialen Schicht angehörig können sich verletzte Befindlichkeiten sowie Habgier, Neid und Missgunst als wesentliche Antriebe schnell offenbaren. Den partiell etwas komplexen Handlungsabläufen in diesem Fall wird vom hier wieder etwas stärker eingesetzten Humor des Ermittler-Gespanns gegengesteuert. Diesmal dreht es sich bei Batic und Leitmayr um das Thema Kommunikation.

Und so betreiben die beiden Herren während ihrer Autofahrten ein Dialektquiz, bei dem mal der eine, mal der andere schneller, respektive wissender ist. Der jeweilige Verlierer grummelt und bockt dann eine Zeitlang ein wenig herum, was auch zu missverständlichen Absprachen innerhalb des Falles führt. Kommunikation ist eben alles. Auch Nessi weiß das.

„Tatort - Jagdzeit“, ARD, 20 Uhr 15

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