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© ZDF

SCHMALZ-TV: Der große Schatten

Christiana Capotondi tritt in „Sisi“ gegen zwei große Frauen an – Romy Schneider und die Kaiserin-Mutter.

„Gräfin Hohenembs“ nannte sich Elisabeth, Kaiserin von Österreich, auf ihrer letzten verhängnisvollen Fahrt. Sisi liebte es, incognito und in schwarzen Kleidern zu reisen. Als die Sechzigjährige am 10. September 1898 mit einer ihrer ungarischen Hofdamen eine Fähre auf dem Genfer See nehmen wollte, trat ihr aus dem Schatten einer Kastanie der Anarchist Luigi Lucheni entgegen und erdolchte sie. Ursprünglich hatte er den italienischen König Umberto umbringen wollen, doch sein Geld reichte nicht für die Fahrkarte nach Italien. Da auch Prinz Henri von Orléans seinen Aufenthalt in Genf kurzfristig absagte, traf es die ebenso charmante wie spleenige Kaiserin der mitteleuropäischen Herzen.

Die gebürtige Münchnerin Sisi hatte sich mit ihrem Cousin, dem Märchenkönig Ludwig II., melancholische Gedichte geschrieben, die sie füreinander auf der Roseninsel im Starnberger See versteckten. Nach ihrer Hochzeit mit Kaiser Franz Joseph wollte Elisabeth am Wiener Hofe bayerisches Bier zu den Mahlzeiten einführen, was ihre Schwiegermutter, Erzherzogin Sophie, als zu zünftig untersagte. Einen Spleen aber konnte Sisi durchsetzen: Als Königin von Ungarn bestand sie auf einer magyarischen Gesellschaftsdame, die ihr auch die Sprache dieser „exotischen“ Untertanen beibrachte.

Die exzentrische späte Sisi bleibt in Xaver Schwarzenbergers gleichnamigem Liebesfilm, an dem sechs Drehbuchautoren mitwirkten, ausgeblendet. Auch Marotten wie ihre Neigung zu Extremdiäten und Extremsport oder ihre tägliche mehrstündige Kämm-Prozedur („Ich bin die Sklavin meiner Haare“) werden nur angedeutet. Dennoch hat sich der gebürtige Wiener als Regisseur und Kameramann mit seiner Sisi-Interpretation anno 2009 eine tonnenschwere doppelte Mozartkugel aufgebürdet. Zum einen galt es, die so facettenreiche Persönlichkeit der Elisabeth Amalie Eugenie, Tochter des Herzogs Maximilian in Bayern, Kaiserin von Österreich seit 1854 und Königin von Ungarn seit 1867, neu zu interpretieren. Zum anderen musste sich die bislang weitgehend unbekannte italienische Schauspielerin Christiana Capotondi von einem übermächtigen Vorbild freispielen: der blutjungen Romy Schneider als „Sissi“ (mit historisch falschem Doppel-S) in Ernst Marischkas Trilogie der fünfziger Jahre. „Gut fünfzig Jahre nach der alten ‚Sissi‘ kann man das ruhig noch einmal probieren, aus einer anderen Sicht und mit anderen Schwerpunkten“, meint Xaver Schwarzenberger. Mit der Wahl der 29-jährigen Römerin, die mit ihren weichen mädchenhaften Zügen der brünetten Kaiserin verblüffend ähnlich sieht, ist er sehr zufrieden.

Der opulente Bilderreigen wurde als italienisch-österreichisch-deutsche Koproduktion ausschließlich an Originalschauplätzen gedreht und kostete circa elf Millionen Euro. 2000 Komparsen und hundert Pferde kamen zum Zuge, allein für die Hauptdarstellerin wurden 40 Roben gefertigt. Die RAI hatte als Initiatorin zur Auflage gemacht, dass Sisi von einer Italienerin gespielt werde. „Ich fand das eigentlich eine sehr gute Idee für uns“, sagt der Regisseur, „denn je weiter sie weg ist vom Klischee unserer deutschen Sisi, desto lieber war es mir. Wir haben sie unter etwa 15 Schauspielerinnen ausgesucht. Sie war sofort meine erste Wahl, zumal ich im deutschen Sprachraum niemanden gewusst hätte, der diese große Zeitspanne hätte bewältigen können“.

Trotz einiger kostümraschelnder Längen zu süßlicher Geigenmusik ist das Experiment weitgehend geglückt: ein 200-minütiges „Feel-Good-Movie“ zur Weihnachtszeit, das dennoch Elisabeth als emanzipierte und politisch denkende Frau zeigt und viel von der Zerrissenheit des Vielvölkerstaates erzählt. „Sisi“ setzt mit einem galoppierenden Wildfang ein, dem bayerischen Backfisch hoch zu Ross im heimatlichen Possenhofen. Eher zufällig soll die Sechzehnjährige ihre ältere Schwester Helene zu einer Audienz bei ihrem Cousin Franz Joseph I. am Wiener Hof begleiten. Der junge Regent ist auf Brautschau und verliebt sich prompt in die Falsche – aus Sicht seiner Mutter. Christiana Capotondi als Sisi und dem deutschen Burgschauspieler David Rott als Franz gelingt es erstaunlicherweise auf Anhieb, aus dem Schatten von Romy Schneider und Karlheinz Böhm herauszutreten.

Doch das Eheglück ist von Anfang an getrübt. Wie ein dunkel funkelnder Edelstein tritt Martina Gedeck in rubinroter Robe auf den Plan. Sie verkörpert mit ungewohnt rollendem R die böse Schwiegermutter Sophie, die Hüterin der Habsburger Tradition und damit Gegenspielerin der liberalen Sisi, in deren Kindererziehung sie autoritär eingreift. „Für mich lag durch die Besetzung mit Martina Gedeck ein qualitatives Gewicht auf dem Ganzen“, sagt Xaver Schwarzenberger, „und es war für mich auch ein großer Reiz und eine der Attraktionen der Geschichte, diesen Fight zwischen zwei Frauen als Fünfzehn-Runden-Kampf zu zeigen“. Auch andere Nebenrollen sind hochgradig besetzt, allen voran Fritz Karl als Graf Andrássy. Der ungarische Freiheitskämpfer wird zu Sisis Verbündetem und – fast – zu ihrem Geliebten.

Xaver Schwarzenberger drehte als Kameramann von Rainer Werner Fassbinder unter anderem 1980 die Literaturverfilmung „Berlin Alexanderplatz“. Der Kontrast zur strahlenden „Sisi“ könnte nicht größer sein, und doch ist der 63-Jährige seinem Lehrmeister RWF ewig dankbar: „So verhuscht Fassbinder damals erschien, so wirr oder was auch immer, so unheimlich klar und praktisch und ökonomisch denkend war er beim Filmemachen. Und das ist ein goldenes Vermächtnis für mich.“

„Sisi“, heute und am Sonntag um 20 Uhr 15 im ZDF 

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