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„Deep Throat“ wurde sofort zum Kassenschlager in den US-Kinos.

© dpa

„Deep Throat“: Arte-Doku über Porno-Klassiker: Wie der Porno salonfähig wurde

Eine Arte-Dokumentation rekonstruiert die Erfolgsgeschichte des berühmtesten Pornos aller Zeiten.

Manchmal ist eine Banane eben doch nicht nur eine Banane. Linda Lovelace konnte sich diese Frucht unglaublich tief in den Hals stecken. Dieses Kunststück brachte Gerard Damiano, einen katholischen Italo-Amerikaner aus der Bronx, auf eine schillernde Idee. #

Mit einem geringen Budget von gut 25 000 Dollar schuf er 1972 einen komödiantisch überzeichneten Porno, der den Zeitgeist der sexuellen Revolution auf den Punkt brachte und zum kommerziell erfolgreichsten Independent-Film überhaupt avancierte.

In ihrer Dokumentation erinnert die französische Journalistin Agnès Poirier an die Entstehungsgeschichte dieses schmuddeligen Streifens. „Deep Throat“ traf einen Nerv. Schon in den 1950er Jahren hatte der Kinsey-Report den Diskurs über Sexualität angestoßen. („Deep Throat – Als der Porno salonfähig wurde“, Arte-Mediathek)

Und dank des Hippie-Slogans „Make Love, Not War“ war Sex in den frühen 70ern in aller Munde. Gerard Damiano hatte ein Gespür dafür. Als Damenfriseur, der seine Kundinnen täglich über sexuelle Frustrationen jammern hörte, führte er die unterschiedlichen Aspekte dieses Zeitgeistes in einer verdichteten Kinofantasie zusammen.

Im Stil einer Farce erzählt sein Film von einer Frau, die nie einen Orgasmus hatte. Bis ihr Arzt eine überraschenden Entdeckung macht. Es ging um die Klitoris – also jenes weibliche Organ, das zu dieser Zeit in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt ist. Damianos verrückter Film erzählt von einer jungen Frau, die keine sexuelle Befriedigung erlebte, weil sich ihre Klitoris im Hals befand.

Frauen im Publikum glaubten ihr nicht, dass sie ein Opfer ist

Die Lösung lag auf der Hand: Oralsex. Dieses ebenso dämliche wie geniale voyeuristische Narrativ wurde rasch zum gesellschaftlichen Ereignis. Kinogänger standen Schlange. Versuche des FBI, den Skandalfilm zu verbieten, stachelten die Neugier erst richtig an.

Damiano hatte den Rachen seiner Darstellerin buchstäblich vergoldet. Von den geschätzten 600 Millionen Dollar, die sein Machwerk einspielte, sah er selbst allerdings nichts. Der Regisseur wusste, dass es besser war, sich nicht mit den Produzenten anzulegen, die aus der berüchtigten Mafia-Familie Colombo stammten.

Anders erging es Linda Susan Boreman alias Linda Lovelace. Sie avancierte durch diesen Film zum ersten Porno-Star überhaupt. Damit nicht genug. Da man durch Fellatio nicht schwanger werden kann, schien „Deep Throat“ emanzipatorisches Potenzial zu haben. Und so wurde die damals gerade 23-jährige Darstellerin auch zur „Ikone der sexuellen Befreiung“.

Die Dokumentation führt vor Augen, wie mächtig dieses Narrativ war. Denn als Linda Lovelace knapp zehn Jahre nach Erscheinen des Films ihre Autobiografie vorlegte, wurde sie in Talkshows massiv angegriffen.

Frauen im Publikum glaubten ihr nicht, dass sie ein Opfer ist, das durch den Film vergewaltigt und sexuell ausgebeutet worden war. Die Situation eskalierte, Lovelace unterzog sich einem Lügendetektor-Test. Er gab ihr recht.

Sehenswert ist Agnès Poiriers Dokumentation dank einer weiteren Wendung. Ausführlich zu Wort kommt Ellen F. Steinberg alias Annie Sprinkle. Sie stieg etwa zeitgleich mit Linda Lovelace ins Pornogeschäft ein. Doch anders als der Star aus „Deep Throat“ behielt die heute als Autorin und Regisseurin bekannte Performancekünstlerin die Kontrolle. Seither sucht Sprinkle nach feministischen Alternativen zu harten Sexfilmen aus rein männlicher Perspektive.

Zwischen Frauen, die obszöne Filme machen, und denen, die das brutale Geschäft mit Voyeurismus bekämpfen, so der Tenor dieser Dokumentation, ist lange Zeit „kein Dialog möglich“.

Der anregende Blick zurück auf jene Umbruchphase, in der der Porno salonfähig wurde, bevor er mit Aufkommen der Videotechnik zur seelenlosen Industrie herunterkam, lässt beide Positionen zu Wort kommen.

Manfred Riepe

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