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Nicht Jacques Tati, sondern LKA-Mann Murot (Ulrich Tukur) im Urlaub.

© HR/Bettina Müller

„Tatort“ mit Ulrich Tukur: Das soll ich sein?

„Tatort“-Ermittler Murot alias Ulrich Tukur geht in den Urlaub, findet sich selbst und lässt Zweifel an der Zukunft seiner eigenbrödlerischen Figur aufkommen..

Was für ein verführerischer Gedanke zum Unterwegs-Sein, zum Urlaub-Machen in diesen Corona-Zeiten: „Es heißt, die beiden schönsten Dinge sind die Heimat, aus der wir stammen, und die Heimat, nach der wir wandern. Ich muss zugeben, wie gut es mir tut, dem vertrauten Raum zu entkommen, den Gedanken gestatten zu schweifen und zu dem zu kommen, was man fast vergaß. Denn hier entstehen sie, die neuen Gedanken, und es wächst der Mut, das Gewohnte abzulegen und sich gänzlich neu zu entdecken.“

Ich – das ist Felix Murot, jener ungewöhnliche „Tatort“-Ermittler aus Frankfurt, der hier mal Urlaub im Taunus macht. Doch, was heißt das schon: „Ich“? Im neuen „Tatort“-Fall der Marke Murot trifft der LKA-Mann im Biergarten einen Doppelgänger, schreibt dabei vorher noch jene schönen, ruhigen Kartenzeilen an seine Kollegin Wächter, als ob er ahnen würde, wie seine Existenz in den nächsten 90 Minuten komplett auf den Kopf gestellt – und uns Zuschauern genau der richtige „Tatort“ zur richtigen Zeit präsentiert wird („Tatort – Die Ferien des Monsieur Murot“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15).

Von Urlaub und durchgehender Entspannung im Taunus kann aber erst mal keine Rede sein. Murot wird verwechselt mit Walter Boenfeld, einem verheirateten Gebrauchtwagenhändler, der im Restaurantgarten sitzt und vergeblich auf seine Schweinshaxe wartet, die man Murot serviert hatte.

Sinistre Nachbarn unter die Lupe

Beseelt von einem kuriosen Aufeinandertreffen verbringen die beiden den Abend miteinander, trinken sehr viel, reden bei einem Saunagang übers Leben und tauschen im Vollrausch die Kleider. Als Murot am nächsten Tag verkatert auf Walters Hollywoodschaukel aufwacht, muss er feststellen, dass dieser in der Nacht auf der Landstraße totgefahren wurde. War es seine Frau Monika, von der Walter letzte Nacht noch behauptet hatte, sie wolle ihn umbringen?

Fast erübrigt es sich zu erwähnen: Das ist wieder ein Grenzen sprengender „Tatort“. Die Marke Tukur/Murot: anfänglich mit seinem Hirntumor redend, wild um sich schießend, sterbend und wie ein Murmeltier jeden Morgen neu aufwachend – und dabei immer wieder die Filmgeschichte zitierend.

Auch hier, mit den „Ferien des Monsieur Murot“, wobei das mit der Anspielung auf Jacques Tatis Komödie („Die Ferien des Monsieur Hulot“) eher auf die falsche Fährte führt. Freunde der Literatur dürften sich bei der kriminalistischen Anverwandlung Murots an die Doppelgänger-Motive der deutschen Romantik erinnert fühlen, an E.T.A Hoffmann oder Eichendorff.

Denn natürlich entdeckt der ewige Einzelgänger Murot in jenem verstorbenen, prollig-geselligen Doppelgänger Boenfeld, dem Gebrauchtwagenhändler mit Goldkettchen Anteile von sich. Besser gesagt, er entdeckt: Defizite bei sich.

Murot bleibt in Boenfelds Haus, ermittelt in dessen Identität, nimmt die tablettenabhängige Frau Monika (Anne Ratte-Polle) samt sinistrer Nachbarn unter die Lupe und hat dabei immer mehr Mühe, Privates und Berufliches zu trennen. Die Tätersuche wird zur Identitätsflucht, der „Tatort“ zum Psycho-Drama.

Ein fesselnder Krimi (Buch: Ben Braeunlich und Grzegorz Muskala, der auch Regie führt) mit erstaunlich wenig Wendungen, aber die braucht es bei der verblüffenden Geschichte auch nicht. Schönste Szene: Murot/Boenfeld bei seiner eigenen Beerdigung – mit erschreckend wenig Besuchern. Das muss ein einsamer Mensch gewesen sein.

Wie schreibt Murot anfangs: „Vielleicht kehre ich ja als ein Anderer zurück.“ Will der Romantiker raus aus seiner Haut? Das Ende dieses Tukur-Krimis lässt bangen um den Fortbestand einer der verwegensten „Tatort“-Marken der vergangenen 50 Jahre.

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