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„Schmähkritik“ gegen türkischen Präsidenten: Böhmermann scheitert mit Verfassungsbeschwerde zu Erdogan-Gedicht

Teile des Gedichts „Schmähkritik“ waren bereits verboten worden. Das Bundesverfassungsreicht wies die Beschwerde des Entertainers dagegen nun zurück.

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Kurz, aber schmerzhaft war die Mitteilung für Jan Böhmermann. „Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat.“ Eine weitere Begründung zum am Donnerstag veröffentlichen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts gab es nicht. Die Entscheidung aus Karlsruhe, denen die zivilrechtlichen Verfahren zugrunde lagen, ist unanfechtbar, der Satiriker und TV-Moderator muss mit den bisherigen Gerichtsurteilen zu seinem Gedicht „Schmähkritik“ über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan leben.

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Der heute 40-Jährige hatte das Gedicht vor fast sechs Jahren am 31. März 2016 in seiner TV-Satireshow „Neo Magazin Royale“ im öffentlich-rechtlichen ZDFneo vorgetragen und Erdogan darin unter anderem mit Sex mit Tieren in Verbindung gebracht. „Ziegenficker“ war nur eine der Verbalinjurien. Böhmermanns Gedicht führte zu einem diplomatischen Eklat zwischen Deutschland und der Türkei, stets begleitet von einer Debatte in Deutschland darüber, wie weit Satire gehen darf..

Teilerfolge für Erdogan und Böhmermann

Erdogan wehrte sich vor Gericht gegen Böhmermann und erzielte einen Teilerfolg. In dem Fall ging es im Kern um die verfassungsrechtlich geschützte Kunst- sowie Meinungsfreiheit auf der einen und dem Persönlichkeitsrecht auf der anderen Seite. Nach Urteilen von Hamburger Gerichten in den vergangenen Jahren wurden große Teile des Gedichts verboten, das betrifft 18 von 24 Gedichtzeilen. Die betreffenden Passagen enthielten demnach schwere Herabsetzungen, für die es in Person und Verhalten Erdogans keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte gebe. Das gesamte Gedicht wurde aber nicht verboten, was der türkische Präsident erreichen wollte. Für ihn sei „ziemlich offensichtlich, dass auch staatspolitische Überlegungen bei den Entscheidungen eine Rolle spielten“, hatte Böhmermanns Anwalt Christian Schertz mit Blick auf mögliche diplomatische Folgen der Urteile betont.

Strafrechtlich blieb das Gedicht für Böhmermann folgenlos. Immerhin erreichte er, dass der entsprechende Paragraf im Strafgesetzbuch, der die „Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“ unter Strafe stellte, gestrichen wurde. Der Bundesgerichtshof hatte 2019 die Beschwerde Böhmermanns dagegen, dass eine Revision zum Urteil der Hanseatischen Oberlandesgerichts nicht zugelassen worden war, zurückgewiesen. Danach zog Böhmermann vor das höchste Verfassungsgericht. Er berief sich auf die vom Grundgesetz geschützte Meinungs- und Kunstfreiheit. Das ZDF entschied sich später für die nachträgliche Streichung des ZDFneo-Beitrags, die geplante Wiederholung auf dem Hauptsender wurde herausgekürzt. Auch in der Mediathek war der Beitrag dann nicht mehr abrufbar. Böhmermann ist inzwischen mit einer Satireshow im ZDF-Hauptprogramm zu sehen. Der Sender sah sich nach dem Beschluss des Gerichts offenbar zu einem Treuebekenntnis genötigt: "Das ZDF steht zu seinen Satiresendungen, die einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung und dem gesellschaftlichen Diskurs leisten."

Kritik von Bundeskanzlerin Merkel

2019 klagte Böhmermann mit Hilfe seines Anwalts Schertz erfolglos vor dem Berliner Verwaltungsgericht gegen das Kanzleramt auf die Unterlassung einer Formulierung der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie hatte Böhmermanns Zeilen „bewusst verletzend“ genannt, distanzierte sich aber wenig später von dieser Formulierung. Schertz äußerte sich am Donnerstag auf dpa-Anfrage nicht zu dem Beschluss aus Karlsruhe. In den vergangenen Jahren im Kontext der Hamburger Verfahren hatte er argumentiert, dass die Kunstfreiheit, insbesondere die Einbettung des Gedichts in den Gesamtkontext, nicht hinreichend berücksichtigt worden sei.

Gutachten stützt Verfassungsbeschwerde

Der Staatsrechtler Bernhard Schlink hatte die Verfassungsbeschwerde in einem Gutachten im Auftrag der Gewerkschaft ver.di vom Sommer 2021 für begründet gehalten. Schlink war zu dem Schluss gekommen, dass Böhmermann durch das Teilverbot seiner „Schmähkritik“ in seiner Kunstfreiheit verletzt werde. Die in dem Gedicht verwendeten Schimpfworte meinten „erkennbar nicht die wirkliche Intim- und Sexualsphäre“ Erdogans, sondern bezögen sich auf diese nur formelhaft, betonte der Jurist. Das Gedicht richte sich nicht gegen die Person Erdogan, sondern gegen ihn in seiner Rolle als Staatsoberhaupt, argumentierte Schlink, der auch als Romanautor („Der Vorleser“) bekannt ist.

Was nach sechs Jahren Gerichtsverfahren faktisch bleibt: Sechs Zeilen "Schmähgedicht". Und die Ewigkeitsfrage: Was darf Satire?

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