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Make Britian great again. Die Chefin der populistischen Bewegung „4 Stars“ hat es geschafft. Viv Rock (Emma Thompson) ist zur Premierministerin gewählt worden.

© ZDF und Matt Squire

BBC-Serie bei ZDFneo: Merkel tot, Populistin vorne

„Years and Years“: eine BBC-Serie blickt weit in eine dystopische Zukunft. Der Blick ist skeptisch, aber die Familie Lyons macht Mut.

Was ist denn Ihre Erwartung an die Zukunft? Ist sie positiv oder negativ, geht es mit Ihrem Leben voran oder heißt Fortschritt nur: Rückschritt? Die Familie Lyons lebt Antworten vor, in der BBC/HBO-Serie „Years and Years“.

Geschrieben von Russell T. Davies („Doctor Who“) für sechs Mal 60 Minuten. Ausgangspunkt ist das Jahr 2019, Endpunkt 2034, 15 Jahre vergehen im Mikrokosmos der Lyons in Manchester und im Makrokosmos der Weltenläufe. Dem Weltgeist sind Stephen (Rory Kinnear), Daniel (Russell Tovey), Rosie (Ruth Madeley) und Edith (Jessica Hynes) schlichtweg egal, Geschichte wird ohne sie, ohne die Großmutter Muriel (Anne Reid), Stephens Frau Celeste (T'Nia Miller) oder Tochter Bethany (Lydia West) gemacht.

Stephen und Celeste werden bald vor dem Ruin stehen, als sie ihre Immobilie in London verkaufen müssen und den Millionengewinn sofort einbüßen, weil die Finanzkrise ihre Bank in den Ruin treibt.

Überhaupt: Die Lage in der gesamten Welt ist alarmierend. Griechenland und Spanien revoltieren, in Italien herrscht Bürgerkrieg, Bundeskanzlerin Angela Merkel ist gestorben. Der wiedergewählte US-Präsident Donald Trump lässt – wir schreiben das Jahr 2024 – eine Atombombe auf eine chinesische Insel abwerfen, Edith, die sich zu diesem Zeitpunkt in Vietnam aufhält, bekommt eine beträchtliche Menge Strahlung ab.

Unglück in Hülle und Fülle

Noch mehr Unglück gefällig? Celeste verliert ihre Stelle als Buchhalterin an die Künstliche Intelligenz, Daniel, unsterblich in den ukrainischen Flüchtling Viktor (Maxim Baldry) verliebt, muss erleben, wie dieser abgeschoben wird; Daniel wird alles daran setzen, Viktor nach Großbritannien zurückzuholen. Bethany will transhuman leben, sie lässt sich ein Implantat ins Hirn einsetzen, wodurch sie auch ihre Familie ausspionieren kann.

Die Zukunft, eine nur furchtbare Dystopie? Nicht nur und längst erkennen auch die Lyons ihre Möglichkeiten. Rosie ergreift radikale Maßnahmen gegen die Abriegelung ihres Wohnviertels, Edith bricht mit ihrer Freundin Fran auf, Viktor aus einem Migrantenlager zu befreien. In den Lyons stecken Lions. Das Schicksal der Familie passiert vor dem Hintergrund eines weiteren, durcherzählten Plots: Es ist der Aufstieg der Unternehmerin Vivienne „Viv“ Rock (Emma Thompson) zur Premierministerin. Sie kann enttäuschte Wählerinnen und Wähler für sich gewinnen und bewirkt mit ihren provokanten Ansichten – wählen darf nur der, der bei einem Intelligenztest einen bestimmten Wert erreicht – und provokanten Aussagen – Rock freut sich offen über Merkels Tod – einen gesellschaftlichen Wandel mit gravierenden Folgen.

Könnte man sagen, dass Drehbuchautor Davies emsig und willkürlich mit den großen Würfeln um sich schmeißt. Passiert sehr viel und trotz der nur 15 Jahre sehr viel Dramatisches. Immigration, Nationalismus, Hire-and-Fire-Wirtschaft, Künstliche Intelligenz – und der Brexit und Corona sind noch nicht mal inkludiert. „Years and Years“ diskutiert die großen Fragen und Themen nicht, sondern lässt sie auf das reale Leben der Lyons prallen. So lässt sich Rosie von der neuen politischen Kraft Rock und ihrer Vier-Sterne-Bewegung mitreißen.

Politisches wird persönlich

Die sechs Folgen in ZDFneo spannen Sci-Fi und Familiendrama zusammen. Das lässt jede Ferne sehr nahe erscheinen, das Politische wird persönlich, die Familie Lyons ist divers genug, dass jeder Zuschauer/jede Zuschauerin seine/ihre Identifikationsfigur findet. Die Lyons sind die Meiers, die Müllers, die Schmidts dieser Welt.

Es ist selten genug, dass sich fiktionales Fernsehen der Zukunft annimmt, einen großen Schritt auf der Zeitachse nach vorne wagt. „Years and Years“ riskiert das, offeriert Optionen für Spekulationen, Sensationen und sophistische Spielereien. Über manches darf der Kopf geschüttelt werden – aber bitte erst, nachdem darüber nachgedacht worden ist.

[ „Years and Years“, Donnerstag, ZDFneo, 20 Uhr 15, alle sechs Folgen, ab 15.1. komplett in der Mediathek.]

Die Regisseure Simon Cellan Jones und Lisa Mulcahy wollen eine sonore Erzählung. Wenn so viel Aufregendes passiert, brauchen die Bilder nicht noch zusätzliche Aufregung. Stringent ist der Fluss der Szenen, empathisch, ohne sich ins Pathos zu verlieren, wenn es um Realität und um Familie geht, darf es an Wirklichkeit und privat-persönlichen Werten nicht fehlen.

Und Ego-Shooting darf das Schauspiel nicht beherrschen. Tut es bei dieser Produktion nicht, sie besticht durch Ensembleleistung. Sollte doch jemand herausgehoben werden, wäre Emma Thompson als rücksichtslose Populistin zu nennen. Sie verkörpert die Zukunft, die sie für sich gewinnen will – obwohl sie zu den Schwarzmalerinnen zählt. Gehört denen vielleicht die Zukunft? „Years and Years“ gehört jedenfalls zur positiven Fernsehgegenwart.

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