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Getötet und zerteilt: Der saudische Exil- Journalist Jamal Khashoggi.

© Jamali/dpa

Sky-Doku über Mord an Jamal Khashoggi: Barbarei der Weltpolitik

„The Dissident“ auf Sky zeichnet den Staatsmord am saudischen Journalisten Jamal Khashoggi nach.

Zur Weltpolitik gehört in aller Regel nicht, wenn gewichtige Staatsmänner nichtige Ganoven in wenig prunkvolle Konferenzsäle schicken, um ihre Gegner töten, zerteilen, heimlich entsorgen zu lassen. Man muss demnach die Frage stellen: war es nun Weltpolitik oder nur Barbarei, die sich am 2. Oktober 2018 im Istanbuler Konsulat Saudi-Arabiens ereignete? Tatsache ist: der bestialische Mord am regimekritischen Exil-Publizisten Jamal Khashoggi, den Kronprinz Mohammed Bin Salam, kurz MBS, offenbar in Auftrag gegeben hatte, war das barbarischste Stück Weltpolitik seit Jahren – und damit definitiv einer Rekonstruktion des investigativen Filmemachers Bryan Fogel wert.

In seiner oscarprämierten Dokumentation „Ikarus“ hatte Fogel bereits das russische Staatsdoping entlarvt. Jetzt nimmt der US-Amerikaner den saudischen Staatsterrorismus unter die Lupe. Und das Ergebnis sollte Regimekritikern in aller Welt ebenso Sorge bereiten wie die Entführung einer irischen Passagiermaschine durch den belarusischen Diktator Lukaschenko oder Nordkoreas langer Arm der Abtrünnigen-Verfolgung in aller Welt. Doch der Reihe nach.

[„The Dissident“, auf Sky]

Mit vielfältigem Archivmaterial, aussagekräftigen Beobachtern und handelsüblichem Reenactment, zeichnet „The Dissident“ Geschichte, Verlauf, Konsequenzen eines beispiellosen Verbrechens nach und damit auch das Porträt einer hybriden Persönlichkeit. Alles andere als das, was Fogels Filmtitel suggeriert, hatte Jamal Khashoggi nämlich jahrzehntelang wohlwollend übers Königshaus und seine Politik der liberalen Öffnung berichtet. Erst als die totalitäre Dynastie den arabischen Frühling im Keim erstickte, ging der gelernte Buchhändler aus Medina auf Distanz zu MBS – und spätestens seit dem spektakulären Waffendeal mit Donald Trump 2017 ins Exil. Aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn.

Khashoggi wollte Papiere für seine Hochzeit beantragen

Denn beim Versuch, die nötigen Papiere seiner anstehenden Hochzeit mit einer Türkin zu beantragen, betritt Jamal Khashoggi – tätig unter anderem für „Washington Post“ und BBC – bald darauf die Vertretung seiner saudischen Heimat in Istanbul und ward nie mehr lebend gesehen. Schon Stunden danach mutmaßen internationale Medien über sein Verschwinden. Zügig wächst die Spekulation zur Gewissheit, MBS habe sich eines unliebsamen Exil-Journalisten entledigt. Und Bryan Fogel räumt mit dem dramaturgischen Geschick eines Boulevardreporters jeden Zweifel daran aus, jemand anderes könne schuld sein an Khashoggis Tod.

Unterlegt von bedrohlicher Musik, zerteilt in suggestive Schnittfolgen, auf Schritt und Tritt begleitet von Zeitzeugen wie dem arabischen Exil-Kanadier Omar Abdulaziz Alzahrani, verfolgt Bryan Fogel sein Ziel der Demaskierung eines skrupellosen Regimes von der ersten bis zur 110. Minute mit dem Furor eines Staatsanwaltes im Promi-Prozess. Um die Niedertracht des Mordkomplotts zu betonen, wird sogar Khashoggis Witwe regelmäßig gebeten, ihren Verlobten geigenumflort zu preisen. Unvoreingenommen sind Bild- und Tonsprache selten, das Voice-Over der O-Töne klingt durchweg wie die Synchronisation drittklassiger Horrorfilme. Überhaupt – alles viel zu dick aufgetragen. Wobei dünner auch irgendwie unangemessen wäre.

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Schließlich ist „The Dissident“ nicht nur die Dokumentation einer staatlichen Straftat im Besonderen, sondern weltpolitischen Gesamtumstände. Zusammen mit der NGO Human Rights Foundation kreiert die Produktionsfirma Orwell Films folglich das Panoptikum absolutistischer Herrschaft. All das deckt dieses Real-Crime-Format ebenso auf wie Jamal Khashoggis grausames Ende und erzählt so nicht nur viel über ein beispielloses Verbrechen, sondern ein System turbokapitalistischer Globalisierung ringsum, das selbst Diktaturen wie Saudi-Arabien hoffähig macht. Die Barbarei der aktuellen Weltpolitik – „The Dissident“ verleiht ihr ein bedrückendes Manifest.

Jan Freitag

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