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Zweiter Anlauf.  Anna (Nina Hoss, Mitte) erlebt im Streicherensemble einen peinlichen Gesichtsverlust.

© Arte

Arte-Film mit Nina Hoss: Glück mit Geige

Nina Hoss hat in Ina Weisses „Das Vorspiel“ den Bogen raus. Der Film hebt sich von konventioneller Dramaturgie im Fernsehen wohltuend ab.

Nochmal die Etüde. Und nochmal. Und nochmal. Wer Geige spielen will, muss üben – und auch mal leiden. Lehrerin Anna Bronsky (Nina Hoss) hat sich für den jungen Alexander (Ilja Monti) bei der Aufnahmeprüfung eingesetzt. Jetzt will sie unbedingt, dass er das Probehalbjahr am Berliner Musikgymnasium besteht. Es beginnt vielversprechend. Alexander ist fleißig und ehrgeizig, klingelt bei der Lehrerin zu Hause, um weiter zu üben.

Dann geht es nicht mehr voran, eine Unterrichtsstunde eskaliert. Immer wieder muss Alexander neu ansetzen, die Wangen werden rot, der Körper verkrampft. Anna verwandelt sich in ein pädagogisches Monster mit verzerrten Gesichtszügen, brüllt und wird übergriffig, bis Alexander die Flucht ergreift.

Vier harte Minuten sind das im Film „Das Vorspiel“ von Ina Weisse, die meist als Schauspielerin vor der Kamera steht, aber im Jahr 2019 nach längerer Pause ihr zweites Werk als Regisseurin und Drehbuch-Autorin (gemeinsam mit Daphne Charizani) vorstellte. („Das Vorspiel“, Arte, Freitag, 20 Uhr 15)

Nach einer kleinen Festivaltour kam „Das Vorspiel“ im Januar 2020 noch gerade rechtzeitig vor Ausbruch der Pandemie in die Kinos. Mit 32 500 verkauften Tickets fiel das Interesse beim Publikum an dieser deutsch-französischen Produktion bescheiden aus – trotz einer mal wieder glänzend spielenden und von der Kritik gelobten Nina Hoss in der Hauptrolle.

Da Fernsehsender (hier: Arte und ZDF) üblicherweise als Koproduzenten mit ins Boot geholt werden, gibt es eine zweite Chance. Gut zwei Jahre später folgt die TV-Erstausstrahlung des Dramas um die Geigenlehrerin Anna Bronsky, die sich mit ihrem Schüler und ihrem Familienleben, mit musikalischem Anspruch und eigenen Versagensängsten herumschlägt. Ihr Sohn Jonas (Serafin Mishiev) ist ebenfalls ein talentierter Geiger, der sich angesichts des Engagements seiner Mutter für Alexander zurückzieht.

Da ist man hierzulande anderes gewohnt

Mit dem Instrumentenbauer Philippe (Simon Abkarian) ist Anna verheiratet, für etwas Abwechslung sorgt die Affäre mit ihrem Kollegen Christian (Jens Albinus). Nachdem sie mit der eigenen Karriere gescheitert war, will Anna in Christians Streicherensemble einen zweiten Anlauf wagen – und erlebt beim ersten Konzert einen peinlichen Gesichtsverlust.

Aus dem Leben einer Geigenlehrerin: Das klingt nach elitärem Mief in bildungsbürgerlicher Großstadt-Blase. Aber „Das Vorspiel“ hebt sich von konventioneller Dramaturgie im Fernsehen wohltuend ab. Ina Weisse hält zwar im Wesentlichen den zeitlichen Rahmen von Alexanders Probehalbjahr ein, verzichtet aber auf Milieu-Klischees und erzählt keine geschlossene Geschichte mit eindeutigem Ende.

Wie lebendig wirken Figuren, wenn sie mal uneindeutig sein dürfen, wenn Dialoge nicht erfunden wirken und eine deutsch-französische Familie etwas Unerhörtes im deutschen Fernsehen tut: Es spricht im Alltag wie selbstverständlich beide Sprachen. Da ist man hierzulande anderes gewohnt.

Neben den jungen Darstellern des Berliner Musikgymnasiums Carl Philipp Emanuel Bach sticht auch Sophie Rois als Annas kratzbürstige Kollegin und Jonas' Lehrerin heraus. Eine gute Idee außerdem, mit der Werkstatt des Instrumentenbauers und dessen Arbeit mit Holz dem Klischee von abgehobenen Musikerfamilien ein handfestes, bodenständiges Bild entgegenzusetzen.

Und die Musik, zum Beispiel Philippes auf der Gitarre gespieltes Geburtstagsständchen für Anna („Les temps des cerises“), ist hier natürlich nicht nur Qual, sondern auch ein Quell des Glücks. Eine Aufnahme, in der sie selbst zu hören ist und an die sie sich nicht mehr erinnert, kommentiert Anna: „Klingt irgendwie unfertig.“ „Das ist ja das Schöne“, antwortet Philippe.

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