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Schamhaft bedeckt: Trotz des Titels „Penissimo“ betreibt die wundervolle Doku von Gabi Schweiger nur selten Effekthascherei.

© N.Geyrhalter Filmproduktion

Arte-Doku über das männliche Geschlechtsteil: Lässig herumhängen

Der Arte-Film „Penissimo“ ist das männliche Pendant zur Vagina-Doku „Viva la Vulva“.

Ob alles, was lang, hart und wuchtig, stählern, steinern, hölzern himmelwärts weist, zwingend Abbilder männlicher Geschlechtsteile sind, ist wohl eher Auslegungssache. Wer sich all die phallischen Bauwerke der Menschheits-, ergo zumeist Männlichkeitsgeschichte vor Augen hält, dürfte den Einstieg von „Penissimo“ allerdings absolut stichhaltig finden. Bei ihrer Suche nach Ursache und Wirkung vermeintlich geschlechtsspezifischer Verhaltensweisen, beginnt die Arte-Doku nämlich in der Architektur.

Wo weithin sichtbare Denkmäler und Monumente in die Höhe ragen, erinnern sie schwer ans maskuline Begattungsorgan. Inzwischen haben die Herren der Schöpfung den Planeten so mit Phallussymbolen zugepflastert, dass Gabi Schweiger kaum anders kann, als ihren wundervollen Film über Penisse mit deren Nachbildungen in aller Welt zu starten.

Vom Obelisken über Kirchtürme bis hin zum Wolkenkratzer, gräbt sich die Regisseurin in ihrer Aufklärungsstunde durch das, was zwar Tausend Namen hat und dennoch kaum zu fassen ist. „Schwengel klingt irgendwie zu groß, Schniedel zu klein“, befindet ein Zeitzeuge mit Normalmaß im Schritt. Da das medizinische „Membrum Virile“ zu formell klingt, bevorzugen andere Protagonisten Worte wie Willy, Eichel, Gurke, Schwanz oder – kein Scherz – aufsteigender Drachen.

„Penissimo“, Mittwoch um 22 Uhr 15 auf Arte

Wobei allein das Vokabular schon zeigt: ein schlüpfriges Ding, dieses Fortpflanzungsinstrument. Dem Schamgefühl nach so obszön wie im weiblichen Pendent namens „Viva la Vulva“ an gleicher Stelle, umschiffen es dieselben Filmemacher allerdings mit ähnlicher Virtuosität wie ihre Vagina-Analyse vor drei Jahren. Nach dem fernsehüblichen Streifzug durch 4000 Jahre Titelthemenhistorie, reist Gabi Schweiger vom sumerischen Altertum über Italiens Renaissance ins Salzburg von heute, wo überlebensgroße Penisskulpturen auch 2003 noch für bürgerliche Entrüstung sorgen und damit beweisen: Trotz FKK, 1968 und Youporn ist Nacktheit nicht annähernd so normal wie auf Papua-Neuguinea.

Was macht der Sexus mit dem Genus?

Dort, das zeigt „Penissimo“ sehr explizit, dekorieren Männer ihre Schniedel offen auf Schwengelgröße, erregen damit jedoch weniger Aufsehen als das angesprochene Kunstkollektiv in der Mozart-Stadt. Umso dezenter nähert sich Arte dem dokumentarischen Kernanliegen: Was macht der Sexus mit dem Genus, das biologische Geschlecht also mit dem sozialen? Und welche Folgen hat das unverwüstliche Zentralgestirn männlichen Selbstbewusstseins für alle anderen – Frauen etwa, Gesellschaften, ganze Staaten, die Menschheit? Um das zu beantworten, nimmt Schweiger nahezu alles unter die Lupe, was sich im Penisschatten befindet.

Der Kulturwissenschaftler Patrick Catuz versucht dafür den Hochleistungssport Pornografie mit avantgardistischer Erotik zu entzaubern. Der Paarpsychologe Romeo Bisutti taxiert die Durchschnittslänge auf 14 Zentimeter und nimmt so Druck vom Kessel seiner penisneidischen Klientel. Der Journalist Julian Dörr führt uns über Kriegsdenkmäler in Berlin zum Gipfel toxischer Männlichkeit. Und wenn acht, neun wiederkehrende Ottonormalmänner aus drei, vier Generationen in fünf, sechs Kulturkreisen über Gliedgrößen, Impotenz, Machismo reden, spricht es Bände über Last und Lust des mutierten Y-Chromosoms.

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Denn eigentlich geht es in „Penissimo“ gar nicht um den Titelhelden, sondern was Männer daraus, damit, dagegen alles machen. Auch 120 Jahre nach Freuds Sexualpsychologie und halb so lang nach der zugehörigen Revolution, ist und bleibt er schließlich das Wesen geschlechtlicher Differenz. Die erst in ihre Einzelteile zu zerlegen und neu zu verlöten, macht den Film zum kleinen Meisterwerk der Erwachsenenbildung.

Dass Randaspekte wie Homophobie deutlicher sichtbar sind als Erektionen, Kopulationen, gar Ejakulationen, ist da kein Mangel, sondern Qualitätsmerkmal einer Dokumentation, die trotz und wegen des Titels nur selten Effekthascherei betreibt. Echte Männer können hier also was lernen: stand ihr bestes Stück der eigenen Emanzipation mal buchstäblich im Wege, darf es nun ohne Ansehensverlust der Person lässig herumhängen. Oder wie sagt jemand mit Penis im Film: „Es ist eine Stärke, Schwäche zu können“.

Jan Freitag

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