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2015 ging Leonora nach Syrien zum „Islamischen Staat“. Eine Entscheidung, die sie schnell bereute, die aber nur schwer rückgängig zu machen war.

© NDR

ARD-Reportage über Rückkehrerin: Einmal IS und zurück

Als 15-Jährige schloss sich Leonora 2015 den Islamisten an. „Die Story im Ersten“ erzählt von ihrer Odyssee.

Für Leonora M. aus Sachsen-Anhalt beginnt sich das Kapitel „Islamischer Staat“ (IS) langsam zu schließen. Im Jahr 2015 hatte sie im Alter von 15 Jahren die ostdeutsche Provinz des Südharzes verlassen, um sich in Syrien dem IS anzuschließen. Damals träumte sie von einem Leben an der Seite eines IS-Kämpfers. Kurz zuvor hatte die Jugendliche noch auf ihrem eigenen Youtube-Kanal Schmink- Tipps gegeben, nun verbarg sie freiwillig Gesicht und Körper unter einer Vollverschleierung.

Es dauerte jedoch nicht lange, bis sie erkannte, welche Konsequenzen es hat, wenn man sich in die Fänge religiöser Fanatiker begibt, die ein vorzeitliches Schreckensregime errichtet haben, in dem Frauen nach westlichen Maßstäben rechtlos sind. Doch diese Erkenntnis half ihr nun nicht weiter. Es sollte Jahre dauern, bis sie wieder nach Deutschland zurückkehren konnte.

Das ARD-Reportageformat „Die Story im Ersten“ hat einen großen Teil dieses Weges begleitet. Im Film „Leonora – Einmal IS-Terror und zurück“ erzählen Volkmar Kabisch, Britta von der Heide und Amir Musawy, was die junge Frau bei den Islamisten erlebt hat und wie sie später in einem Gefangenenlager sogar um ihr Leben bangen musste, weil ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt wurde. Nur durch die beharrliche Unterstützung ihres Vaters, der aus Liebe zu seiner Tochter mit Schleusern und der Al Qaida verhandelte, gelang ihr die Rückkehr. Um in Deutschland zeitweise inhaftiert und wegen ihrer Zeit in der Terrororganisation angeklagt zu werden.

[„Die Story im Ersten: Leonora – Einmal IS-Terror und zurück“, ARD, Montag, 22 Uhr 30. Ein Jahr lang in der Mediathek. Begleitend dazu findet sich in der ARD-Audiothek die dreiteilige Podcast-Serie „Leonora – Mit 15 zum IS“.]

Leonora sehnt sich seither nach nichts mehr als „einem stinknormalen Leben“. Doch dieser Wunsch wird noch länger ein Traum bleiben. Zumal aus ihrer Ehe mit dem ebenfalls aus Ostdeutschland stammenden IS-Angehörigen – er arbeitete für den Geheimdienst der Terrororganisation und wurde zu den hochrangigsten deutschen IS-Mitgliedern gezählt – zwei Kinder hervorgegangen sind.

Die ARD bewirbt diese „Story im Ersten“ als „eine Geschichte über Schuld und eine zweite Chance“. Als Zuschauer hätte man allerdings gerne mehr darüber erfahren, was genau Leonora als 15-Jährige nach Syrien zum IS gezogen hat. Wie kam es zu dem WhatsApp-Kontakt zu dem IS-Kämpfer aus Deutschland und warum wolle sie ihn heiraten? Wusste sie vorher, dass sie sich auf eine Vielehe einlassen würde, mit zwei weiteren Ehefrauen? Und war es ihre eigene Entscheidung, mit diesem Mann zwei Töchter zu bekommen? Auch möchte man wissen, was das Mädchen aus der ostdeutschen Provinz über den Islam dachte, was sie an der Relegion so sehr faszinierte? Und wusste sie tatsächlich nicht, welche Ziele der IS verfolgte und wie deren Anhänger mit Frauen umgingen? Doch mit Fragen dieser Art hält sich die Reportage erstaunlich zurück.

Ihre Geschichte ging um die Welt

Die erste Station nach ihrer IS-Zeit war ein von Kurden organisiertes Gefangenenlager in Syrien. Die Geschichte der jungen Deutschen mit ihren beiden Töchtern ging von dort um die Welt, auch in den „Tagesthemen“ gab es einen Bericht dazu. „Ich will seit langer Zeit mein altes Leben zurück. Jetzt weiß ich, dass es ein Fehler war“, sagte sie, eines der Kinder im Arm haltend.

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Die Bilder gelangten allerdings nicht nur in die bundesdeutschen Fernsehhaushalte, sondern auch zu ihren Mitgefangenen im Zeltlager. Dort befanden sich nicht nur Menschen, die sich vom IS losgesagt hatten – sondern auch solche, die weiterhin an die islamistischen Ziele der Terrororganisation glaubten. Und für diese war Leonora eine Verräterin.

Es ist nachvollziehbar, dass eine verzweifelte junge Mutter hofft, die Medienpräsenz für ihre Rückkehr nach Deutschland nutzen zu können. Aber wie steht es um die Verantwortung der Medien. Leonora wurde bei den Interviews offenbar so gezeigt, dass sie von IS-Anhängern identifiziert und bedroht werden konnte. Und warum werden sie und ihr Vater in der „Story im Ersten“ mit vollem Namen und konkreter Ortsangabe genannt? Der Wunsch nach einem „stinknormalen Leben“ dürfte so schwerer in Erfüllung gehen.

Und was die Beweggründe von Leonora angeht: So spektakulär die Odyssee dieser jungen Frau ist, die aus einer vagen Faszination heraus eine schwer nachvollziehbare Entscheidung traf, man hat nach der Reportage nicht wirklich das Gefühl, diese besser zu verstehen.

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