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Welches Geheimnis liegt in Annes (Claudia Michelsen) Vergangenheit?

© NDR/Hager Moss Film GmbH/Christi

ARD-Film "Auf dem Grund": Schockwellen

Jede Familie ist unterschiedlich unglücklich, im ARD-Film wird eine Familie mit ihrer Vergangenheit konfrontiert.

„Das Vergangene ist nicht tot. Es ist nicht einmal vergangen.“ William Faulkners Sentenz ist der Erzählung, die dann folgt, im Vorspann vorangestellt. Die Vergangenheit, sie scheint Anne (Claudia Michelsen) immer wieder einzuholen, ohne dass die Schwimmtrainerin verorten kann, woher das, was sie da immer wieder einholt, denn eigentlich kommt. Immer wieder sieht Anne etwa einen Jungen auf einem Fahrrad vorbeifahren, und es ist etwas Eigentümliches an diesem Jungen und seinem Fahrrad. Erst übersieht sie es.

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Später bemerkt sie es: der Junge wirkt wie eine anachronistische Erscheinung aus einer anderen Zeit, er ist sehr altmodisch angezogen, das Fahrrad scheint uralt. Doch Anne wiederfährt noch mehr: sie, die einmal Schwimm-Meisterschaften gewonnen hat, die nun nach neuen Talenten sucht, den Nachwuchs trainiert – darunter auch ihre Nichte Juli (Anna-Lena Schwing) –, hat immer wieder Probleme, wenn sie ins Wasser geht. Da ist manches Mal ein Sog, der urplötzlich kommt und Anne nach unten zieht.

[ „Auf dem Grund“, Mittwoch, ARD, um 20 Uhr 15]

„Auf dem Grund“ hat Regisseur Thorsten M. Schmidt nach dem Drehbuch von Susanne Schneider und Astrid Ruppert in Szene gesetzt – ein feinfühliges psychologisches Familiendrama, in dem es um die Verquickung von Gegenwart und Vergangenheit geht, darum, was einen Menschen ausmacht, ihn prägt.

Anne ist mit Tom (Alexander Wüst) zusammen, der eine Geliebte hat. Sie wird betrogen, Misstrauen hat sich eingeschlichen. Anne ist die Schwester von Miriam (Karin Hanczewski), der es überhaupt nicht recht ist, dass ihre Schwester sich so sehr um Tochter Juli kümmert. Anne ist die Tochter von Inge (Eleonore Weisgerber) und Helmut (Michael Wittenborn), und es ist ein äußerst schwieriges, belastetes Verhältnis zur Mutter, das wie ein Schatten auf ihr liegt.

Feier zum Geburtstag

Als es gleich zu Beginn des Films den großen runden Geburtstag von Mutter Inge zu feiern gilt, im Haus der Eltern, da wird schnell offenkundig, dass unter allem, was gesagt wird, eine zweite Ebene liegt: die Ebene des Unausgesprochenen, des Zurückgehaltenen. In dieser Familie brodelt es, und das, was Miriam und Anne nicht wissen, worüber ihre Eltern eisern schweigen, seit Jahrzehnten schweigen, das bestimmt aller Verhalten untereinander: die Vergangenheit.

„Auf dem Grund“ erzählt von dieser Familie, ihren einzelnen Mitgliedern, den Beziehungen untereinander, den jeweiligen Interaktionen und Abhängigkeiten. Von jedem der Familienangehörigen entsteht so eine kleine Miniatur-Biographie, wobei es Anne ist, die im Zentrum dieser Erzählung steht. Claudia Michelsen spielt diese Anne sehr nuanciert, und sie spielt eindringlich und glaubwürdig die ganze Verletzbarkeit und Verletztheit dieser Frauenfigur aus. So ist es der Prozess einer Bewusstseinswerdung, der hier mit viel Empathie behutsam erzählt wird. Das um Michelsen herum aufgestellte Ensemble – darunter auch Karin Hanczewski, eine der Ermittlerinnen des eigenwilligen Dresdner „Tatort“-Frauenduos – ergänzt, erweitert, vertieft.

Mutter begeht Suizid

Als Mutter Inge einen Suizid begeht und überlebt, geht eine Schockwelle durch die Familie. Was hat es mit dem großen Glas auf sich, das Anne auf dem Geburtstag auf der Suche nach einer Blumenvase fand, in dem all die vielen, von Kinderhand bemalten Steine liegen?

„Auf dem Grund“ mag schwere Kost sein, fernab jeglicher Mainstream-Unterhaltung. Aber dieser leise Film erzählt von den wirklich wichtigen Dingen des Lebens. Vom Gestern, das das Heute mithin ausmacht. Gespielt von einem großartigen Ensemble. Und er veranschaulicht sehr nachvollziehbar: „Das Vergangene ist nicht tot. Es ist nicht einmal vergangen.“ Thilo Wydra

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