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Historisches Momentum. Ein Grenzsoldat der DDR geht am 9. November 1989 in Ost-Berlin zur Mauer, beobachtet von Passanten, Fotografen, Hörfunk- und Fernsehreportern, darunter Teams des Senders Freies Berlin. 

© Foto: picture alliance/Wolfgang Kumm

Der SFB und der 9. November 1989: Vergessen? Vertan!

Der Sender Freies Berlin ist mit aller Kraft und live dabei, als die Mauer fällt. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg aber negiert diese Leistung. Ein Gastbeitrag.

| Update:

9. November 1989, was für ein historischer Tag und was für globale Konsequenzen: Die Mauer fällt, Deutschland wird wiedervereint, Berlin wieder Hauptstadt, die Sowjetunion zerfällt, Moskaus Satelliten verselbstständigen sich, der Marxismus-Leninismus ist falsifiziert, kein kalter Krieg mehr – und der Sender Freies Berlin (SFB) mittendrin, als alles beginnt.

„Wir müssen dem SFB dankbar sein“, sagt im Nachhinein Georg Schertz, seinerzeit Polizeipräsident in West-Berlin. Denn „wenn der SFB nicht so schnell und so intensiv berichtet hätte, wäre die Mauer an diesem Abend wohl nicht aufgegangen, so nicht“ und womöglich auch nicht unblutig, so in vielen gemeinsamen Diskussionen Günter Schabowski, der unglückliche Gastgeber einer denkwürdigen Pressekonferenz in Ostberlin.

Nur, wie geht der Rechtsnachfolger des SFB, der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), heute damit um? Statt Stolz zu zeigen, schweigt er über seine Rolle hartnäckig hinweg, als wolle er sie nicht wahrhaben. Statt die überreichen Quellen des Deutschen Rundfunkarchivs zu nutzen, werden Gedächtnisse bemüht.

Günther von Lojewski war von 1989 bis 1997 Intendant des Senders Freies Berlin.

© Foto: picture-alliance/dpa/Hubert Link

Zeitzeugen mit ihren speziellen Prägungen kommen überwiegend aus demselben Teil der ehemals geteilten Stadt, dem östlichen. Nicht, dass so Unwahres beschrieben wird. Aber vieles ist nur die halbe Wahrheit, manches Wichtige fehlt ganz. So wird Geschichte geklittert.

Halten wir vorweg ausdrücklich fest, dass auch der, der sich hier zu Wort meldet, der ehemalige Intendant des SFB, nur einer von vielen Zeitzeugen ist und allein der 9. November 1989 zur Diskussion steht und nicht die Politik. Die DDR war 1989 wirtschaftlich und finanziell am Ende, ohne Rückhalt in der eigenen Bevölkerung und außenpolitisch isoliert. Da schaffte es in Ost-Berlin eine neue Nomenklatura gerade noch, Erich Honecker zu stürzen, ihre erste internationale Pressekonferenz überlebte sie schon nicht mehr.

Günter Schabowski hat diese Pressekonferenz so beschrieben: Er selbst habe an der Sitzung des Politbüros nur zeitweise teilnehmen können, zum heiklen Thema „Reiseverordnungen“ habe ihm deshalb der Parteivorsitzende Krenz „gleichsam im Aufbruch“ noch einen „Zettel“ zugesteckt: „Das wird ein Knüller.“

 Das ist nach meiner Kenntnis... ist das sofort... unverzüglich.

Günter Schabowski

Den hebt er sich für das Finale seiner Pressekonferenz auf. Es ist 18 Uhr 56: „Haben wir uns dazu entschlossen, heute, äh, eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, äh, auszureisen.“ Nachfrage: „Ab wann tritt das in Kraft?“ Schabowski stotternd: „Das ist nach meiner Kenntnis... ist das sofort... unverzüglich.“

Es braucht nur Minuten, bis die Agenturen die Nachricht um die Welt jagen, „eilt, eilt“, „Blitz, Blitz“. Nicht die Printmedien, wohl aber die elektronischen Medien sind danach am Zuge. Allerdings, die jungen privaten Fernsehsender haben ihre Nachrichtensendungen gerade hinter sich. Das ZDF schiebt mitten in „heute“ eine Meldung ein.

Das DDR-Fernsehen, das die Pressekonferenz live übertragen und danach in der „Aktuellen Kamera“ routiniert berichtet hat, versinkt für Stunden in Schweigen. So treten in die elektronische Konkurrenz im Äther über der DDR zunächst nur einige wenige Hörfunksender an: Rias, 100,6, nicht einmal der Deutschlandfunk.

Der SPD-Politiker Walter Momper – hier 2006 – war damals Regierender Bürgermeister.

© Foto: picture-alliance/dpa/Michael Kappeler

Anders der SFB, die Landesrundfunkanstalt vor Ort. Als ich gegen 19.40 Uhr in den Sender komme, hat die „Abendschau“ bereits den Regierenden Bürgermeister Walter Momper einvernommen: „Es ist ein Tag, den wir uns lange ersehnt haben... Praktisch morgen geht es los.“ Wir treffen uns in der Lobby: „Und wie lange geben Sie der DDR noch?“ „Das wird noch eine Weile dauern.“ „Ich glaube, heute Nacht passiert es.“

Im Sender wuselt es bereits wie in einem aufgescheuchten Ameisenhaufen. Von allen Seiten drängen Kolleginnen und Kollegen herein, Festangestellte und Freie, Urlaube und Pensionäre, Redakteure, Techniker, Sachbearbeiterinnen. Sie alle sind beseelt von der Chance, hier und jetzt zu überwinden, worunter sie jahrelang auch physisch gelitten haben: die Mauer anzugreifen, die Teilung der Stadt zu beenden, auf eine Wiedervereinigung hinzuwirken.

Vom Tag seiner Gründung an gehörte es zum besonderen Auftrag des SFB, sowohl gen Osten wie gen Westen zu vermitteln, was im jeweils anderen Teil der Stadt, ja der Nation geschah, was einander noch verband oder zunehmend trennte. Darum verfügte der SFB, anders als andere Rundfunkanstalten, auch über eigene, starke Sender, die über die Stadt hinaus nahezu die ganze DDR erreichten.

Immer wieder suchten Ostdeutsche Schutz vor den SFB-Kameras

Darum suchten immer wieder Ossis, die sich in ihrem Staat bedroht fühlten, ihre Zuflucht vor SFB-Kameras. Darum erfuhren sie zum Schluss regelmäßig nur aus dem „West-Fernsehen“, wie Montag für Montag rund um ihre Kirchen demonstriert wurde; Roland Jahn besorgte das im SFB mit dem Netzwerk, das er sich nach seiner Ausweisung in der DDR erhalten hatte.

Allerdings, ausgerechnet am 9. November 1989 hat der SFB ein Problem: Ein ganzes Team wichtiger Mitarbeiter mit ihrem Equipment steht in Berlin nicht zur Verfügung. Es soll in Warschau erstmals aus der „besonderen Einheit West-Berlin“ einen Bundeskanzler in einem Ostblock-Staat begleiten – wo sich nun kein Mensch für sie interessiert.

Das Gebäude des Sender Freies Berlin (SFB) in Charlottenburg, aufgenommen im Juli 2000.

© Foto: picture-alliance/akg-images/Sewcz

Ein Treppenwitz der Weltgeschichte auch, dass derselbe Bundeskanzler, für den in Warschau alles gerichtet ist, sich am nächsten Tag beschwert, dass in Berlin der SFB Übertragungskapazitäten nur noch für eine (peinlich gestörte) Kundgebung vor dem Schöneberger Rathaus bereitstellen kann, nicht aber für eine spätere Veranstaltung der CDU am Breitscheidplatz.

Alle eilen am Abend des 9. November in Berlin zur Mauer

So müssen die im Sender Zurückgebliebenen die letzten verstaubten Kameras und Mikrofone aktivieren, ehe sie wieder hinauseilen ins Dunkel der Stadt, um zu suchen, wovon sie alle bestenfalls eine Ahnung haben: die ersten Boten der Maueröffnung. Gegen 21 Uhr sind allein für den Hörfunk über 30 Reporter in Ost und West unterwegs.

Gemeinsam mit ihren Fernsehkollegen berichten sie nun fortlaufend, zunächst manches vage, je später, desto konkreter: vom Grenzübergang Invalidenstraße („jede Menge Autos und mehrere Hundert Menschen“), von der Sonnenallee („um die 100 Leute“), Heinrich-Heine-Straße („120“), Bornholmer Straße („50 Ausreisewillige“, eine Stunde später bereits „zwischen 500 und 1000“, „viele Trabis“), am Checkpoint Charlie („circa 200“ und „Kamerateams“).

Die DDR hat mitgeteilt, dass ihre Grenzen ab sofort für jedermann geöffnet sind. Die Tore in der Mauer stehen weit offen.

So eröffnete Hanns Joachim Friedrichs am Abend die „Tagesthemen“

Gegen 21 Uhr 30 kommen in der Sonnenallee die ersten Ossis per „Ventillösung“ durch die Mauer, in ihrem Ausweis ein Stempel über dem Lichtbild, das ihn ungültig machen soll für den Fall einer Rückkehr. Nach 22 Uhr, als die Übertragung eines Fußballspiels im Ersten zu Ende ist, schwillt der Ansturm gegen die Mauer erst recht an. Zigtausende, Hunderttausende wollen es jetzt wissen, was „ab sofort“ und „unverzüglich“ realiter bedeutet, und dabei sein bei „etwas Historischem“.

Um 22.42 Uhr eröffnet Hanns Joachim Friedrichs die „Tagesthemen“ mit den Sätzen: „Die DDR hat mitgeteilt, dass ihre Grenzen ab sofort für jedermann geöffnet sind. Die Tore in der Mauer stehen weit offen.“

Dies haben wir Wort für Wort abgestimmt, ehe ich in einem Kommentar noch eins draufsetze: „Anlass zur Freude besteht (auch) heute. Kein Anlass für Häme oder Rechthaberei. Nicht die einen Deutschen waren klüger oder fleißiger, sondern die anderen 40 Jahre länger mit Unfreiheit geschlagen. An ihnen ist jetzt wiedergutzumachen... Wiedervereinigung? ,Nie davon reden, immer daran denken‘, so sind die Franzosen einmal mit einem Stück verlorenen Landes umgegangen. Die Perspektive unserer Tage heißt Europa.“

Der am 28. März 1995 verstorbene Fernsehjournalist und Moderator der ARD-Tagesthemen, Hanns Joachim Friedrichs, hier m November 1990.

© Foto: picture-alliance/dpa/Stefan Hesse

„Tor auf! Tor auf!“, hallt es immer fordernder an der Mauer. Nur 30 Minuten später ist es so weit. „Wir fluten jetzt“, gibt der diensthabende DDR-Oberstleutnant Harald Jäger an der Bornholmer Straße auf. „Zieht euch zurück! Lasst sie laufen!“, lautet das Kommando an der Invalidenstraße. „Wir sind das Volk“ hat obsiegt.

Ob immer sich Journalisten berühmen sollen, Politik bewirkt zu haben: Am 9. November 1989 war der SFB der Politik voraus. Kollektiver „Waaahnsinn“ reißt das ganze Land jetzt mit, nicht enden wollender Jubel auf der Mauer, Freibier und Sekt am Kurfürstendamm, Partys auf der Interzonen-Autobahn. Und alle, alle sagen auf Befragen: „Wir haben es im Radio gehört“, „im Fernsehen erfahren“ – wo sonst?

Zurück zum RBB. Wie beschreibt der öffentlich-rechtliche Nachfolger des SFB heute dessen denkwürdiges Wirken an diesem denkwürdigen 9. November? Beispielhaft soll für die Antwort die Folge „1989“ aus der Sendereihe „Schicksalsjahre einer Stadt“ stehen.

Stundenlang herrschte im DDR-Fernsehen an diesem Abend Funkstille

Da fällt zum einen auf, dass als Zeitzeugen mehr Journalisten aus dem Ostteil der Stadt zu Wort kommen als aus dem westlichen. Sie haben zwar in dieser Nacht von dem Aufruhr in ihrer Hauptstadt nichts, rein gar nichts wahrgenommen; deswegen brauchen sie jetzt als einzigen Wessi den SFB-Reporter Robin Lautenbach. Ansonsten war Funkstille im DDR-Fernsehen, bis gegen 22 Uhr auf Anweisung der Partei kurz versucht wird, Schabowskis „unverzüglich“ zurückzuholen.

„Wir waren der einzige deutsche TV-Sender, der live berichtet hat.“ Robin Lautenbach stand beim Mauerfall 1989 für die „Tagesthemen“ am Brandenburger Tor und am Übergang in der Invalidenstraße.

© Screenshot: TSP

Umso mehr bemühen sich die Autoren der „Schicksalsjahre“ im Nachhinein um den Eindruck, die DDR-Staatsmedien hätten im Vorfeld des 9. November alles für eine Wende getan: mit der neuen Jugendsendung „Elf 99“, Live-Diskussionen und der Übertragung der Massendemonstration am 4. November auf dem Alexanderplatz. Mich erinnern sie an ihren Kollegen, der 1989 wenige Tage nach der Maueröffnung aus West-Berlin nichts Wichtigeres zu berichten fand als die Drogen-Kinder am Zoo.

Jetzt scheuen sich die Epigonen nicht, noch einmal jene „Reformen“ für sich in Anspruch zu nehmen, die 1989 in Wahrheit nur der letzte verzweifelte Versuch waren, die Agonie des Staates aufzuhalten; als hätte derselbe Staat sie nicht wenige Wochen zuvor noch angesichts der Massenflucht über Ungarn und Prag angewiesen: „Wir beschäftigen uns nicht mit der Ausreise-Problematik.“ Vergessen? Vertan. Ins Stammbuch geschrieben hat es ihnen ihr letzter Spionage-Chef Markus Wolf: „Die eigene Medienpolitik hat unserem Staat mehr geschadet als alle westliche Propaganda.“

40
Sondersendungen stemmten die TV-Techniker in wenigen Tagen.

Logisch, zum Zweiten, dass angesichts dessen die Bürger der DDR sich zunehmend aus dem „Transmissionsriemen SFB“ informierten. Doch auch dies findet in den „Schicksalsjahren“ des RBB keine Erwähnung. Kein Jürgen Engert mit seinem ARD-Magazin „Kontraste“, kein Roland Jahn mit den Montagsdemonstrationen, keine Züge, die aus Prag die Flüchtlinge nach Westen brachten und auf die während der Durchfahrt durch die DDR andere von Brücken aufsprangen.

Es tröstet nicht, dass der RBB heute den Mitarbeitern seines Vorgängers intern bestätigt, rund um den 9. November 1989 „Großes“ geleistet zu haben. Sie alle haben nie einen Bonus bekommen, aber öffentliche Aufmerksamkeit verdient. Die TV-Techniker haben in wenigen Tagen über 40 Sondersendungen gefahren und ausländischen Stationen mehrere Hundert Mal Produktionshilfe geleistet; ganze Teams haben bei Wind und Wetter, Tag und Nacht vor Ort ausgeharrt, um den historischen Moment zu erfassen, da DDR-Grenzer den ersten Stein aus der Mauer brechen würden.

Es geht um den Anspruch an eine historische Dokumentation, zu beschreiben, „wie es gewesen ist“. Es gilt nicht der Zeitgeist, „der Herren eigner Geist“ (Goethe), mit dem Nachgeborene so gern die Vergangenheit vergewaltigen und sich selbst vergolden.

Da passt es, drittens, ins Bild, dass die Dokumentaristen des RBB Zeitzeugen des 9. November bevorzugt ex nunc befragen. So Walter Momper, der 1989 Regierender Bürgermeister war und am 9. November 1989 ganz anders sprach, als er sich im Nachhinein erinnert: Wir waren „in Alarmbereitschaft“, „wir haben alles anlaufen lassen“.

Wir haben alles anlaufen lassen.

Walter Momper

Tatsächlich hat Momper den Abend des 9. November 1989 weitgehend in meinem Büro zugebracht, emsig ein Interview nach dem anderen abarbeitend. Sein durchgehender Tenor: Berlin, freue dich, „praktisch morgen geht es los“. Eine Sondersitzung des Senats fasste seine Stellvertreterin Ingrid Stahmer nach 22 Uhr so zusammen: Der Regierende Bürgermeister hat uns unterrichtet, „wir rechnen so mit 1000 bis 2000 Besuchern in den nächsten Tagen“. Momper selbst noch nach 23 Uhr in einer Live-Diskussion des SFB: „Bitte, machen Sie’s morgen, machen Sie’s übermorgen. Wir haben im Augenblick Schwierigkeiten, das da verkraften zu können.“

Journalisten wissen, dass Objektivität menschenunmöglich ist

Mag sein, dass Momper den Terminplan Ost-Berlins besser kannte als Günter Schabowski in seiner Pressekonferenz. Nur, Zigtausende hat er damit sicher nicht zur Mauer bewegt, er wollte nicht, „dass es in dieser Nacht passiert“. Das haben die elektronischen Medien besorgt mit all ihren Reportern. Mit ihrer Hilfe hat „das Volk“ aus „bitte morgen“ ein „schon heute“ gemacht und aus „1000 bis 2000 Besuchern“ bald Zigtausende.

Ein Letztes zum journalistischen Umfeld des „Schicksalsjahres 1989“. Journalisten wissen, dass Objektivität menschenunmöglich ist. Das gilt für sie wie für Geschichtsschreiber und ebenso für ihre Kritiker. Zu viel Geschehen hängt mit anderem zusammen, erst recht in unserer globalen und digitalen Welt, als dass es ein einzelner Mensch erfassen und wiedergeben könnte.

Einen Schluck aus der Sektflasche nimmt am 09. November 1989 die Beifahrerin in diesem aus Ost-Berlin über den Grenzkontrollpunkt Bornholmer Straße nach West-Berlin fahrenden Trabis. Das Paar wird von begeisterten West-Berlinen begrüßt.

© Foto: picture alliance/dpa

So bleibt stets Raum für Subjektivismen, denen jeder Mensch unterliegt: je nach seiner Geburt, seiner Herkunft, seiner Erziehung, seiner Sozialisation, Lebenserfahrung und, siehe oben, auch seinem Zeitgeist. Im journalistischen Alltag werden Gefahren, die in solchen Präokkupationen für das Publikum liegen, durch das Vier-Augen-Prinzip gemindert, wenn in einer Redaktion ein Kollege vor einer jeden Veröffentlichung hinzutritt, ergänzt, korrigiert.

Ist es also fehlerhafter Journalismus, Zufall oder Absicht, wenn zum Schluss des „Schicksalsjahres 1989“ ein Einzelner, der Schriftsteller Robert M. Schernikau, mit einem frischen DDR-Ausweis nach Osten zieht, sich seinen „Lebenstraum“ zu erfüllen – während Tausende, die aus demselben Osten gerade glücklich geflohen sind, in westlichen „Notunterkünften“ vorgeführt werden?

Wenn zwei Demonstrationen nahtlos, schamlos ineinander übergehen, als seien sie vergleichbar: im Westen Protest einiger Hundert gegen die rechten Republikaner und einzelne mit „nichtssagenden“ Wahlen Unzufriedene – im Osten Hunderttausende auf dem Weg zu den Gräbern von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, wie alle Jahre, freiwillig oder nicht, auf jeden Fall dankbar für die „Erfolgsgeschichte DDR“? Wenn Lambada wichtig erscheint und „Ein Kessel Buntes“ – Michail Gorbatschows Verdammnis der DDR, „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, aber nicht? Fragen über Fragen.

Gezwungen von der Krise seiner Organe ist der RBB gerade bemüht, sich ehrlich zu machen und so auch den Schaden zu begrenzen, den er dem gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk angetan hat. Nicht zuletzt sollen ihm qualifizierte Programme wieder Ansehen verschaffen, so, wie er es 1989 exemplifiziert hat.

Da ist es im Schatten seiner Krise geradezu eine Chance, dass er, der selbst ein Spätgeborener der Wiedervereinigung ist, drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall, zu dem er selbst beigetragen hat, auch mit der überfälligen Vollendung der „inneren Einheit“ (Richard von Weizsäcker) vorangeht: indem er die Lücken in seiner Geschichtsschreibung schließt, in seinen Produktionen überkommene Ost-West-Gegensätze und Animositäten nicht fortleben lässt und sich zu dem bekennt, „wie es gewesen ist“, als er die ganze Nation mitriss, sich glücklich wieder zu vereinen.

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