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Proteste von Samidoun in Mülheim.

© IMAGO/NurPhoto/IMAGO/Ying Tang

Linker Judenhass: „Es gibt einen großen Unwillen, den Antisemitismus in den eigenen Reihen zu erkennen“

Wie kommen deutsche Linke dazu, die Terrorwelle gegen Israel als „Freiheitskampf“ zu verherrlichen? Antisemitismus-Experte Nicholas Potter über bestürzende Reaktionen auf die Gewalt der Hamas.

Im Internet und auf der Straße äußern einzelne linke Gruppen Sympathien für die Terrorwelle der Hamas. Hier erklärt Autor Nicholas Potter von der Amadeu Antonio Stiftung, weshalb Antisemitismus in der Linken gern übersehen wird, welche Gruppen besonders problematisch sind und wie sich „Fridays for Future“ gegen Vereinnahmung wehrt.

Herr Potter, die jüngsten Terrorattacken auf Israel werden von Deutschen gefeiert, die sich selbst als „links“ bezeichnen. Wie geht das zusammen?
Ohne Antisemitismus ist das kaum zu erklären. Auch die gesellschaftliche Linke ist nicht frei von Judenhass. Es handelt sich hier um Teile der Linken, die ernsthaft glauben, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Sie denken, durch ihre antisemitischen Argumentationsmuster tatsächlich die Welt zu verbessern. Zum Beispiel, indem sie Boykottaufrufe gegen den angeblich „kindermordenden Apartheidstaat Israel“ unterstützen. Oder eben, indem sie islamistischen Terror als „antiimperialistischen Widerstand“ glorifizieren, wenn er sich gegen den jüdischen Staat richtet.

Auf linken Demonstrationen hört man seit Jahren den Slogan „From the river to the sea, Palestine will be free“.
Mit der Forderung nach einem Palästina vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer ist nichts anderes als die Auslöschung Israels gemeint: das Ende des jüdischen Staates. Genau das hat zum Beispiel die antiimperialistische Jugendorganisation „Young Struggle“ nur Stunden nach Beginn der Raketenangriffe, Entführungen und Leichenschändungen der Hamas am Samstag in den sozialen Medien gefordert. Ein anderer Spruch auf Demos lautet „Yallah Intifada“ – und verharmlost terroristische Gewalt gegen israelische Zivilisten. 

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Die Demonstranten behaupten aber: Ihre Forderung nach der Auslöschung Israels sei gar nicht judenfeindlich, denn die Juden könnten ja anschließend in einem freien Palästina leben, und zwar sicher und gleichberechtigt.
Wie unehrlich diese Beteuerung ist, zeigen sowohl die Geschichte als auch die aktuellen Terrorattacken. Ein sicheres Leben von Juden in der Region wäre unmöglich, wenn es Israel, den weltweit einzigen Schutzraum für Juden, nicht gäbe. Das wissen natürlich auch diese Demonstranten.

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Weshalb werden solche Gruppen nicht konsequent von linken Demonstrationen ausgeschlossen?
Es gibt einen großen Unwillen, den Antisemitismus in den eigenen Reihen überhaupt zu erkennen. Man versucht das herunterzuspielen oder komplett zu leugnen. Nach dem Motto: Wer links ist, kann doch unmöglich antisemitisch sein. Was natürlich Quatsch ist.

Zu Zeiten des Kalten Krieges grassierte in den Ostblockländern der Antisemitismus, auch unter den 1968ern im Westen entwickelte sich ein antisemitisches Weltbild, das sogar in einen geplanten Sprengstoffanschlag gegen das Jüdische Gemeindehaus in Berlin mündete. Alles im Namen des antiimperialistischen Widerstands. Ich muss aber auch sagen, dass es viele mit Israel solidarische Linke gibt, die jede Form von Antisemitismus ablehnen und auch bekämpfen. Leider gelingt es ihnen selten, Israelhasser aktiv aus Bewegungen auszuschließen.    

Nicholas Potter arbeitet für die Amadeu Antonio Stiftung. Zusammen mit Stefan Lauer hat er soeben das Buch „Judenhass Underground: Antisemitismus in emanzipatorischen Subkulturen und Bewegungen“ herausgegeben.
Nicholas Potter arbeitet für die Amadeu Antonio Stiftung. Zusammen mit Stefan Lauer hat er soeben das Buch „Judenhass Underground: Antisemitismus in emanzipatorischen Subkulturen und Bewegungen“ herausgegeben.

© Olga Blackbird

Welche Gruppen sind in Ihren Augen besonders problematisch?
„Samidoun“, eine Gruppierung, die von Mitgliedern der palästinensischen Terrorgruppe PFLP gegründet wurde und als eine Art Tarnorganisation dient, muss dringend verboten werden. Seit Jahren fordern sie auch in Deutschland „Widerstand gegen die zionistische Besatzung“, zelebrieren „Märtyrer“ als Helden. Am Samstag feierten sie den Hamas-Angriff mit Baklava auf der Sonnenallee. Sie saßen übrigens am selben Tag auch auf der Bühne des „Kommunismuskongresses“ im „Neues Deutschland“-Haus.

Ebenfalls problematisch ist „Palästina Spricht“. Auf ihren Demos sind Journalisten körperlich attackiert und als „Drecksjuden“ beschimpft worden. Auf Instagram schreiben sie jetzt, Samstag sei ein „revolutionärer Tag“ gewesen, auf den man stolz sein könne, den man feiern müsse. Deren „feministischer Block“ sieht in den Leichenschändungen von nackten Frauen, den Vergewaltigungen, der Entführung von Kindern, Frauen und Senioren eine „Lektion für die Befreiung von Gaza“. Das ist brandgefährlich.

Wie gut sind antiisraelische Linke über den Nahostkonflikt informiert?
Gerade in Äußerungen auf Social Media wird deutlich, dass viele doch erschreckend wenig über den sehr komplexen Konflikt wissen, auch über die Entstehung Israels. Die glauben, ein Haufen weißer Europäer habe sich eines Tages dazu entschieden, Palästina zu kolonialisieren. Sie wissen wohl nicht, dass Jüdinnen seit Jahrtausenden in der Region gelebt haben. Dass Hunderttausende Juden aus dem arabischen Raum dorthin geflüchtet sind. Dass es nie einen Staat Palästina gab. Zu diesem Unwissen kommen dann noch absurde Verschwörungsnarrative. Etwa „Pinkwashing“ oder die Warnungen vor „zionistischen Killerdelfinen“. Solche Erzählungen zeigen anschaulich, dass man „den Juden“ offenbar alles zutraut. 

Herr Potter, Sie haben soeben das Buch „Judenhass Underground“ herausgebracht, in dem Experten den Einfluss von Antisemiten auf unterschiedliche Bewegungen nachzeichnen: etwa die der Klimaaktivisten, der queeren Community und der Clubszene. Wie können Vereinnahmungen durch Antisemiten abgewehrt werden?
Als besonders positives Beispiel sehe ich die Klimabewegung. „Fridays for Future“ ist ja eine recht junge Bewegung mit jungen Menschen, viele von ihnen kamen mit dem Nahostkonflikt bisher gar nicht in Berührung. Leider konnten einige wenige Israelhasser diese Bewegung kapern, auch dafür werben, palästinensischen Terror als „Freiheitskampf“ zu verherrlichen. Aber gerade im deutschen Teil der Bewegung gibt es Stimmen, die sich konsequent und glaubhaft gegen Antisemitismus positionieren. Sie organisieren Workshops, die sich mit Judenhass auseinandersetzen. Das ist nicht selbstverständlich und nicht leicht für eine Bewegung, die doch eigentlich einen ganz anderen Fokus hat, nämlich die drängende Klimakrise.

Ihr Buch beinhaltet Einblicke in viele unterschiedliche Subkulturen. Haben Sie bei seinem Entstehen selbst Neues gelernt?
Ich kenne mich mit der Clubkultur gut aus, da geschehen politische Äußerungen vor allem über Social Media, denn in der Musik geht das ja kaum. Die meisten Stücke leben schließlich von Beats und Bässen, sind instrumental. Umso erschrockener war ich, wie explizit Antisemitismus anderswo direkt in der Musik zum Ausdruck kommt: Da gibt es eine vegane Hardcoreband, die Fleischkonsum mit Auschwitz vergleicht. Da gibt es Hip-Hop-Stars, die in Deutschland Hallen füllen und in ihren Texten offen Judenhass propagieren. Das beschreiben wir im Buch ausführlich. Und das hat mich doch überrascht.

Im Rahmen der jüngsten Terrorwelle haben Hamas-Kämpfer auch das Trance-Festival „Tribe of Nova“ angegriffen, wahllos in die Menschenmenge geschossen und mindestens 250 Besucher ermordet. Wie sind die Reaktionen aus der Clubszene?
Gerade von denen, die sich sonst ständig und laut zum Nahostkonflikt äußern und gegen Israel Partei ergreifen, ist jetzt nichts zu hören. Einfach Stille. Egal, ob das jetzt die „DJs for Palestine“ sind, die „Berlin Nightlife Workers Against Apartheid“ oder das Szeneportal „Resident Advisor“. Andere schreiben auf Social Media in hämischen Kommentaren, die Festivalbesucher hätten das verdient, alleine weil sie gewagt hatten, in Israel auf einer Party zu feiern. 

Linke, die auf Antisemitismus in der Linken hinweisen, werden gern als „Nestbeschmutzer“ oder „Spalter“ dargestellt. Ist das ein Vorwurf, der Sie trifft?
Beleidigungen und Anfeindungen bin ich gewohnt. Das sehe ich als Bestätigung unserer Arbeit. Wer glaubhaft alle Diskriminierungsformen bekämpfen will, darf nicht ausblenden, was in den eigenen Reihen geschieht. Ich höre oft das Argument: „Warum macht ihr nicht lieber was gegen die AfD?“ Da muss ich drüber lachen. Ich beschäftige mich schließlich hauptberuflich mit der extremen Rechten. Genau das mache ich also tagein, tagaus.

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