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Dr. WEWETZER: Fahrstuhl ins Licht

Seit seinem 15. Lebensjahr litt Christopher Stevens, 28, unter schweren Depressionen. .

Als er keinen Ausweg mehr sah, beschloss er, sich als menschliches Versuchskaninchen bei der Universität von Kalifornien in San Francisco zu melden. Gern würde er sein Gehirn als Studienobjekt zur Verfügung stellen. An der Universität geriet Stevens an den Hirnforscher Carlos Zarate, der ihm an einem düsteren Montagmorgen das Narkosemittel Ketamin in die Vene spritzte. „Am Montagnachmittag war ich eine völlig andere Person“, erinnerte sich Stevens gegenüber dem amerikanischen Radiosender NPR. Die Niedergeschlagenheit war wie weggeblasen, auch an den nächsten Tagen.

„Ich wollte das Leben wieder leben“, sagte Stevens. Seine Geschichte ist kein Einzelfall. Zarate ist der Pionier der Ketaminbehandlung von schweren Depressionen. Häufig bessert sich die Stimmung schon nach Stunden, während herkömmliche Medikamente erst nach Wochen wirken. Eine kürzlich auf dem Kongress der amerikanischen Psychiatervereinigung vorgestellte Studie mit 72 depressiven Patienten bestätigt das. Nach einer einzigen Dosis Ketamin milderten sich bei zwei von drei Patienten innerhalb eines Tages die Symptome deutlich. Sieben Tage nach der Infusion ging es immerhin jedem zweiten Patienten noch deutlich besser als vor der Behandlung.

Auch der Psychiater und Depressionsexperte Malek Bajbouj von der Berliner Charité hat gute Erfahrungen mit Ketamin bei seinen Patienten gemacht. „Allerdings sind die Erfolge umso geringer, je schwerer und ,verkrusteter’ die Depression ist“, sagt er. Und unklar ist, wie lange das Mittel eingesetzt werden kann. Ketamin hat es in sich: Die Substanz wird nicht nur in der Narkosemedizin oder neuerdings der Psychiatrie eingesetzt, sondern ist auch als psychedelische Partydroge bekannt. Zwar wird der Wirkstoff bei der Behandlung von Depression niedriger dosiert, aber auch hier kann es zu in diesem Fall unerwünschten „Drogenerfahrungen“ kommen. Zudem hat Ketamin Suchtpotenzial, und seine Langzeitwirkungen sind nicht völlig geklärt.

Grund genug, Alternativen zu entwickeln. Schon 2010 habe ich an dieser Stelle über Ketamin berichtet, und seitdem hat sich einiges getan. Erprobt wird inzwischen ein Ketaminnasenspray, um die Infusion zu ersetzen. Getüftelt wird auch an ähnlichen Substanzen, darunter solchen, die in Tablettenform zu schlucken wären, ein großer Schritt nach vorn. Es geht darum, die rasche Stimmungsaufhellung mit langanhaltender Wirkung zu verknüpfen.

Man nimmt an, dass Ketamin im Gehirn Verbindungen zwischen Nervenzellen wieder sprießen lässt, die in der Depression verkümmert sind. Diese Wirkung entfaltet es über ein biochemisches Netzwerk, in dessen Zentrum der Botenstoff Glutamat steht. Ja, Sie haben richtig gehört, eben jenes Glutamat, das als Geschmacksverstärker im Essen so verpönt ist. Es könnte sein, dass just diese Aminosäure eine Schlüsselrolle beim Kampf gegen Depressionen spielen wird. Und das ist weiß Gott keine Geschmacksfrage.

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