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In Ansbach eher unüblich: Müllcontainer, gefüllt nach Berliner Art, hier in Friedrichshain.

© imago images / STPP

Als Berlin-Kolumnist auf Landurlaub: „Kein Müll, keine Flaschen, keine Matratzen auf der Straße – wie sieht es denn hier aus?!“

Home Office auf dem Dorf und Berlin-Entzugserscheinungen? Unser Kolumnist hat da ein paar Ideen, wie sich die Großstadtatmosphäre importieren lässt.

Ich habe gerade etwas mit großen Teilen der deutschen Wirtschaft gemein: Ich bin nicht in Berlin. Bei mir liegt es aber nicht an politischen oder strukturellen Gründen, sondern eher an ganz pragmatischen: Die Kita schloss ab Ende Juni für drei bis vier Wochen ihre Pforten. Daher haben wir die Koffer gepackt und sind zu meiner Mutter aufs Land gefahren.

Asbach, ein kleines Dorf zwischen dem Rande des Westerwalds und dem Rande Nordrhein-Westfalens. Nein, der Schnaps kommt nicht daher. Ja, das wurde ich schon sehr häufig gefragt. Der Schnaps stammt aus Rüdesheim, benannt nach seinem Destillateur Hugo Asbach. 1924, gut 30 Jahre nach seinem ersten Asbach, erfand er übrigens die Weinbrand-Praline mit Alkoholfüllung. Wo wären wir heute ohne sie?!

Aber gut. Ich schweife unter Umständen gerade ein wenig vom Thema ab. Wobei: Welches Thema denn überhaupt? Meine Jobbeschreibung für den Tagesspiegel lautet: Alle zwei Wochen eine Kolumne über Berlin zu schreiben und dabei möglichst wenige Leser vor den Kopf zu stoßen. Zweiteres werde ich heute definitiv einlösen, versprochen, aber wie soll ich denn bitte eine Kolumne über Berlin schreiben, wenn ich gar nicht vor Ort bin?

Ich habe gestern auf der Fahrt nach Asbach begonnen, die große Doku über die „BILD“ auf Amazon Prime zu schauen. Darin sagt deren Oberindianer Julian Reichelt: „Das Home Office des Reporters ist die Straße!“

Nun sehe ich mich nicht gerade als Reporter, erst recht nicht als „BILD“-Reporter, sondern eher als Kolumnisten, aber auch für einen solchen wäre es ganz förderlich, wenn das Home Office nicht bei Mama in einer unbekannten Gemeinde liegt, die noch nicht mal einen Weinbrand hinbekommt, sondern irgendwie in der Nähe der Stadt, über die er schreibt.

Müll in die Tonne - wer macht denn sowas?

Wobei: Einen Bezug zu Berlin kann ich hier freilich schon herstellen. Nämlich den, dass es wirklich keinen Bezug zu Berlin gibt. Alles ruhig, sauber und ordentlich. Um Berlin in den Tagen meiner Landflucht nicht allzu sehr zu vermissen, werde ich daher vermutlich bald ein paar Maßnahmen einläuten, die es hier im Dorf ein wenig großstädtischer machen.

Tagesspiegel-Kolumnist Peter Wittkamp.
Tagesspiegel-Kolumnist Peter Wittkamp.

© Peter von Felbert

Als erstes werde ich mir zwanzig bis dreißig Pfandflaschen aus dem Spind schnappen und auf der Straße verteilen. Das können Sie sich vielleicht gar nicht vorstellen, liebe Berliner, aber hier auf dem Land gibt es mitunter kilometerlange Gehwege, auf denen keine einzige Flasche zu finden ist. Wie sieht denn das aus?!

Als nächstes werde ich das Müllproblem lösen. Hier schmeißen einfach alle Bewohner ihren Müll in die dafür vorgesehenen Tonnen. Da kommt ja überhaupt kein Großstadtfeeling auf! So weit ich mich erinnere, werden Mittwochs abends die Mülltonnen auf die Straße gestellt, damit sie am Donnerstag morgen von der Stadtreinigung, die hier Müllabfuhr heißt, geleert werden können.

Ich werde also Mittwoch Nacht durch die Straßen ziehen und erst mal die Hälfte von ihnen umwerfen und den Abfall großflächig verteilen. Schon besser.

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Ergänzend dazu werde ich im Keller nach Sperrmüll suchen und ihn irgendwo in der Landschaft deponieren. Alte Reifen, Matratzen, Kühlschränke und Ikea-Regale. Eben all das, was bei einem gemütlichen Spaziergang durch Berlin nicht fehlen darf. Wenn ich Glück habe, finde ich noch ein halb verrostetes Fahrrad, dass ich an einen Straßenlampe ketten kann.

Hier ist es einfach viel zu leise

Man kann es sich kaum vorstellen, aber hier auf dem Land werden Räder entweder entsorgt oder repariert, wenn sie nicht mehr fahrtüchtig sind. Das Konzept, das Rad auf der Straße stehen zu lassen bis es das Ordnungsamt beseitigt, ist bei diesen rückständigen Menschen hier noch völlig unbekannt.

Alle sieben Tage mal ein Martinshorn: Unser Autor vermisst auf dem Dorfurlaub die Berliner Geräuschkulisse.
Alle sieben Tage mal ein Martinshorn: Unser Autor vermisst auf dem Dorfurlaub die Berliner Geräuschkulisse.

© imago/Frank Sorge

Es gibt aber noch ein weiteres Problem: Die Lautstärke! Beziehungsweise die fehlende Lautstärke. Hier ist es einfach viel zu leise. Vogelzwitschern, alle fünf Minuten ein Auto, nur alle sieben Tage mal ein Martinshorn. Wie soll denn da Stimmung aufkommen? Ich werde vermutlich alles mit meinem Smartphone simulieren müssen. Eventuell kann mich mein Sohn noch mit lärmendem Kinderspielzeug unterstützen.

Jetzt muss ich nur noch den Hundebesitzern beibringen, dass sie den großen Haufen ihrer Tiere einfach auf die Straße liegen lassen sollen. Und warum grüßt hier eigentlich jeder jeden?! Alle verrückt.

Peter Wittkamp ist Werbetexter und Gagschreiber. Er ist derzeit Hauptautor der „Heute Show Online“ und hat die Kampagne #weilwirdichlieben der Berliner Verkehrsbetriebe mit aufgebaut. Ab und zu schreibt er ein Buch, publiziert bei Instagram als Peter_Wittkamp oder twittert unter dem leicht größenwahnsinnigen Namen @diktator. Peter Wittkamp lebt mit Frau und Kind in Neukölln. Im Tagesspiegel beleuchtet er alle 14 Tage ein Berliner Phänomen.

Peter Wittkamp

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