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Die Einsturzgefahr war bekannt, Fachleute sprachen sich für den Abriss der Brücke aus.

© Bearbeitung:Tagesspiegel/Antonio Calanni/AP/dpa

Katastrophe mit Ansage: Was folgte aus dem Brückeneinsturz von Genua?

Vor fünf Jahren stürzte die Morandibrücke in Genua ein – 43 Menschen starben, 600 wurden obdachlos. Das Unglück könnte straflos bleiben.

1 Der Kollaps

Das Unglück begann am Pfeiler Nummer neun. Die Stütze aus Stahlbeton löste sich und brachte schließlich die ganze Morandibrücke – so benannt nach ihrem Planer, dem Ingenieur Riccardo Morandi – am 14. August 2018 um 11.38 Uhr zum Einsturz. Die Autobahnbrücke über dem Fluss Polcevera war Teil der Autostrada A 10. 43 Menschen starben.

Auch für die Bewohner des Stadtviertels unter der Brücke hatte das Folgen: 600 Menschen wurden obdachlos. Die anschließenden Untersuchungen der Staatsanwaltschaft förderten zutage, dass die Einsturzgefahr bereits seit 1991 bekannt war. Fachleute, die damals Instandhaltungsarbeiten an mehreren Pfeilern beaufsichtigten, sprachen sich wegen des Verfalls sogar dafür aus, die Brücke abzureißen.

Dennoch wurde seit 1993 überhaupt nichts mehr getan, um ihn aufzuhalten. Den Gerichtsakten zufolge gab dies der Brücke aber wohl nur den Rest. Schon in der Entstehungsphase des „Ponte Morandi“ von 1963 bis 1967 habe es „Fehler in Bauplanung und Ausführung“ gegeben.


2 Vor Gericht

59 Personen brachte Unterschungsrichterin Paola Faggioni schließlich als mutmaßlich Mitschuldige am Einsturz vor Gericht, darunter Spitzenmanager der Mutterfirma Aspi, Italiens größter Betreiberin mautpflichtiger Straßen, außerdem politisches Personal und hohe Fachbeamte des Verkehrsministeriums, die Aspi hätten beaufsichtigen sollen. Die Vorwürfe: mehrfache fahrlässige Tötung, Gefährdung des Straßenverkehrs, Dienstpflichtverletzung und Dokumentenfälschung.

Die Einweihung der neuen Brücke im Jahr 2020.
Die Einweihung der neuen Brücke im Jahr 2020.

© dpa/Luca Bruno

Aspi schied bald aus dem Verfahren aus, weil ihr Angebot von 30 Millionen Euro Schadenersatz von den Opfern des Unglücks wie von der Staatsanwaltschaft akzeptiert wurde. So konnte die Firma größeren Schaden von sich abwenden: Sie hätte keine Staatsaufträge mehr erhalten oder überhaupt noch in Kontakt mit der öffentlichen Verwaltung treten dürfen.

Schneller als die juristische Aufarbeitung lief der Autobahnverkehr wieder: Nicht einmal zwei Jahre nach dem Unglück wurde die neue Brücke „San Giorgio“ eingeweiht. Geplant hat sie Stararchitekt Renzo Piano, der seiner Heimatstadt Genua damit ein Geschenk machen wollte.


3 Die Prophezeiung

Seit 1999 war Aspi privatisiert und in Händen der Textildynastie Benetton. Unter öffentlichem Druck verkaufte das Modeunternehmen, das wohl auch wegen verschleppter Sanierungen gutes Geld mit ihr gemacht hatte, die Firma 2021 für 9,1 Milliarden Euro. Damit kam es wieder unter staatliche Kontrolle.

Ob Straßen und Brücken nun sicherer werden, ist aber nicht allein eine Frage von Besitzverhältnissen. Italiens öffentliche Verwaltung leidet traditionell unter versäumter Digitalisierung, sie ist unter- oder fehlbesetzt und entsprechend überfordert. Dies rasch zu ändern, wäre für jede Regierung unmöglich. Vom aktuellen Verkehrsminister Matteo Salvini ist nicht einmal ein Versuch zu erwarten. Sein Lieblings- und offenbar einziges Projekt ist der Bau einer Brücke nach Sizilien.

Weil Italiens Justiz sämtliche Leiden der öffentlichen Verwaltung teilt, prophezeite der Untersuchungsrichter im Fall der Morandibrücke kürzlich Verjährung für die meisten Beschuldigten. Beim jetzigen Tempo werde der Prozess 2025 enden. Die Katastrophe könnte straflos bleiben.

Warum er nicht gesagt habe, was er über den katastrophalen Zustand der Brücke wusste, wurde im Frühjahr Gianni Mion gefragt, jahrzehntelang Topmanager von Benetton. Antwort: „Vielleicht hatte ich Angst um meinen Job.“

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