zum Hauptinhalt
Muss er sich um seine mediale Präsenz ohne Twitter sorgen? Jens Spahn spricht beim CDU Bundesparteitag.

© dpa / Foto: Michael Kappeler

Jauchegrube, Korrektiv, Nachrichtenagentur: Ein Politikerleben ohne Twitter ist möglich – oder nicht?

Erst Kevin Kühnert, dann Robert Habeck, jetzt Jens Spahn: Politiker verabschieden sich vom sozialen Medium Twitter.

Ein Kommentar von Joachim Huber

Man kann von einem Trend sprechen: Erst löschte Robert Habeck seinen Twitter-Account, dann folgte Kevin Kühnert, jüngstes Beispiel ist Jens Spahn. Das sind politische Schwergewichte, die wenig, aber eben dieser Schritt vereint: Twitter, das war einmal.

Twitter verzerre die Wahrnehmung der Wirklichkeit

Kühnert begründete seinen Abschied damit, dass der Kurznachrichtendienst die Wahrnehmung der Wirklichkeit verzerre. Habeck hatte gesagt, Twitter sei nicht das Medium, in dem er seine Argumente so vortragen könne, wie er das wolle. Spahn sagte, er habe dort bis zu „drei Shitstorms parallel“ erlebt - und eine enorme Schieflage zwischen „Twitter-Themen“ und der echten Welt erlebt.

Schätze mal, dass sich diese drei Politiker ihre Abstinenz vom sozialen Medium gut leisten können, sie sind in allen Medien präsent. Aber eben auch auf Twitter, denn was immer sie sagen, wird auch auf Twitter verhandelt. Einerseits emotionalisiert und skandalisiert, andererseits argumentiert und debattiert.

Twitter als Jauchegrube und Nachrichtenagentur

Twitter, schreibt der „zib2“-Moderator Armin Wolf in einem Essay für das österreichische Nachrichtenmagazin „profil“, ist eine Jauchegrube - und eine Nachrichtenagentur.

Wolf schreibt: „Ich persönlich hätte kein Problem, würden morgen sämtliche sozialen Netzwerke zusperren. Ich gewänne viele Stunden an Lebenszeit. Aber das wird nicht passieren.“

Millionen Österreicher (und noch mehr Millionen Deutsche) nutzen die Sozialen Netzwerke, für eine Mehrheit von ihnen sind Whatsapp, Youtube, Instagram und TikTok Nachrichtenquellen. Untersuchungen zeigen, dass diesen Medien durchaus mit Misstrauen begegnet wird, gleichwohl werden sie intensiv genutzt.

Schneller als bei Twitter lässt sich nirgends ein Meinungsbild finden

Was findet sich dort nicht alles: Fake News, Hetze, Shitstorms, Verschwörungen, ein ganzer Tsunami an Wahnsinn.

Was sich auch findet: eine Reiz-Reaktion nicht gekannten Tempos, ein Hin und Her an Argumenten, Experten und Expertinnen finden sich ein, Auskenner bekommen einen Spiegel vorgehalten. Es kann echter Mehrwert geliefert werden.

Kurzgesagt: es kommen alle möglichen Äußerungen und Aussagen in die Öffentlichkeit. Schneller als bei Twitter & Co. lässt sich nirgendwo ein Meinungsbild finden.

Im Netz demonstrieren gehen

Und alles ist nur ein Zerrbild? Ja, der Müll ist gewaltig, aber es ist eben nicht nur Müll, was die „Autoren“ hochladen.

Sicher, das Diskursklima ist toxisch. Mir will nur nicht in den Kopf, warum die Schreihälse, die Faktenverdreher, die Leugner und Verschwörungstheoretiker dadurch mehr Platz und Raum bekommen, so dass die Vernünftigen und die Vernunftbegabten diesen räumen müssen.

Auf der Straße geht jeder für seine Überzeugungen demonstrieren, warum dann auch nicht im Netz? Es muss nicht gleich um Weltverbesserung gehen, es reicht schon, wenn dem Meinungs-Pöbel der Wert von Meinungsfreiheit aufgezeigt wird.

Armin Wolf schlägt vor, die „Wutmaschinen“ mit Journalismus, mit überprüften Fakten und relevanten Informationen zu fluten, „ohne die ein sinnvoller gesellschaftlicher Diskurs nicht funktionieren kann“. In gleicher Manier wie Menschen und Medienmenschen sollten auch Politiker diese Plattformen füllen. Twitter, Instagram und TikTok gehen ja nicht weg, weil Habeck, Kühnert und Spahn weggegangen sind.

Anders gesagt: Wenn es Shitstorms gab und gibt, dann war und ist nicht immer Twitter daran schuld.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false