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Der Zuckerhut liegt jetzt an der Alster: Modell aus dem Miniatur Wunderland.

© Miniatur Wunderland Hamburg

Ist das Deutschlands beliebteste Sehenswürdigkeit?: Hamburg schrumpft die Welt zusammen

Rio auf 46 Quadratmetern, Italien als Wimmelbild in 3-D. Stippvisite in einem Modellprojekt, das die Erde zurechtstutzt

Von Barbara Nolte

Den Zuckerhut hat Gerhard Dauscher auf zwei Meter geschrumpft. Sonst hätte er in die ehemalige Lager-Etage in Hamburgs Speicherstadt nicht hineingepasst. Die Apartmenthäuser an der Copacabana reichen ihm bis zur Hüfte. Jedes einzelne gibt es tatsächlich an der Promenade. Allerdings stehen sie nicht nebeneinander.

Fünf Tage lang streifte Dauscher, 55, mit dem Fotoapparat durch Rio de Janeiro, um Häuser, Kirchen und Sehenswürdigkeiten auszusuchen, die seine Mitarbeiter anschließend im Modelleisenbahn-Maßstab nachgebaut haben. Zwar hatten sie insgesamt eine Fläche von der Größe einer geräumigen Ein-Zimmer-Wohnung zur Verfügung: 46 Quadratmeter. Doch das reicht natürlich nicht für eine Sechs-Millionen-Stadt.

Gerhard Dauscher radierte ganze Viertel aus. Er schuf einen neuen Stadtplan von Rio. Dabei arbeitete er mit argentinischen Modellbauern zusammen. Die Favelas haben es in ihr Modell geschafft. Genauso wie das Sambodromo, die von Oscar Niemeyer gebaute Tribünenstraße, in der Karneval gefeiert wird.

Die größte Modelleisenbahnanlage der Welt

Dabei hieß das für die Mitarbeiter, dass sie 11 000 Figürchen auf die Zuschauerränge kleben und ihnen mit feinen Pinseln Kostüme aufmalen mussten. Ein wahnsinniger Aufwand, wenn man bedenkt, dass es sich nur um eine Kulisse für Züge handelt. 423 Kilometer Gleise durchziehen das Rio-Modell. Es ist ein Teil des „Miniatur Wunderland“, der größten Modelleisenbahnanlage der Welt.

Modellbahnen gelten als Hobby von vorgestern. Statt vor Trafos sitzen Jungs heute vor Spielekonsolen. Gegen den Trend entwickelte sich das „Wunderland“ mit 1,4 Millionen Besuchern im Jahr 2019 zu Hamburgs Besuchermagnet Nummer eins. In einer Umfrage der Deutschen Zentrale für Tourismus wählten es ausländische Urlauber sogar zur beliebtesten Sehenswürdigkeit Deutschlands. Woran liegt das bloß?

Von Hamburgs Altstadt geht es über einen Fußgängersteg, der den Binnenhafen überspannt, in die Speicherstadt. Früher lagerten Kaufleute hier Kaffee, Tee und Gewürze, denn die Elbinseln gehörten zum Freihafen. 2003 fielen die Schlagbäume weg, 2015 wurde das Viertel mit den roten Klinkerbauten Unesco-Weltkulturerbe.

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Heute verbirgt sich in einem der Lagerhäuser die halbe Welt. Um dorthin zu gelangen, muss man viele Treppen hochsteigen. Die Speicherstadt steht bei Sturmfluten unter Wasser. Verheerend für eine elektrische Eisenbahn-Anlage mit über 1000 Zügen und 10 000 Waggons.

Gerhard Dauscher bricht zu einer Führung auf. Zwischen Rio und Italien liegt auch hier Wasser. Eine verglaste Brücke führt über ein Fleet ins zweite Gebäude der Schau. Dort deutet Dauscher auf einen Berg, dem der Gipfel fehlt. „Der Vesuv“, sagt er. „Bricht alle 15 Minuten aus.“

Petersdom nach Fotos aufgebaut

Er läuft an den Felsen der Amalfi-Küste vorbei. Den Männchen an den Stränden haben Dauschers Leute mit rosaroter Farbe Sonnenbrand aufgemalt. Er bittet um Aufmerksamkeit für die kleine Müll-Ecke oberhalb des Strandes, bestehend aus einer Waschmaschine und ausrangiertem Hausrat. „Das gehört zu Italien“, sagt er.

Den Petersdom in Rom haben sie anhand von 1000 Fotos rekonstruiert. Bauzeit: 22 Monate. Am Ende von Italien, dort, wo die Alpen aufragen, bleibt Dauscher stehen und deutet auf eine Figur, die auf dem Rücken liegt: „Der Ötzi.“ Die Welt als dreidimensionales Wimmelbild.

Die Gründer Freddy und Gerrit Braun vor dem Rio-Modell.
Die Gründer Freddy und Gerrit Braun vor dem Rio-Modell.

© Miniatur Wunderland Hamburg

Um die Schweiz unterzubringen, hat Dauscher die Decke zum Stockwerk darüber aufreißen lassen. Der Gips-Koloss von einer Tonne ist das Matterhorn. Das Dorf an einer Bergflanke, das aussieht wie St. Moritz, heißt St. Max, weil der Nobel-Skiort Markenrechte an seinem Namen hat, erklärt Dauscher und lacht.

Er kennt sich gut aus mit Berglandschaften. In den 90er Jahren baute er freiberuflich für private Kunden Modelleisenbahn-Strecken in Kellern und auf Speichern. Im Harz entwarf er eine ganze Ausstellung. Die hatte Frederik Braun besucht, als er zusammen mit seinem Zwillingsbruder Gerrit und dem gemeinsamen Freund Stephan Hertz das „Miniatur Wunderland“ plante – und Dauscher daraufhin engagiert.

Willkommen in Knuffingen

Frederik Braun – 54, Brille, Hoodie, zuvor Diskotheken-Besitzer – sitzt im Konferenzraum der Ausstellungsetage. Anfangs, erzählt er, hätten sie ein Land, das Deutschland ähnelt, gebaut. „Von der Küste bis in die Alpen“, sagt Braun. Eine kleine Ironisierung erlaubten sie sich, als sie das Städtchen inmitten der Anlage Knuffingen nannten.

Nicht nur Bahnfans kamen. An der Wand gegenüber vom Konferenzraum hängen Fotos von Prominenten, die man nicht mit Modelleisenbahnen in Verbindung gebracht hätte: Jan Böhmermann, Helmut Schmidt.

Gerhard Dauscher plant und baut die Mini-Welten.
Gerhard Dauscher plant und baut die Mini-Welten.

© Miniatur Wunderland Hamburg

Nach und nach haben sie beliebte Urlaubsländer der Deutschen dazugebaut: die Schweiz, Skandinavien, Italien. Durch die Modelle, die sich mittlerweile über 1500 Quadratmeter erstrecken, bewegen sich neben Zügen auch Autos, Schiffe und Flugzeuge. Gerrit Braun hat eine Software programmiert, mit der Elektroautos, geführt von Magneten und in Fahrbahnen eingelassenen Metalldrähten, scheinbar selbstständig durch die Kulissen kurven.

Vor zweieinhalb Jahren haben die Braun-Brüder in die echte Welt expandiert und ein paar hundert Meter weiter das Hotel Pierdrei eröffnet. Dekoriert ist es mit Vitrinen humoriger Miniaturszenen wie einem Campingplatz auf dem Mond, mit Wäscheleine und Dixie-Klo, erschaffen von Dauschers Modellbauern.

Schwitzende Pinguine

Ihre Werkstatt liegt für alle Besucher einsehbar mitten in der Ausstellung. „Sie kommen aus allen möglichen Berufen“, erklärt Dauscher. Ein ehemaliger Koch sei beispielsweise talentiert darin gewesen, Berge zu formen. Dauscher lässt seinem Team bei der Gestaltung große Spielräume. Wer eine Idee hat, kann sie vorschlagen und oft auch umsetzen. Die kleinen Szenen sind so etwas wie die versteckte Signatur der Mitarbeiter. In Skandinavien stehen beispielsweise schwitzende Pinguine mit Koffern auf einem Bahnsteig. Im Miniatur-Hamburg demonstriert ein Grüppchen für die Rente mit 30.

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Als nächstes wird ein Modell von Monaco eröffnet. Dann wird an Amerika weitergebaut: Patagonien, später kommt die Karibik hinzu. Beides Gegenden, die nicht für ihre Bahnstrecken bekannt sind. Die Kulisse stiehlt den kleinen Zügen mehr und mehr die Schau. Weglassen könne man sie trotzdem nicht, sagt Gerhard Dauscher.

Wenn sich mal nichts bewege, weil es irgendein technisches Problem gebe, würden die Besucher nervös. „Ein Modell ohne Fahrzeuge ist wie ein Aquarium ohne Fische.“

Reisetipps: Nach Hamburg fährt der ICE ab 40 Euro hin und zurück im Spartarif. In der Nähe des Miniatur Wunderlandes hat das Hotel Pierdrei eröffnet, Doppelzimmer ab 150 Euro, pierdrei-hotel.de. Der Eintritt ins Wunderland kostet 20 Euro pro Person, 15 Euro für Kinder. Diese Recherche wurde unterstützt von Hamburg Tourismus.

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