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66 beziehungsweise 68 Jahre alt: Lieselotte aus Berlin und die Flensburgerin Barbara gehören zu den Kandidatinnen der aktuellen Staffel von "Germanys Next Topmodel".

© Richard Hübner/ProSieben/dpa

Zu jung für Rente, aber alt genug für die Seniorenwahl: „Ich bin 60 und keine Seniorin“

Ich arbeite voll, halte mich fit, bei "GNTM" gibt es Models, die älter sind als ich. Jetzt soll ich die Seniorenvertretung wählen. Was soll das? Ein Aufschrei.

Neulich bekam ich Post vom Bezirksamt, es waren Wahlunterlagen. Das Amt hat mich eingeladen, die Seniorenvertretung des Bezirks zu wählen. Ich dachte, das ist ein Witz oder ein Versehen. Kennt man ja aus dieser Stadt. Übrigens ist ja auch diese Seniorenwahl schon wieder eine Abfolge von Pleiten, Pech und Pannen: Zehntausende Stimmzettel sind in falschen Bezirken gelandet, Menschen wurden angeschrieben, die schon seit Jahren tot sind, und auf vielen Wahlzetteln stimmt das Geburtsdatum nicht.

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Aber nichts da. Bei mir meinen sie es ernst. Ich habe nachgelesen: Alle Menschen über 60 sind aufgefordert, die Seniorenvertretung zu wählen. Ich bin 60, also gehöre ich zum Club. Ich habe den Stimmzettel zerrissen. Ich bin wütend, empört und beleidigt. Ich gehe arbeiten, stehe mitten im Leben und nun soll ich an einer Seniorenwahl teilnehmen? Meine Vertreter bestimmen, die sich im Bezirk für bessere Pflegeplätze, mehr Verbraucherschutz in Altenheimen und eine altersgerechte Stadt einsetzen? All das sind löbliche, wertvolle Aufgaben. Aber was hat das bitteschön mit mir zu tun? Ich bin nicht alt.

Keine Rente, aber die Seniorenvertretung wählen? Was soll das?

Das ist doch irre. Die Bahn setzt die Altersgrenze für ermäßigte Bahncards für Senioren von 60 auf 65 hinauf, die Regierung hat beschlossen, dass ich nicht vor Dezember 2027 abschlagsfrei in Rente darf. Heidi Klum lässt eine 50-Jährige und zwei über 60-Jährige bei „GNTM“ auf dem Laufsteg gegen Zwanzigjährige antreten. Selbst „Sex and the City“ hat eine Fortsetzung erfahren, in der Carrie und Co als 50plus-Freundinnen auftreten. Ist 60 nicht das neue 50 oder gar das neue 40? Und ich soll die Seniorenvertretung wählen!

Willkommen im Club: Ist man mit 60plus automatisch ein Senior?
Willkommen im Club: Ist man mit 60plus automatisch ein Senior?

© Patrick Pleul/picture alliance / dpa

Mit meinem Selbstbild verträgt sich das nicht. Ich sehe mich als Leistungsträgerin, als aktive Frau, die Pläne hat, Neues wagt. Mein Bild von Senioren passt dazu nicht. Ich denke an bequeme Schuhe, Gabardinejacken, Kaffee und Kuchen im Café und an Männer, die ihr schütteres Haar quer kämmen, um die Glatze zu verdecken. An Seniorenteller in Ausflugsgaststätten.

Ist man mit 60 automatisch eine Seniorin?

Von der Wirklichkeit ist das Zerrbild jedoch weit entfernt. Nie waren Menschen über 60 fitter als heute. Die Mehrzahl geht arbeiten, viele engagieren sich im Ehrenamt. Ohne diese Freiwilligen könnte manches Sozialprojekt einpacken. Die Generation 60plus macht High-Intervall-Workouts statt Seniorengymnastik. Geht in die Bar statt zum Seniorentreff.

Es ist Zeit für ein neues Selbstbewusstsein. Schluss damit, sich zu beweisen, wie fit, attraktiv und erfolgreich man ist. Keine Vergleiche mehr mit Jüngeren. Lasst uns zu dem stehen, was wir sind. Menschen, die 60 Jahre alt oder 65 oder 70, egal. Die ihren Weg gehen.

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Ich wünsche mir ein neues Rollenmodell, das meiner Generation gerecht wird. Das Pflegeheim ist noch weit weg, aber statt Kindern hüten wir dennoch bald die Enkel. Im englischsprachigen Raum ist „senior“ eine Auszeichnung. „Senior Manager“ sind die Dienstälteren in Führungspositionen. Vielleicht kommt das auch mal im Deutschen an. Wenn Senior für Erfahrung und Reife steht, ist es keine Schande, eine Seniorin zu sein, sondern eine Ehre. Dann nehme ich auch an der Seniorenwahl teil. Bis dahin landet der Zettel im Müll.

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