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Kunst im Bergwerk. Ein US-Sergeant inspiziert einen Dürer-Druck.

© imago images/Everett Collection

Geraubte Kunst: Der Schatz im Salz

Die „Monuments Men“ der US-Armee stellten 1945 tausende Kulturgüter und von den Nazis gestohlene Werke sicher. Damit lösten sie eine Debatte über Raubkunst aus.

Von Andreas Austilat

Im April 1945 besteigt George L. Stout zusammen mit einer Gruppe anderer US-Militärs im thüringischen Merkers einen Fahrstuhl, der eigentlich nicht mehr als ein großer Drahtkorb ist. Er soll ihn 640 Meter in die Tiefe eines Salzbergwerks bringen. Die Fahrt dauert mehrere Minuten, und einer der Männer, General Patton, erlaubt sich den Scherz, dass es eine Menge Beförderungen geben würde, wenn der Draht, an dem sie hingen, reißen würde. Tatsächlich befinden sich neben Patton vier weitere Generale an Bord, unter ihnen Dwight D. Eisenhower, der US-Oberkommandeur in Europa.

Wie die anderen hat der 48 Jahre alte Stout einen langen Weg hinter sich, vom Strand der Normandie bis hierhin nach Thüringen. In der illustren Fahrstuhlrunde in Merkers ist er als Lieutenant Commander der Rangniedrigste. Doch am Boden angekommen, wird er – vielleicht das erste Mal in diesem Krieg – so richtig ernst genommen.

Größte Schatzkammer ihrer Zeit

Denn die Gruppe steht nun in einem salzverkrusteten Gewölbe, das die vielleicht größte Schatzkammer ihrer Zeit beherbergt: Tausende Gemälde, Skulpturen, Papyri, Dokumente lagern hier, weltberühmte darunter wie die Büste der Nofretete oder Bilder von Rembrandt. Viele Leinwände haben keinen Rahmen. Als wären sie in großer Eile herbeigeschafft worden, liegen sie in Holzregalen wie Poster in einem Ramschladen.

Und das ist nicht alles. In Merkers stoßen die Amerikaner auf den größten Teil der Goldreserven der Reichsbank, 8198 Goldbarren nach einer ersten Zählung. Außerdem Hunderte Beutel mit ausländischem Geld, 2,7 Milliarden Reichsmark, Silber, Platin, Prägeplatten. Ein fantastischer Fund. Und George L. Stout gehört zu denen, die ihn aufgespürt haben.

Ein Restaurator wird Soldat

Anders als die Generale hat Stout einen vergleichsweise unmilitärischen Hintergrund. Im Zivilberuf war er Leiter der Restaurierungsabteilung des Fogg Art Museums der amerikanischen Harvard University in Cambridge, Massachusetts. Außerdem war er Marine-Reservist, 1943 begann der Zweite Weltkrieg auch für ihn.

Stout hatte berufliche Kontakte nach Europa unterhalten, bald mitbekommen, wie sich seine Kollegen dort auf einen Krieg vorbereiteten, über die Evakuierung ihrer Bestände nachdachten. Und nicht zuletzt durch die zahlreichen Emigranten, die vor den Nazis in die USA flüchteten, wusste er vom organisierten Kunstraub, der von Deutschland ausging.

In aller Eile. Die meisten Gemälde waren erst wenige Wochen aus Berlin hierher verbracht worden.
In aller Eile. Die meisten Gemälde waren erst wenige Wochen aus Berlin hierher verbracht worden.

© picture alliance / Usis-Dite/Lee

Er war sicher, die USA würden irgendwann in diesen Krieg hineingezogen. Auch er dachte über die sichere Unterbringung der Museumssammlung im Ernstfall nach, verfolgte darüber hinaus den Plan, eine Art „Rotes Kreuz für die Kunst“ aufzubauen. Deren Mitarbeiter würden sich an vorderster Front für den Erhalt bedrohter Werke einsetzen. Und sie müssten einen Beitrag zur Rückführung geraubten Kunstgutes an die rechtmäßigen Eigentümer leisten. Eine Idee, für die er schon früh auch bei den britischen Verbündeten warb.

Schließlich wurde er für die „Monuments, Fine Arts, and Archives section“ rekrutiert. Die etwa drei Dutzend Mitglieder dieser bald „Monuments Men“ genannten Gruppe traten mitten im Bombenhagel an, Kunst und Architektur zu schützen.

George Clooney erzählt die Geschichte

Als George Clooney beinahe 70 Jahre später seinen Film „The Monuments Men“ realisiert, der 2014 auf der Berlinale Premiere hat, übernimmt er eine Rolle, die sich an George Stout orientiert – wenngleich er im Film einen anderen Namen trägt. Auch Clooney fährt in Merkers ein. Und er erzählt die Mission der Kunstschützer als Heldenepos im Kampf gegen die Barbarei, als großangelegte Schatzsuche quer über die Kriegsschauplätze Europas.

Einzigartig, wie der Film suggeriert, ist die Truppe nicht. Seit der Haager Landkriegsordnung von 1907 sollten Militärs in besetzten Ländern Kunstwerke schützen. So hat die sowjetische Rote Armee Kunstexperten in ihren Reihen, die jedoch nicht ohne Grund als Trophäenbrigaden bezeichnet werden. Vor dem Hintergrund der enormen Verluste, die die Museen und Sammlungen der Länder der Sowjetunion nach dem deutschen Einmarsch zu erleiden hatten, ist es ihr ausdrücklicher Auftrag, für Kompensation jener Werke zu sorgen, die verschwunden blieben. Wie das legendäre Bernsteinzimmer zum Beispiel.

Die sowjetischen Trophäenbrigaden

Aber dabei sichern die Trophäenbrigaden auch Schätze, die sonst vielleicht vernichtet worden, auf immer verloren gewesen wären. Zudem wird der größte Teil dieser besonderen Kriegsbeute aus Deutschland zwischen 1955 und 1958 an die DDR zurückerstattet. Ein Teil allerdings verbleibt bis heute in Russland. Berühmtes Beispiel ist der Schatz des Priamos aus dem antiken Troja, der bis 1945 in Berlin verwahrt wurde.

Auf deutscher Seite sind die Raubzüge vom „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ berüchtigt, der systematisch die besetzten Länder plündert. Schon aus propagandistischen Gründen gibt es aber selbst bei der Wehrmacht eine Kunstschutzabteilung unter Leitung des Kunsthistorikers Franz Graf Wolff-Metternich, der allerdings auf wenig Rückendeckung zählen kann.

ieAufgespürt. In einer Thüringer Salzmine stießen die Amerikaner unter anderem auf Vermeers Bild „Junge Dame mit dem Perlenhalsband“, das heutwder e in Berlin hängt.
ieAufgespürt. In einer Thüringer Salzmine stießen die Amerikaner unter anderem auf Vermeers Bild „Junge Dame mit dem Perlenhalsband“, das heutwder e in Berlin hängt.

© picture-alliance / akg-images

Immerhin graben sich deutsche Verbände in Italien dann nicht im Jahrhunderte alten Kloster Monte Cassino ein, sondern unterhalb der alten Mauern, als sie die Alliierten in Süditalien stoppen wollen. Sie bringen sogar wertvolle Fresken und Kunstwerke im Mai 1944 nach Rom in Sicherheit – rauben aber auch einiges. Die Monuments Men können nur zuschauen, wie das Kloster anschließend im alliierten Beschuss nahezu vernichtet wird, die Alliierten glauben den Deutschen nicht, dass sie keine Einheiten dort stationiert haben.

Der erste amerikanische Monuments Man in der kämpfenden Truppe ist Mason Hammond, ein Altphilologe, der mit Nordafrika als Einsatzgebiet rechnet. Tatsächlich landet er 1943 auf Sizilien, einer Gegend, von der er nach eigenem Bekunden keine Ahnung hat. Hammond bleibt komplett auf sich gestellt und kann nicht verhindern, dass allein bei der Bombardierung Palermos 60 Kirchen zerstört werden.

Sofern es der Kriegsverlauf erlaubt

Die Aufgabe der Monuments Men bleibt kaum lösbar, solange der Krieg andauert. Militärische Erfordernisse haben immer Vorrang, und um Plünderungen zu verhindern, ist die Gruppe einfach viel zu klein. George Stout kann nur auf das Wort des Oberkommandanten Eisenhower setzen, der seine Truppen bittet, Baudenkmälern Respekt entgegenzubringen – sofern es der Kriegsverlauf erlaubt – und französische Schlösser nicht als legitime Quartiere zu betrachten.

Während Stout und die anderen Monuments Men im Westen in Deutschland einrücken, suchen deutsche Museumsleute ganz im Osten des rasch schrumpfenden „Reiches“ nach einem sicheren Quartier für ihre Bestände. Seit 1941, seit dem Bau der großen Flakbunker in Berlin, hat man große Teile der Berliner Sammlungen hier untergebracht.

Im Bunker am Zoo

Im Bunker am Zoo befinden sich im März 1945 Skulpturen, antike Vasen, ägyptische Papyri und Bilder aus der Nationalgalerie. Im Flakturm am Friedrichshain lagern Bestände der Gemäldegalerie, des Kupferstichkabinetts und der Islamischen Abteilung, aber auch die Büste der Nofretete. Die Rote Armee steht nur noch 80 Kilometer entfernt, und es zeichnet sich ab, dass Berlin Schauplatz einer Schlacht werden wird. Stimmen, die Bunker seien dann nicht mehr sicher, werden von der Naziführung als Defätismus abgetan. Paul Rave, stellvertretender Direktor der Nationalgalerie, der es vermieden hat, der NSDAP beizutreten und selbst in der NS-Zeit die Sammlung der Moderne verteidigt, soweit ihm das möglich ist, bringt sich sogar in Gefahr, als er seine Bedenken äußert.

Doch am 8. März gibt Hitler selbst überraschend den Befehl zur Evakuierung. Fünf Tage später beginnt in höchster Eile der Abtransport aller irgendwie tragbaren Kunstwerke nach Westen, manche werden nicht einmal verpackt. 26 Lastwagen und 14 Busse erreichen trotz der Gefahr durch angreifende Tiefflieger unbeschadet ihr Ziel: das Bergwerk in Merkers.

George Stout trifft dort gut vier Wochen später ein, am 11. April 1945. Zwei seiner Kollegen haben ihn telefonisch alarmiert, dass es dort etwas Besonderes zu sehen gebe. Wie besonders, ahnt Stout, als er erfährt, dass mittlerweile 2000 US-Soldaten die Mine bewachen.

Das Bergwerk wird geräumt

Nicht einmal eine Woche später sind beinahe alle Kunstwerke aus der Mine geborgen. Die Eile der Alliierten mag damit zu tun haben, dass ein Salzbergwerk kein verträglicher Ort für Ölgemälde ist. Vor allem aber ist klar, dass die US-Truppen diesen Teil des Landes binnen kurzen vertragsgemäß werden räumen müssen, um ihn der sowjetischen Armee zu überlassen. Wahrscheinlich handelt es sich beim Schatz von Merkers also nicht um einen Zufallsfund, sondern General Patton ist mit seiner Panzertruppe deshalb so schnell so weit vorgestoßen. Nicht einmal die verbündeten Briten werden über den Fund informiert.

Einen Monat später ist der Kampf in Europa aus, und George Stout wechselt auf den Pazifischen Schauplatz, wo der Krieg noch bis in den September fortdauert. Die Arbeit der Monuments Men in Europa erhält derweil neue Schwerpunkte. Es geht jetzt um die Identifizierung und Rückgabe der Beutekunst sowie den Wiederaufbau einer deutschen Museumslandschaft. Besonders dieser Teil wird als wichtig für die Umerziehung der Deutschen hin zu einer demokratischen Gesellschaft erachtet.

Dafür werden „Central Collecting Points“ eingerichtet, zentrale Sammelstellen. Beutekunst wird vor allem in den CCP München transportiert. Die Berliner Bestände, von denen viele in Merkers sichergestellt worden sind, gehen nach Wiesbaden. Der dortige CCP wird im ehemaligen hessischen Landesmuseum eingerichtet, das den Krieg vergleichsweise unbeschädigt überstanden hat.

Die Berliner Bilder sollen in die USA

Umso überraschender kommt dann – vor genau 75 Jahren, am 6.November 1945 – der Befehl des stellvertretenden Oberbefehlshabers der amerikanischen Besatzungszone in Deutschland, Lucius D. Clay. Er ordnet an, 202 Gemälde auszuwählen, die in die USA gebracht werden sollen, um sie bei angeblich besseren konservatorischen Bedingungen vor weiteren Schäden zu schützen. Darunter die Berliner Bilder, die auch deshalb ausgewählt werden, weil sie sich nachweislich schon vor der Machtübernahme durch die Nazis im Besitz deutscher Museen befanden, also keine anderen rechtmäßigen Eigentümer haben können.

Allein Rembrandt ist auf der Liste mit 15 Werken vertreten. Darunter eines der berühmtesten, „Der Mann mit dem Goldhelm“ – von dem man damals noch nicht weiß, dass er nur aus Rembrandts Werkstatt stammte. Den Wert der Sammlung mindert das nicht. Es sind noch genug andere prominente Künstler vertreten: Albrecht Dürer mit vier Werken, Vermeer mit zweien, Botticelli mit fünf. Auf 80 Millionen Dollar schätzt die amerikanische Presse damals alle zusammen.

Der Oberkommandierende. General Eisenhower (rechts) inspizierte persönlich den Schatz im Bergwerk.
Der Oberkommandierende. General Eisenhower (rechts) inspizierte persönlich den Schatz im Bergwerk.

© akg-images

Die Bilder mitten im Winter über den Atlantik zu verschiffen, ist in den Augen vieler Monuments Men mit konservatorischer Sorgfalt nicht zu erklären. 32 von ihnen sind zu diesem Zeitpunkt in der amerikanischen Besatzungszone tätig, 24 unterzeichnen nur einen Tag nach Clays Befehl eine Erklärung, die als „Wiesbadener Manifest“ bekannt wird. Darin protestieren sie gegen den Abtransport, weil „die Verbringung solcher Kunstwerke, ausgeführt von der Armee der Vereinigten Staaten auf Anweisung der höchsten nationalen Autoritäten, einen Präzedenzfall begründet, der weder moralisch vertretbar noch verständlich zu machen ist“.

Schlimmer, man befürchtet, in die Nähe des Barbarentums gerückt zu werden, dessen man selbst die Deutschen bezichtigt hat. Weiter heißt es in der Erklärung: „Wir möchten darauf hinweisen, dass unseres Wissens keine historische Kränkung so langlebig ist und so viel gerechtfertigte Verbitterung hervorruft wie die aus welchen Gründen auch immer erfolgte Wegnahme eines Teils des kulturellen Erbes einer Nation.“

Protest der Monuments Men

Mit ihrem Manifest hätten sich die Unterzeichner dem Vorwurf der Befehlsverweigerung aussetzen können. Doch ihr Protest verhallt zunächst folgenlos. In den deutschen Zeitungen erregt der ganze Vorgang damals wenig Aufmerksamkeit. Was mehrere Gründe haben mag. Abgesehen davon, dass die Medien noch alliierter Kontrolle unterliegen, steht ein halbes Jahr nach Kriegsende in Nürnberg der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher kurz bevor. Jedenfalls derer, die sich nicht durch Suizid ihrer Verantwortung entzogen haben. Dort geht es um Menschheitsverbrechen – wen kümmern da ein paar Bilder?

Außerdem liegt auch die kleine Insel West-Berlin neuerdings im Osten. Soll man derart wertvolle Bilder tatsächlich dorthin schicken?

Und schließlich: Kunstwerke werden seit Jahrhunderten als legitime Kriegsbeute angesehen, werden mitunter heute noch so behandelt. Die Museen der Welt sind voll mit Werken, um die erbittert gestritten wird weil an ihrem rechtmäßigem Erwerb gezweifelt wird, oft genug muss, weil sie einst aus ihrer Heimat geraubt wurden.

Nicht nach Berlin

In den USA gehen die Bilder ab 1948 auf eine Ausstellungstournee durch 13 Städte. Gleichzeitig beginnt im Land eine öffentliche Diskussion, in der auch das „Wiesbadener Manifest“ der Monuments Men bekannt wird. Am Ende steht der Rücktransport der Kunstwerke nach Deutschland. Die letzten treffen im September 1948 wieder in Wiesbaden ein.

Nach Berlin kommen sie deshalb noch lange nicht. Lediglich ein Teil wird dort schließlich 1951 als Leihgabe in einer Ausstellung gezeigt, nur, um nach drei Monaten von der Bundesregierung zurückgefordert zu werden. Es ist der Beginn des sogenannten Bilderstreits um die Frage, wohin die Berliner Gemälde gehören. Die Monuments Men haben damit nichts mehr zu tun, ihre Aufgabe ist mit der Gründung der Bundesrepublik erledigt. George Stout ist bereits Mitte 1946 aus der Armee ausgeschieden, um an seinen alten Posten im Fogg Art Museum zurückzukehren.

Der Bilderstreit ist eine rein deutsche Angelegenheit, die erst mit der Gründung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz 1957 endgültig beendet und in der die Frage geklärt wird, was mit den Werten des ehemaligen Staates Preußen zu geschehen habe.

So lange mussten die West-Berliner auf ihre Vermeers und Rembrandts warten. Die Ost-Berliner warteten noch ein wenig länger.

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