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Gastronomen unterstützen Winzer: Einsatz im Weinberg

Einige Gastroprofis nutzen die Krise, um Winzern zu helfen – und sich dabei weiterzubilden. Unser Autor erlebte biodynamischen Weinanbau hautnah.

Es ist sieben Uhr früh im Weingut am Stein, das sich oberhalb des Würzburger Hauptbahnhofs an die steil abfallenden Hänge schmiegt. Vor dem Gästehaus findet eine außergewöhnliche Einsatzbesprechung statt. Nicht die seit Jahren mit den Handgriffen auf dem Weingut von Sandra und Ludwig Knoll vertrauten Saisonarbeiter stehen hier in der Morgenkühle, es sind Fachleute aus der Gastronomie, die zu dieser für sie ungewohnten Zeit noch schlaftrunken in die Runde blinzeln.

Die Schließzeit zur Weiterbildung nutzen

Die Restaurants und Hotels, in denen sie arbeiten, sind geschlossen. Corona bietet ihnen eine Gelegenheit, die im Normalbetrieb selten möglich ist: Arbeit im Weingut. Wer sich zur Sommelier-Prüfung anmelden will, muss ohnehin vier Wochen Praktikum nachweisen. Das Programm „Seite an Seite im Weinberg“, das die Sommelier-Union mit dem Verband der Prädikatsweingüter (VDP) initiiert hat, nutzt die Krise zur Weiterbildung.

Winzer Ludwig Knoll kann jede Hand gebrauchen. 40 Hektar bewirtschaftet der fränkische Spitzenwinzer biodynamisch, das bedeutet in den Steillagen bis zu 1500 Stunden mühevoller Arbeit pro Jahr für jeden Hektar. Mit Beginn des Austriebs überschlagen sich die Einsätze: Dynamisieren und Ausbringen des Hornmists in den Rebzeilen, Ersetzen von toten Pflanzen, Triebe ausbrechen an den grünenden Rebstöcken.

Der im Kuhhorn gereifte Mist dynamisiert das Wasser. Dafür ist viel Handarbeit nötig, wie unser Autor Ulrich Amling auf rührende Weise feststellen musste.
Der im Kuhhorn gereifte Mist dynamisiert das Wasser. Dafür ist viel Handarbeit nötig, wie unser Autor Ulrich Amling auf rührende Weise feststellen musste.

© Susanne Salzgeber

Normalerweise könnte Ludwig Knoll sich dabei auf sein erweitertes Teams verlassen, doch die Grenzschließung nach Osteuropa hat seine Personalplanung umgeworfen. Auf viele Saisonarbeiter aus Rumänien, Polen und der Slowakei muss der Winzer verzichten.

Gastronomen helfen im Weinberg

Da das Weingut sein Gästehaus nicht an Touristen vermieten kann, wohnt dort jetzt die Verstärkung aus der Gastronomie. Beim Kaffeekochen kann man durchs Fenster die Rebzeilen des Würzburger Steins hinaufschauen. Zum Träumen aber bleibt keine Zeit, die Stullen für die Mittagspause müssen noch geschmiert werden.

Die Fahrt geht hinaus in die Paradelage der Knolls, den Stettener Stein. Die Weinberge erheben sich 80 Meter über dem Main oberhalb der felsig-markanten Schaumkalkbänke, die aus dem Muschelkalkboden des einstigen Urmeers ragen. Bis zu 80 Prozent Hangneigung machen hier jeden Schritt zu einem Balanceakt.

Ungewöhnliche Einsatzbesprechung: Winzer Ludwig Knoll vom Weingut am Stein mit freiwilligen Helfern aus der Gastronomie
Ungewöhnliche Einsatzbesprechung: Winzer Ludwig Knoll vom Weingut am Stein mit freiwilligen Helfern aus der Gastronomie

© Ulrich Amling

Der Tross hält oberhalb einer Hütte in den Weinbergen, die Ludwig Knoll seine „magic hut“ nennt. Vor ihr steht ein offenes Fass, in dem ein Reisigbesen baumelt. In der Morgensonne hoch über dem Fluss wird das biodynamische Präparat 500 angerührt. Dabei wird Mist, der über den Winter in Kuhhörnern vergraben war, eine Stunde lang in handwarmem Wasser „dynamisiert“. Der Reisigbesen pflügt durch die Flüssigkeit und erzeugt einen tiefen Strudel, nach einer Minute geht es in die Gegenrichtung: Strudel brechen und neu aufbauen. „Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die man nicht erklären kann“, sagt Ludwig Knoll mit Shakespeares Hamlet. Und fügt hinzu: „Aber es wirkt.“ Statt auf chemisch-synthetischen Pflanzenschutz setzt der Winzer auf Aufgüsse mit Schafgarbe, Kamille und Brennnessel.

In diesen Kuhhörnern reifte den Winter über Mist, der jetzt das Wasser dynamisieren soll, das als "Präparat 500" im Weinberg verspritzt wird.
In diesen Kuhhörnern reifte den Winter über Mist, der jetzt das Wasser dynamisieren soll, das als "Präparat 500" im Weinberg verspritzt wird.

© Susanne Salzgeber

Trotz meditativer Rührtätigkeit an einem traumschönen Ort sind die Arme bald für die Ablösung dankbar. Doch die wirklich schwierige Arbeit kommt erst noch: In Rückenspritzen gefüllt, muss das dynamisierte Präparat 500, das im Frühjahr den Wuchs kräftigen soll, nun im Weinberg verteilt werden.

Schon ohne Gepäck stürzt man schnell auf dem kargen Boden oder den feuchten Grünzeilen. Mit 20 zusätzlichen Kilo wird das Staksen zum kräfteraubenden Geduldsspiel. Beim Fallen niemals an den Reben festhalten, sondern am darübergespannten Draht, mahnt der Winzer.

Arbeit im Weinberg als Ausgleich und Ablenkung

Als Ludwig Knoll vormacht, wie das Verspritzen geht, sieht es fast so aus, als würde er sich Weihwasser schwenkend durch seine Reben tasten. Auch er gerät ins Rutschen, landet auf dem Hintern. „Denkt dran: Das ist eine energetische Maßnahme, die ihr hier vollbringt“, ruft er dem Sommelier-Team lachend zu. Während unten auf dem Main langsam Lastkähne vorbeiziehen, hört man das Geräusch bröckelnden Bodens, begleitet von leisen Flüchen.

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In der Gastronomie ist man lange Arbeitstage gewohnt, meist dauert es danach noch eine Weile, bis man wieder runtergekommen ist und schlafen kann. Das Kraxeln am Abgrund sorgt für umfassende Erschöpfung. Dem Wein-Nachschub zusprechen, das geht, viel Kraft für Diskussionen über die Krise der Branche bleibt nicht, obwohl die allgegenwärtig ist. Das Radio meldet, jedes dritte Restaurant in Deutschland stehe vor dem Aus. Nur gut, dass an Tag zwei eine zutiefst befriedigende Arbeit auf dem Plan steht: neue Rebstöcke pflanzen, wo alte abgestorben sind.

80 Prozent Neigung, biodynamischer Anbau, viel Arbeit: der Weinberg Stettener Stein bei Würzburg
80 Prozent Neigung, biodynamischer Anbau, viel Arbeit: der Weinberg Stettener Stein bei Würzburg

© Ulrich Amling

Dafür müssen Löcher in den steinigen Untergrund gehackt, eiserne Stangen eingerammt und die zum Schutz mit grünem Wachs ummantelten Setzlinge fixiert werden. Pflanzerde ins Loch, festtreten, damit die Wurzeln nach unten wachsen, dann das Erdreich drauf und eine Mulde fürs Angießen formen. Der April war wieder viel zu trocken, und Ludwig ist Knoll ist froh, dass sein Bewässerungssystem aus mehreren Kilometern Schlauch samt Wasserreservoir schon fertig ist. Wenn Corona irgendwann geht, wird dem Weingut die anhaltende Dürre bleiben.

Die Krise zwingt auch die Winzer zum Improvisieren

Am Abend trifft man sich im Hof des Weinguts an einer Theke aus einem mächtigen Holzstamm. Hier kann man Abstand halten und doch zusammen Weine probieren. „Wir waren uns zunächst unsicher, ob wir uns ausgerechnet jetzt fremde Menschen ins Unternehmen holen“, sagt Ludwigs Frau Sandra Knoll.

Normalerweise gibt es am Stein immer viele Gäste, sie kommen zu Verkostungen, essen im Sterne-Restaurant „Reisers“, bleiben über Nacht. Zum Musikfestival „Wein am Stein“ pilgern jeden Abend bis zu 3000 Menschen, doch dieses Jahr ist alles anders.

Die Weinnachfrage aus der Gastronomie ist eingebrochen, Veranstaltungen fallen aus und Restaurantchef Bernhard Reiser muss zusehen, wo er die 15 Lehrlinge unterbringt. Doch er ist zuversichtlich: „Wer gut wirtschaftet, übersteht die Krise.“ Für den Neustart hat Reiser viel vor. Er will sieben Tage die Woche öffnen, an drei Abenden sollen die Lehrlinge bestimmen, was auf den Tisch kommt.

Vorsichtig erkundet der Gastronom auf dem Weingut am Stein, was möglich ist. Am Wochenende braten Bernhard Reiser und sein Küchenteam Würste für die vorbeiziehenden Wanderer, die durch die Weinbergwege streifen, dazu gibt es gekühlte Gutsweine zum Mitnehmen.

Dreimal kontrolliert die Polizei die ambulante Stärkungstheke, doch es läuft alles streng nach den bayerischen Corona-Bestimmungen. Die werden sich bald ändern, die Sommeliers nicht auf lange Sicht im Weingut aushelfen können. Einer wurde bereits vom Arbeitsgeber zurückgeordert, zur Nachtwache in einem Hotel ohne Gäste.

Ludwig Knoll fehlen Arbeitskräfte, und so machen sich jetzt Asylbewerber auf den Weg hoch vom Würzburger Hauptbahnhof. Sie stammen aus Cuba und von der Elfenbeinküste. Morgens um sieben beginnt auch für sie die Einsatzbesprechung, ehe es hinausgeht in die Steillagen.

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – aktuell jeden Sonntag in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

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