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Es gibt wieder was zu jubeln. Die deutsche Elf nach dem Unentschieden gegen Spanien.

© imago/Xinhua / Foto: IMAGO/Li Ga

Erste Rekordquote bei TV-Übertragungen: Vom Moral-Weltmeister zum Fußball-Weltmeister?

17,05 Millionen verfolgen das WM-Spiel Spanien gegen Deutschland. Neueste Herausforderung für Fans und Fernsehen: Vorrunden-Arithmetik.

Geht die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland jetzt erst richtig los? Nach sehr überschaubaren Einschaltquoten während der ersten WM-Tage wird für Sonntag die erste Rekordmarke gemeldet: 17,05 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer verfolgten im ZDF die für die Gruppenphase vorentscheidende Partie der Spanier gegen Deutschland (Marktanteil: 49,3 Prozent).

Selbst wenn diese Marke im statistischen Mittel bisheriger WM-Turniere - die Auftaktpartie bei der WM 2018 in Russland sahen noch 25 Millionen - nur ein Durchschnittswert ist, könnte jetzt ein Umschwung stattfinden, weg von der moralisierten, politisierten WM hin zu einer sportlichen. Plötzlich steht die Vorrunden-Arithmetik im Zentrum: Was muss in den beiden restlichen Spielen der Deutschland-Gruppe passieren, damit die Flick-Elf ins Achtelfinale kommt?

Das Katar-Turnier im öffentlich-rechtlichen Fernsehen konnte bisher als Missverständnis gelten. Eine WM in der Wüste, im Winter, in einem Staat mit fehlenden Freiheitsrechten für queere Menschen, mit gequälten Arbeitsmigranten? Und hat sich das Emirat das Turnier nicht mit Korruption in der Fifa gesichert?

ARD und ZDF haben sich die Übertragungsrechte teuer erkauft, also zeigen sie Fußball quasi rund um die Uhr. Schon vor dem Turnierstart haben sie das eigene Handeln unterminiert, ruft man sich die Dokus von Jochen Breyer (ZDF) und Thomas Hitzlsperger (ARD) zum Gastgeberland in Erinnerung. Um nicht als Claquere des eigenen Rechteeinkaufs dazustehen, wurden die Schattenseiten im Emirat dargestellt.

Wer schon wenig Lust auf das größte Sportereignis des Jahres hatte, hatte danach noch weniger. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben das latente Missvergnügen über eine WM im falschen Land intensiv befördert. Skepsis in den Medien und Skepsis in der Gesellschaft gingen dabei Hand in Hand. Die Quoten bis zum Spanien-Match spiegeln das.

Erstaunlich ist, in welchem Ausmaß vor und während der WM die Augen über Katar aufgerissen wurden. Und erstaunlich spät. Das Turnier ist nur ein Sportevent unter anderen im Emirat, die Fußball-WM reiht sich ein in das System des „Sportwashings“. Auch China oder Russland verstehen es, den Sport fürs eigene Image zu instrumentalisieren.

Katar ist aber unbestritten Weltmeister in dieser Disziplin. Schwimm-WM 2014, Handball-WM 2015, Rad-WM 2018, Leichtathletik-WM 2019, nie war es zu heiß, nie waren die Bedingungen für Frauen oder Fremdarbeiter zu schlecht – oder kann sich irgendeiner an energische Proteste aus Deutschland erinnern?

Vorhin habe ich gedacht, die ganze Kurve ist voller Deutschland-Fans. Dann habe ich erst gemerkt, das sind die katarischen Bademäntel.

ZDF-Experte Sandro Wagner

Die Fußball-WM ist der Kipppunkt. Aus dem zerknirschten Ja zum Gas aus Katar sollte nicht das unbeschränkte Ja zur WM in Katar folgen. Schlechtes Gewissen, Angst vor Fifa- und Katar-Konsequenzen? Das Vergnügen trübte sich massiv ein und das Nichteinschalten, wenn nicht der TV-Boykott wurde befördert.

Ob das so bleibt, ist fraglich. Mit der entscheidenden Gruppenphase haben sich die Gewichte verschoben. Offensichtlich ist nicht mehr das Gastgeberland im Fokus, sondern die deutsche Mannschaft. Der Sportevent beginnt den Polit-Event zu überwölben. Damit steigen die Chancen, dass Deutschland zwei Titel gewinnt: Moralweltmeister und Fußball-Weltmeister.

Vielleicht nur ein Detail, aber für das große Bild nicht unwichtig: Die Leistung der Kommentatoren und Experten im Fernsehen wird stärker beachtet. Der ehemalige Fußballprofi Sandro Wagner hatte in der 79. Minute gesagt: „Vorhin habe ich gedacht, die ganze Kurve ist voller Deutschland-Fans. Dann habe ich erst gemerkt, das sind die katarischen Bademäntel.“ Wagner spielte damit auf die in Katar traditionellen, langen weißen Gewänder, Thawb genannt, an, die viele Männer auch im Stadion tragen.

Bei Twitter wurde die Aussage von einigen Nutzern kritisiert. Das ZDF-„Sportstudio“ reagierte in einer Antwort auf einen Tweet zum Thema: „Sandro Wagners Aussage über den Thawb ist leider in einer emotionalen Phase des Spiels passiert. Das darf es nicht. Wir werden das besprechen.“ Die Fernseh-Fußball-WM ist bei sich angekommen.

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