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Jürgen Fitschen steht von diesem Dienstag an vor Gericht.

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Jürgen Fitschen: Ein Bankchef vor Gericht

Seriös, solide, ein ehrbarer Kaufmann – bei der Deutschen Bank ist er zuständig fürs Image. Jürgen Fitschen muss sein Haus auf Kurs bringen. Ausgerechnet jetzt holt ihn die Vergangenheit ein.

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Ruhig wirkt er, fast gelassen. Seine Miene ist ernst, aber nicht verkrampft. Jeder seiner Sätze sitzt. Jürgen Fitschen lässt sich seine Anspannung am Montagmorgen nicht anmerken. Dabei liegt ein langes, arbeitsreiches Wochenende hinter ihm. Und eine noch anstrengendere Woche vor ihm.

Der Chef der Deutschen Bank ist gerade dabei, mit seinem Vorstandskollegen Anshu Jain das Unternehmen neu aufzustellen. Es wird ein tiefer Einschnitt. Auf der Pressekonferenz am Montag kündigten sie an, 200 der rund 700 Filialen zu schließen. Etliche Arbeitsplätze werden wegfallen. „In Teilen wird es schmerzhafte Veränderungen geben“, sagt Fitschen. Die Postbank wollen die beiden Bankchefs verkaufen. Auch der Bereich Investmentbanking soll schrumpfen. 3,7 Milliarden Euro wird sie dieser Umbau voraussichtlich kosten. Jain und Fitschen hoffen, das Institut auf diese Weise rentabler zu machen. Sie wollen wieder mit der Konkurrenz im Ausland mithalten können, die sie zuletzt abgehängt hat.

Diese neue Strategie zu realisieren, ist eine große Aufgabe. Und ausgerechnet jetzt holt Jürgen Fitschen die Vergangenheit ein. Von diesem Dienstag an steht er in München vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchten Prozessbetrug vor. Wie vier weitere frühere Manager des Konzerns soll Bankchef Fitschen in einem früheren Verfahren nicht die Wahrheit gesagt haben.

Fitschens Reputation steht auf dem Spiel

Für den 66-Jährigen geht es um einiges. Im schlimmsten Fall drohen ihm zehn Jahre Gefängnis. Seine Reputation steht auf dem Spiel. Sein Job als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank und sein Amt als Präsident des Deutschen Bankenverbandes.

Wie kein anderer hat Jürgen Fitschen der Branche ein Gesicht gegeben. Und wie kein anderer setzt er sich dafür ein, das Bild der Banken nach der Finanzkrise wieder in ein besseres Licht zu rücken. Der Deutschen Bank hat er einen Kulturwandel verordnet – die Banker sollen künftig weniger spekulative Geschäfte tätigen. Fitschen preist Werte an wie Integrität, Kundenorientierung und Partnerschaft, mahnt die Branche zu einem verantwortungsvolleren Handeln. Kritiker sehen darin jedoch nur eine Imagekampagne.

Vor Gericht geht es jetzt um eine alte Geschichte. Um eine Geschichte, die bereits 2002 beginnt. Also zehn Jahre, bevor Fitschen Vorstandschef wird. Damals geht der Medienunternehmer Leo Kirch Pleite – und er gibt der Deutschen Bank die Schuld daran. In einem Fernsehinterview während der Weltwirtschaftskonferenz in New York stellt der damalige Bankchef Rolf Breuer Kirchs Kreditwürdigkeit infrage. Später wird der Medienunternehmer sagen: „Erschossen hat mich der Rolf.“

Leo Kirch gab der Deutschen Bank die Schuld an seiner Pleite

Jahrelang kämpfen Kirch, später seine Erben, um Schadenersatz. Das Institut soll für die Pleite zahlen. Die Banker halten dagegen. Sie sagen, sie hätten nie vorgehabt, Kirchs Unternehmen zu zerschlagen und daran auch noch zu verdienen. Das beteuern sie vor Gericht immer wieder. Auch Fitschen soll Ex-Bankchef Rolf Breuer im Prozess gedeckt haben.

Der mittlerweile verstorbene Leo Kirch hat die Deutsche Bank für die Pleite seines Unternehmens verantwortlich gemacht.
Der mittlerweile verstorbene Leo Kirch hat die Deutsche Bank für die Pleite seines Unternehmens verantwortlich gemacht.

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Deshalb sitzt er nun auf der Anklagebank. Neben ihm werden seine Vorgänger Breuer und Josef Ackermann Platz nehmen sowie die früheren Vorstandsmitglieder Clemens Börsig und Tessen von Heydebreck. Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass die Fünf sich in dem früheren Prozess abgestimmt haben. Sie sollen versucht haben, die Justiz in die Irre zu führen. Sie sollen „Unwahrheiten“ gesagt haben, um Schadenersatzansprüche von der Bank abzuwenden. Aufgegangen ist diese Strategie nicht: Letztlich musste der Konzern zahlen – und zwar 925 Millionen Euro.

Für Fitschen war das Kapitel Kirch damit beendet. Die Anklage gegen ihn regt ihn auf. „Ich habe weder belogen noch betrogen.“ Diesen Satz hat er in den letzten Monaten mehrmals wiederholt.

"Weglaufen gilt nicht", sagt Fitschen

Deshalb nimmt er auch das Angebot der Staatsanwaltschaft nicht an, das Verfahren gegen ein Bußgeld in Höhe von 500 000 Euro einzustellen. Damit wäre die Sache zwar aus der Welt geschafft – er hätte so aber auch indirekt seine Schuld eingestanden. „Weglaufen gilt nicht“, sagt er am Montag. Er bezieht das zwar auf die Herausforderungen seines Hauses. Doch es gilt gleichermaßen für ihn selbst.

Sein Anwalt Hanns Feigen, der schon Uli Hoeneß vor Gericht vertreten hat, wird nun alles daransetzen, seine Unschuld zu belegen. Seine Strategie wird vor allem darauf abzielen, Fitschens Rolle im Fall Kirch kleinzureden. Und die Chancen stehen gut, dass ihm das gelingt. So soll Fitschen zum Beispiel bei den Rollenspielen nicht mitgemacht haben, mit denen die Hausjuristen die Banker einst auf den Kirch-Prozess vorbereitet haben.

Der Bankchef will das Image seiner Branche verbessern

Das Verfahren passt auch nicht in das Bild, das Fitschen selbst von sich in der Öffentlichkeit zeichnet. Seit Jahren setzt er sich dafür ein, das Image der Branche wieder zu verbessern, und dafür holt sich Fitschen regelmäßig Unterstützung aus der Politik. Zum Beispiel von Verbraucherschutzminister Heiko Maas. Der steht vor zwei Wochen neben Fitschen, als der die Gäste zum Jahresempfang des Bankenverbandes in Berlin begrüßt. Fitschen scheint zeigen zu wollen: Wir sind nicht mehr die bösen Banker, wir achten auf unsere Kunden und schützen sie. Selbst der Ort ist mit Bedacht gewählt. Die Banker treffen sich in der Villa Elisabeth in Mitte, die zur Evangelischen Kirchengemeinde gehört. Bescheidenheit ist angesagt. So spricht er dann auch von den Belastungen der Vergangenheit und betont, wie sehr sich die Bankbranche seit der Finanzkrise gewandelt hat. Fitschen will so das öffentliche Ansehen zurückgewinnen. Er sagt: „Das Vertrauen ist die Grundvoraussetzung, dass wir unseren Beitrag zum Gemeinwohl leisten können.“

Für Sätze wie diese ist Fitschen bekannt. Abnehmen wird man sie ihm aber kaum noch, sollte er im Prozess eine Niederlage erleiden.

Wie sich Fitschen seinen Ruf als ehrbarer Kaufmann erarbeitet hat

Jürgen Fitschen steht von diesem Dienstag an vor Gericht.
Jürgen Fitschen steht von diesem Dienstag an vor Gericht.

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Vor Gericht dürfte er an diesem Dienstag so auftreten, wie man es von ihm kennt: sachlich, kontrolliert, bodenständig. Fitschen hat sich stets im Griff. Flapsige Sprüche oder Gesten, wie etwa das Victory-Zeichen seines Vorgängers Josef Ackermann beim Mannesmann-Prozess, sind nicht seine Sache.

Das mag auch an seiner Erziehung liegen, an seiner Herkunft. Aufgewachsen ist Fitschen auf einem Bauernhof in Harsefeld, südlich von Hamburg. Sein Vater war Landwirt und betrieb nebenbei eine Kneipe. Schon früh musste Fitschen mit anpacken, die Tiere füttern, das Heu einfahren. Sein erstes Geld hat er mit 16 Jahren verdient, indem er Kohle ausfuhr und in die Keller der Nachbarschaft schleppte. Diese Erfahrung hat ihn geprägt. Als er nach dem Wirtschaftsstudium Karriere macht – erst bei der Citibank, dann bei der Deutschen Bank – hebt er nicht ab. Auch wenn er auf einmal in der ganzen Welt herumreist und für die Bank einige Zeit nach Bangkok und Tokio zieht, kehrt er immer wieder zurück in seine Heimat in Niedersachsen.

Starallüren, wie man sie oft bei bekannten Vorstandschefs beobachten kann, zeigt Fitschen nicht. Er drängt sich nicht in den Vordergrund und wirkt auch nicht eitel. Als er einmal kurz vor einer Pressekonferenz des Bankenverbandes beim Joggen stürzt, sagt er den Termin nicht ab – sondern kommt mit bandagierten Händen. Er nimmt es mit Humor. „Ich gebe Ihnen jetzt lieber nicht die Hand“, sagt er zur Begrüßung.

Im Vorstand bildet er ein Gegengewicht zu Investmentbanker Jain

In der Branche gilt Fitschen als seriös und solide, ein ehrbarer Kaufmann. Gerade unter Mittelständlern genießt er einen guten  Ruf. Auch deshalb hat man ihn vor drei Jahren zusammen mit Anshu Jain zum Vorstandschef der Deutschen Bank gemacht. Er soll ein Gegengewicht bilden zu dem Investmentbanker aus London, der eher für die riskanten, aber lukrativen Geschäfte im Konzern steht.

Allerdings waren die professionellen Anleger, denen die Deutsche Bank zu einem Großteil gehört, zuletzt extrem unzufrieden mit den beiden Bankchefs. Die Ziele, die sie vor drei Jahren ausgegeben hatten, konnten sie nicht erreichen. Zum Beispiel wollten sie die Rendite nach Steuern auf 12 Prozent steigern. Derzeit liegt sie gerade einmal bei 3,1 Prozent. Die Investoren werfen Jain und Fitschen vor, nicht rasch genug reagiert zu haben, während andere Großinstitute sich schon vor Monaten neu aufgestellt hatten.

Der Vorsitzende Richter Peter Noll hat auch schon Formel-1-Boss Bernie Ecclestone verurteilt.
Der Vorsitzende Richter Peter Noll hat auch schon Formel-1-Boss Bernie Ecclestone verurteilt.

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Auch am Montag treten die beiden wieder in ihrer klassischen Arbeitsteilung auf: Jain erläutert die Zahlen, Fitschen kümmert sich ums Image. „Wir bekennen uns zu dem Ansatz eine global führende Bank zu sein“, sagt Fitschen. An die Redemanuskripte, die ihm seine Mitarbeiter vorbereiten, hält er sich ungern. Häufig ignoriert er sie ganz. Dass er auch in Stresssituationen besonnen reagiert, hat er in den vergangenen drei Jahren immer wieder bewiesen. Denn der heute beginnende Prozess ist nicht der einzige Rechtsstreit, mit dem das Haus gerade zu kämpfen hat. Die Aufsichtsbeamten haben seit der Finanzkrise Deutschlands größtes Geldinstitut genau untersucht. Und sind immer wieder fündig geworden.

Die Bank ist noch in etliche Rechtsstreitigkeiten verwickelt

Die Händler des Hauses sollen zum Beispiel wichtige Referenzzinsen wie den Libor manipuliert haben – weshalb die Bank gerade erst eine Rekordstrafe von 2,5 Milliarden Dollar akzeptiert hat. Rund 1000 weitere größere Rechtsstreitigkeiten sind noch gar nicht beigelegt. So soll die Deutsche Bank gegen Sanktionen der USA verstoßen haben, die ihr Geschäfte mit dem Iran untersagt haben. Auch beim Handel mit Hypotheken soll das Unternehmen getrickst haben. Und in Deutschland soll es am Umsatzsteuerbetrug beim Handel mit CO2-Zertifikaten beteiligt gewesen sein.

Dass Fitschen selbst nun angeklagt ist, macht alles nur noch schlimmer. Der Richter der Wirtschaftskammer, der über den Fall zu entscheiden hat, ist kein Unbekannter: Der Vorsitzende hat sowohl den Ex-Banker Gerhard Gribkowsky als auch den Formel-1-Boss Bernie Ecclestone verurteilt. Zwischenzeitlich wurde bereits diskutiert, ob Jürgen Fitschen denn überhaupt noch vernünftig die Deutsche Bank leiten könne, wenn so schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben werden – und er vorerst jeden Dienstag in München vor Gericht erscheinen muss. Doch der Rückhalt im Haus ist da. Zweifel an Fitschens Integrität will der Konzern erst gar nicht aufkommen lassen.

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.

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